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Badge DDS 1992

Neue Dokumente zur Schweizer Aussenpolitik 1992

Am 6. Dezember 1992 besiegelte das Stimmvolk eine Zeitenwende in der schweizerischen Europapolitik. Der Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) erlitt Schiffbruch. «Der Bundesrat nimmt diese Entscheidung zur Kenntnis und respektiert sie», deklarierte Bundespräsident René Felber nach der Abstimmung, bedauerte aber, «dass die Schweiz auf die ihr gebotenen Möglichkeiten zur Öffnung verzichtet und damit auch mit ihrer Politik der Annäherung an Europa bricht, die seit dem Zweiten Weltkrieg politisch betrieben wurde» (dodis.ch/61182). Wie kam es zu diesem Bruch? Die Forschungsstelle Dodis hat zahlreiche Dokumente zum Schicksalsjahr 1992 ausgewertet und eine Auswahl davon pünktlich nach Ablauf ihrer gesetzlichen Schutzfrist am 1. Januar 2023 in der Datenbank Dodis und dem neusten Band der Diplomatischen Dokumente der Schweiz veröffentlicht. «Die Akten zeigen», sagt Dodis-Direktor Sacha Zala, «dass es am Ende der Gewissheiten des Kalten Kriegs gerade die Fragen der politischen Integration waren, welche die Schweiz am meisten forderten.»  Europapolitischer Scherbenhaufen  Noch im Frühling entschied der Bundesrat, rasch ein Gesuch zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen bei den Europäischen Gemeinschaften (EG) einzureichen. Der Beschluss war keineswegs unumstritten: Während die Vertreter der lateinischen Schweiz für ein rasches Vorpreschen plädierten, fürchteten die Bundesräte Arnold Koller und Adolf Ogi, dies könnte die Abstimmungen über den EWR und über die Neue Alpentransversale belasten. Bundesrat Kaspar Villiger betonte, dass der EWR «eine echte Chance» habe, während die Beitrittsfrage «immer noch sehr kontrovers» sei. In einer zweiten Diskussionsrunde gab Verkehrsminister Ogi seine Opposition auf und wurde damit zum Zünglein an der Waage (dodis.ch/58958). Am 20. Mai verabschiedete der Bundesrat die Beitrittsschreiben an die EG.  Für die EWR-Abstimmung stellte sich dies als kommunikativer Hochseilakt heraus. Bekanntester und schlagkräftigster Gegner des EWR war der Zürcher SVP-Nationalrat Christoph Blocher. In der Wirtschaftskommission forderte er, bilaterale Verträge mit der EG zu «erzwingen», fand aber unter den meisten Kollegen keine Verbündeten. Pascal Couchepin, Walliser FDP-Nationalrat, warnte vor der zunehmenden Emotionalisierung der Debatte, die letztlich die Demokratie gefährde (dodis.ch/60997).   In und ausserhalb des Parlaments wurde ein hitziger Abstimmungskampf geführt, der nach dem Entscheid am Nikolaustag für den Bundesrat in einem europapolitischen Scherbenhaufen endete. Obwohl intern bedauert wurde, dass sich nicht alle Bundesräte bei einem öffentlichen Auftritt klar für den EWR ausgesprochen hatten, galt es nun, «den Entscheid des Souveräns zu akzeptieren», die «aufgerissenen Wunden» so rasch wie möglich zu heilen, «das Land wieder zu vereinigen» und zu verhindern, dass sich Resignation verbreite (dodis.ch/60622).  Globale Wirtschafts- und Finanzbeziehungen  Dem omnipräsenten Fokus auf Europa versuchte die schweizerische Handelsdiplomatie auch 1992 entgegenzuwirken und zeigte sich auf globaler Ebene vernetzungsfreudig. Im Zentrum stand der bilaterale Handel mit China (dodis.ch/61393), dem aufstrebenden «Tigerstaat» Taiwan (dodis.ch/61266), oder Argentinien und Chile (dodis.ch/61447). Als wichtigstes Instrument für die Stärkung der aussereuropäischen Kontakte galt die Uruguay-Runde des GATT, dessen Verhandlungen es im Bereich der Landwirtschaft zu deblockieren galt (dodis.ch/62343).   Was die Finanzpolitik betraf, so beschlossen Volk und Stände im Mai den Beitritt der Schweiz zu den Institutionen von Bretton Woods. Die Schweiz sollte durch einen zusätzlichen Exekutivratssitz und die Bildung einer neuen Ländergruppe Einfluss nehmen, denn «wer nicht auf Anhieb sein Ziel erreicht und einen Klappstuhl akzeptiert, gelangt nie mehr an den Tisch» (dodis.ch/62733). Mit Polen und den neuen zentralasiatischen Staaten Usbekistan, Kirgisistan, Turkmenistan und Aserbaidschan vereinte die Schweiz schliesslich genügend Gewicht und zog als Leiterin der sogenannten «Helvetistan»-Stimmrechtsgruppe in den Internationalen Währungsfonds ein. Gelegenheit Beziehungen zu den frisch unabhängig gewordenen Staaten aufzubauen, bot das WEF in Davos und eine bemerkenswerte Initiative des Bundesrats, bei dem Bundespräsident Felber die Staatsoberhäupter der GUS-Länder empfing (dodis.ch/60457).  «Bestmögliche Kompromisse» im Umweltbereich  Eigentliches Hauptereignis der multilateralen Zusammenarbeit war die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung. Nach aktiven Vorbereitungsarbeiten der Schweiz verhandelten Delegierte aus 178 Ländern in Rio de Janeiro Lösungsansätze für die globalen Umweltprobleme (dodis.ch/61093). Anlässlich der Unterzeichnung der Klimakonvention verkündete Umweltminister Cotti feierlich, dass die Schweiz ihre CO2-Emissionen bis zum Jahr 2000 auf dem Niveau von 1990 stabilisieren werde. Sein Abschlussbericht hielt fest, dass beim «Erdgipfel von Rio» die bestmöglichen Kompromisse erreicht worden seien (dodis.ch/61051).  In einer grossen Kampagne bemühte sich die Schweiz im Nachgang darum, das Sekretariat der Kommission für nachhaltige Entwicklung in Genf anzusiedeln. Zwar liess UNO-Generalsekretär Boutros-Ghali bereits im April durchschimmern, dass er für den UNO-Sitz Genf anderes im Sinn hatte (dodis.ch/58969). Seine negative Entscheidung Ende Jahr traf die Schweiz dennoch unverhofft, hatte sie doch die Mehrheit der UNO-Mitgliedstaaten dazu gebracht, sich für Genf als Umweltstandort einzusetzen (dodis.ch/62551). Es war 1992 nicht die einzige schweizerische Niederlage im Standortwettbewerb: Den Zuschlag für das Sekretariat der Organisation für das Verbot chemischer Waffen erhielt Den Haag (dodis.ch/61983). Dafür glückte die Kandidatur Genfs für den Sitz des Schlichtungs- und Schiedsgerichtshofs der KSZE (dodis.ch/61464).   Krieg und Peacekeeping  Die KSZE selbst verschrieb sich 1992 ganz der Konfliktverhütung und der Krisenbewältigung, die nach dem Umbruch im sicherheitspolitischen Gefüge Europas akut gefordert war. Es ging um den Krieg im ehemaligen Jugoslawien sowie um die Auseinandersetzungen in Bergkarabach, Transnistrien und Abchasien, wo die KSZE künftig in Zusammenarbeit mit der NATO und der Westeuropäischen Union (WEU) Peacekeeping-Operationen durchführen sollte (dodis.ch/61951). Der Bundesrat präsentierte seinerseits im August einen Fahrplan, wie ab Ende 1994 ein erstes schweizerisches Blauhelmbataillon der UNO und der KSZE zur Verfügung gestellt werden könnte (dodis.ch/62528). Schweizerische UNO-Militärbeobachter waren seit 1990 im Nahen Osten stationiert, der Einsatz einer Schweizer Sanitätseinheit in der Westsahara wurde verlängert.  In Bosnien und Herzegowina beteiligte sich die Schweiz sowohl an den KSZE-Missionen als auch an der UNO-Schutztruppe. Zusätzlich sollte humanitäre Hilfe das Leid der Kriegsopfer lindern. Gerade aufgrund der zahlreichen Arbeitskräfte aus dem ehemaligen Jugoslawien hätten die kriegerischen Ereignisse in Bosnien «eine eminent politische Bedeutung für die Schweiz». Dem Land erwachse «eine besondere moralische Verpflichtung», seine Hilfe zu verstärken (dodis.ch/60663). In diesem Sinne liess die Schweiz hunderte Kinder und schutzbedürftige Personen aus Bosnien einreisen. Gleichzeitig wurde die Rückschiebung von saisonalen Arbeitskräften aus Mazedonien und Kosovo vorläufig noch für möglich eingestuft (dodis.ch/62285). In der Asylpolitik wurde das Konzept der sogenannten «Safe Countries» nach wie vor intensiv diskutiert (dodis.ch/61255).  Nervenzentrum der schweizerischen Neutralität  Die veränderte europäische Sicherheitsarchitektur rüttelte schliesslich an der Essenz der schweizerischen Selbstwahrnehmung und eine Studiengruppe des Bundesrats forderte die «Neuausrichtung der Aussenpolitik hinsichtlich der Neutralität» (dodis.ch/59120). Als ein Diskussionspapier des Militärdepartements vor den Grenzen der autonomen Verteidigungsfähigkeit der Schweizer Armee aufzeigte, warnte das EDA «das Nervenzentrum der schweizerischen Neutralität» betroffen: «Wenn die Armee des neutralen Kleinstaates Schweiz ihren militärischen Auftrag in Zukunft nur noch im Verbund mit ausländischen Streitkräften erfüllen kann, wenn Neutralität ihre Schutzwirkung verliert und zum Risiko wird», untergrabe dies ihr «Fundament» (dodis.ch/61955).   Nach einem Austausch mit den neutralen Staaten Österreich, Schweden und Finnland (dodis.ch/61100) und der Feststellung, dass sich diese «zur Annäherung an NATO und WEU entschlossen haben», wandte sich Verteidigungsminister Kaspar Villiger direkt an Aussenminister Felber: Für die Schweiz bestehe nun Bedarf nach einem ähnlichen Schritt, denn «nur so können wir vermeiden, sicherheitspolitisch in die Isolation zu geraten» (dodis.ch/61267).  Das negative Resultat der EWR-Abstimmung, mit dem sich das Jahr 1992 zu Ende neigte, änderte an diesem sicherheitspolitischen Integrationsinteresse der Schweiz nichts. «Es gilt abzuwarten», so Dodis-Direktor Sacha Zala, «ob sich dieser Zusammenarbeitswille 1993 konkretisiert.» Die Akten, die in einem Jahr frei zugänglich werden, werden es zeigen. 
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Badge QdD15

Diplomatische Dokumente der Schweiz zur Geschichte der UNO 1942–2002

«C’est pour moi une joie et un honneur de vous affirmer la volonté de la Suisse de participer activement aux travaux des Nations Unies.» Mit diesen Worten schloss Bundespräsident Kaspar Villiger am 10. September 2002 seine Rede vor der UNO-Generalversammlung in New York (dodis.ch/55178). Heute vor genau 20 Jahren trat die Schweiz, nach langem Zögern, als weltweit letzter souveräner Staat der Organisation der Vereinten Nationen bei. Pünktlich zum 20. Jahrestag des UNO-Beitritts publiziert die Forschungsstelle Diplomatische Dokumente der Schweiz (Dodis) den dritten Band der Serie «Die Schweiz und die Konstruktion des Multilateralismus»: www.dodis.ch/q15. Darin sind 50 zentrale Dokumente zur komplexen Beziehungsgeschichte der Schweiz zur UNO zwischen 1942 und 2002 ediert mit Hinweisen auf über 2000 weitere Dokumente in der Datenbank Dodis. Diese Vielzahl an Dokumenten belegt, wie dem Beitritt der Schweiz zur UNO lange Zeit ein eng gefasstes und überhöhtes Neutralitätsverständnis im Weg stand. Noch 1986 hatte die Schweizer Bevölkerung einen UNO-Beitritt wuchtig an der Urne verworfen. Der Beitritt 16 Jahre später stand unter dem Zeichen der aussenpolitischen Öffnung nach dem Ende des Kalten Kriegs: Im März 2002 wurde die Volksinitiative «Für den Beitritt der Schweiz zur Organisation der Vereinten Nationen» mit 54,6 Prozent Ja-Stimmen angenommen. «Die Ziele der UNO-Charta entsprechen den Zielen der schweizerischen Aussenpolitik», hatte der Bundesrat in seiner Botschaft verkündet: «Sie kann den Bestimmungen der Charta Folge leisten, ohne die Neutralität aufzugeben» (dodis.ch/53989). «Dass sowohl im Abstimmungsbüchlein, im Beitrittsgesuch als auch in der Rede des Bundespräsidenten immer wieder penetrant auf eine Bekräftigung der Neutralität hingewiesen wurde, zeigt das jahrzehntelange Ringen der Landesregierung nach einem Kompromiss und veranschaulicht paradigmatisch die verzweifelte Suche nach einem Surrogat für das fehlende Sonderstatut, wie es der Schweiz seinerzeit anlässlich des Beitritts zum Völkerbund 1920 noch explizit gewährt worden war», bilanziert Sacha Zala, Direktor der Forschungsstelle Dodis. «Dabei hätte eigentlich bereits seit 1946 auch für die Schweiz evident sein müssen, dass neutrale Staaten problemlos auch als UNO-Mitglieder neutral bleiben konnten.» Direkt zum neuen Band: www.dodis.ch/q15
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50 Jahre Dodis

Dodis wird 50!

Dieses Jahr feiert die Forschungsstelle Dodis Jubiläum: Im kommenden Herbst jährt sich die Gründung des Forschungsprojekts zum 50. Mal. Die Initiative zur Edition der Diplomatischen Dokumente der Schweiz konkretisierte sich im Laufe des Jahres 1972. Der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte, Professor Louis-Edouard Roulet, lud im September 1972 die «Initianten, die Historischen Institute der schweizerischen Universitäten, den Gesellschaftsrat der AGGS/SGSH und weitere interessierte Kreise» zu einer Sitzung am Samstag, den 14. Oktober 1972, 10 Uhr, am Historischen Institut der Universität Bern ein: «Eine Gruppe jüngerer Historiker, vornehmlich aus der welschen Schweiz, hat die Herausgabe einer möglichst umfassenden Quellensammlung zur schweizerischen Aussenpolitik seit 1848 angeregt», informierte er die Eingeladenen (dodis.ch/37044). An jenem denkwürdigen Samstag im Herbst 1972 präsentierte Antoine Fleury im Namen der Initianten die Idee des Projekts und nach einer Eintretensdebatte beschlossen die Anwesenden, ein Komitee zu bilden, um das Vorhaben voranzutreiben (dodis.ch/37043). Dodis war gegründet! Seit der Publikation des ersten Bandes der Aktenedition (DDS, Bd. 7-I) im Jahr 1979 sind 28 weitere Bände zu den internationalen Beziehungen der Schweiz seit der Bundesstaatsgründung 1848 erschienen. Die nun dritte Serie der DDS zu den 1990er Jahren wurde äusserst erfolgreich am 4. Januar 2021 lanciert mit den gleichentags im Bundesarchiv neu zugänglichen Dokumenten zum Jahr 1990. Die Forschungsstelle hat ferner mit den Quaderni di Dodis und den Saggi di Dodis neue Publikationsgefässe für die Geschichte der Aussenbeziehungen der Schweiz geschaffen, sich nicht zuletzt dank der bereits seit 25 Jahren frei zugänglichen Datenbank zu einem «Flaggschiff der Digital Humanities» entwickelt und sich als Paladin der Open-Access-Bewegung starkgemacht. Dies alles feiert die Forschungsstelle Dodis in den kommenden Monaten zusammen mit befreundeten Institutionen und Wissenschaftskreisen, ihren Stakeholdern und der Öffentlichkeit: Agenda 15. Juli 2022 Festakt und Wissenschafts-Networking im Bundesarchiv. 17. September 2022 Stand an der SAGW-Jubiläumsmesse auf dem Bahnhofplatz Bern. Ab 14.30 Uhr ist die interessierte Öffentlichkeit herzlich willkommen. 18. Oktober 2022 Veranstaltung im Bundeshaus mit Bundespräsident Ignazio Cassis.
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Screenshot Dodis-Datenbank 2001

Dodis: 25 Jahre online!

Als erste Edition diplomatischer Dokumente weltweit ging Dodis am 28. Mai 1997 im Palais des Nations in Genf online und schrieb damit ein Stück Pioniergeschichte des Internets. Als die allerersten Dokumente auf der Datenbank Dodis online geschaltet wurden, steckten die Recherchen der Forschungsstelle noch mitten in den 1940er Jahren. Zum ersten veröffentlichten Dokument dodis.ch/3, eine Aktennotiz vom 9. Mai 1947, haben sich seither 43'425 Dokumente, 55'557 Personeneinträge, 26'426 Organisationen und 10'497 geografische Einträge gesellt und die Forschungen sind nun scharf an der 30-jährigen Archivschutzfrist angelangt. In diesen Monaten erforscht Dodis das Jahr 1992 und wird die dabei zutage geförderten Dokumente am 1. Januar 2023 exakt beim Ablauf der Schutzfrist publizieren. Als Dodis 1997 online ging, gaben gerade einmal 6,8 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer an, das Internet «mehrmals pro Woche zu nutzen». Weitere 15,1 Prozent deklarierten, es «mindestens einmal in den letzten 6 Monaten» genutzt zu haben und unter der Top-Level-Domain «.ch» waren lediglich 129 Webadressen registriert. Auch die Snapshots des «Internet Archive» reichen nicht ganz bis ins Jahr 1997 zurück. Wie die Datenbank vier Jahre später, im Jahr 2001, aussah, zeigt das Titelbild dieser Mitteilung. Mit der Onlineschaltung der Datenbank Dodis am 28. Mai 1997 hat die Forschungsstelle nicht nur einen Meilenstein gesetzt, sie hat sich selbst auch ein schönes Jubiläumsgeschenk gemacht: So feiern wir heuer nicht nur die 25 Jahre der Datenbank Dodis, sondern auch die 50 Jahre der Gründung der Forschungsgruppe Diplomatische Dokumente der Schweiz. Die Initiative zur Edition der Diplomatischen Dokumente der Schweiz konkretisierte sich im Laufe des Jahres 1972. Der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte, Professor Louis-Edouard Roulet, lud im September 1972 die «Initianten, die Historischen Institute der schweizerischen Universitäten, den Gesellschaftsrat der AGGS/SGSH und weitere interessierte Kreise» zu einer Sitzung am Samstag, den 14. Oktober 1972, 10 Uhr, am Historischen Institut der Universität Bern ein: «Eine Gruppe jüngerer Historiker, vornehmlich aus der welschen Schweiz, hat die Herausgabe einer möglichst umfassenden Quellensammlung zur schweizerischen Aussenpolitik seit 1848 angeregt», informierte er die Eingeladenen (dodis.ch/37044). An jenem denkwürdigen Samstag im Herbst 1972 präsentierte Antoine Fleury im Namen der Initianten die Idee des Projekts und nach einer Eintretensdebatte beschlossen die Anwesenden, ein Komitee zu bilden, um das Vorhaben voranzutreiben (dodis.ch/37043). Dodis war gegründet! Seit der Publikation des ersten Bandes der Aktenedition (DDS, Bd. 7-I) im Jahr 1979 sind 28 weitere Bände zu den internationalen Beziehungen der Schweiz seit der Bundesstaatsgründung 1848 erschienen. Die nun dritte Serie der DDS zu den 1990er Jahren wurde äusserst erfolgreich am 4. Januar 2021 lanciert mit den gleichentags im Bundesarchiv neu zugänglichen Dokumenten zum Jahr 1990. Die Forschungsstelle hat ferner mit den Quaderni di Dodis und den Saggi di Dodis neue Publikationsgefässe für die Geschichte der Aussenbeziehungen der Schweiz geschaffen, sich nicht zuletzt dank der bereits seit 25 Jahren frei zugänglichen Datenbank zu einem «Flaggschiff der Digital Humanities» entwickelt und sich als Paladin der Open-Access-Bewegung starkgemacht. Dies alles feiern wir in den kommenden Monaten zusammen mit befreundeten Institutionen und Wissenschaftskreisen, unseren Stakeholdern und der Öffentlichkeit: Agenda 15. Juli 2022 Festakt und Wissenschafts-Networking im Bundesarchiv. 17. September 2022 Stand an der SAGW-Jubiläumsmesse auf dem Bahnhofplatz Bern. Ab 14.30 Uhr ist die interessierte Öffentlichkeit herzlich willkommen. 18. Oktober 2022 Veranstaltung im Bundeshaus mit Bundespräsident Ignazio Cassis.
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Am 26. Mai 1918 erklärte die georgische Nationalversammlung die Demokratische Republik Georgien für unabhängig / Le 26 mai 1918 le Conseil national géorgien déclare l'indépendance de la République démocratique de Géorgie. Bild / Image: museum.ge

Die Schweiz, Georgien und die Anerkennungsfrage

Vor genau 30 Jahren, am 23. März 1992, notifizierte die Schweiz mittels Fernschreibens die Anerkennung Georgiens (dodis.ch/61323). Den Entscheid über die Anerkennung der Nachfolgestaaten der Sowjetunion hatte der Bundesrat bereits im Dezember 1991 gefällt (dodis.ch/57514), aber den Vollzug aufgrund der verworrenen innenpolitischen Lage in Georgien noch aufgeschoben. Mit der Überreichung des Beglaubigungsschreibens durch Botschafter Jean-Pierre Ritter beim georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern offiziell aufgenommen (dodis.ch/61191). Die Frage der Anerkennung Georgiens stellte sich für die Schweiz indes nicht zum ersten Mal: Bereits beim Zerfall des Zarenreichs im Zuge der Russischen Revolution von 1917 bemühte sich die «Demokratische Republik Georgien» international anerkannt zu werden. Der junge Staat versuchte auch mit der Schweiz diplomatische Beziehungen aufzunehmen (dodis.ch/60566). Im Juli 1921 entschied der Bundesrat «aus prinzipiellen Gründen» Georgien nicht anzuerkennen (dodis.ch/60569). Im Februar 1921 war die Rote Armee einmarschiert und die Regierung der «Demokratischen Republik» befand sich bereits im Exil in Paris. An ihrer statt war es dann vor 100 Jahren, im März 1922, die von Moskau installierte Räteregierung in Tiflis, die sich um die Aufnahme offizieller diplomatischer Beziehungen mit der Schweiz bemühte (dodis.ch/44817). Der Bundesrat lehnte allerdings auch dieses Ersuchen ab (dodis.ch/60571). Mit der Gründung der Georgischen Sozialistischen Sowjetrepublik, ihrer Eingliederung in die Transkaukasische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik im Dezember 1922 und dem damit verbundenen Souveränitätsverlust des Landes war die Anerkennungsfrage für die nächsten 70 Jahre vom Tisch. Die Basler Historikerin Fenja Läser befasst sich seit längerem mit der Geschichte der schweizerisch-georgischen Beziehungen. Das Ergebnis ihrer Forschungsarbeit ist ein soeben in der Zeitschrift Saggi di Dodis erschienener Artikel: «‹L’appui de la sœur aînée›? Die Schweiz, die Demokratische Republik Georgien und die Anerkennungsfrage 1918–1921» zeichnet diese spannenden Zeiten anhand zahlreicher Dokumente aus unterschiedlichen Archiven nach. Die zentralen Dokumente aus dem Bundesarchiv wurden auf Dodis publiziert, mit allen Metadaten erschlossen und können unter der Zusammenstellung dodis.ch/C2137 konsultiert werden.
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er Schweizer Bundespräsident Flavio Cotti anlässlich seiner Rede am Europatag in Sils im Engadin/Segl vom 7. September 1991 vor zahlreichen nationalen und internationalen Gästen im Rahmen der 700-Jahrfeier der Eidgenossenschaft

Öffnung der Archive – Neue Dokumente zur Schweizer Aussenpolitik 1991 

Am 1. Januar 2022 laufen die Schutzfristen für die Bundesakten von 1991 ab. Die neu zugänglichen Dokumente zeigen den kontroversen Abschluss des EWR-Vertrags und die aussenpolitischen Herausforderungen der Schweiz beim Ausbruch des Golfkriegs und der Jugoslawienkriege sowie beim Zerfall der Sowjetunion. «Europa ist ein Teil von uns, und wir selbst sind ein Teil Europas. So war es immer, und so wird es immer bleiben.» Bundespräsident Flavio Cotti zeigte sich vor zahlreichen in- und ausländischen Gästen, die im Rahmen der 700-Jahrfeier der Eidgenossenschaft im September 1991 nach Sils im Engadin geladen waren, als überzeugter Europäer (Dok. 37, dodis.ch/57668). Die apodiktische Statik seiner Verortung steht allerdings in deutlichem Kontrast zur Dynamik der europapolitischen Entwicklungen des Jahres 1991. «Die Frage nach den zukünftigen Beziehungen zu Europa erschien im Jubiläumsjahr ungewisser und der Bundesrat gespaltener denn je», sagt Sacha Zala, Direktor der Forschungsstelle Dodis, und beruft sich dabei auf den neuen Band der Diplomatischen Dokumente der Schweiz (DDS), der die schweizerische Aussenpolitik des Jahres 1991 anhand ausgewählter Dokumente eingehend dokumentiert. Zahlreiche weitere Zeitzeugnisse, die am 1. Januar 2022 – pünktlich nach Ablauf ihrer gesetzlichen Schutzfrist – nun veröffentlicht werden können, zeichnen das Bild eines ernüchternden Jahres, das insbesondere nach dem hoffnungsvollen Wendejahr 1990 auch für die Schweiz neue Herausforderungen stellte.   «Satellisierung» durch den EWR? Die europäische Integration blieb während des gesamten Jahres das vordringliche Thema. Ein Lichtblick war dabei der Abschluss des Transitabkommens mit der Europäischen Gemeinschaft (EG) durch Bundesrat Adolf Ogi (Dok. 51, dodis.ch/58168). Weniger erfolgreich verliefen die Verhandlungen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Erschien der «Mittelweg» des EWR 1990 noch als einzig gangbare Lösung, war sich der Bundesrat 1991 überhaupt nicht mehr einig. Im März unterbreitete Bundespräsident Cotti seinem Bundesratskollegen Jean-Pascal Delamuraz, der das Wirtschaftsdepartement leitete und die Verhandlungen mit der EG zusammen mit Aussenminister René Felber führte, den Vorschlag, die «demütigenden» Verhandlungen über den EWR so rasch wie möglich zu Gunsten eines direkten Beitrittsgesuchs abzubrechen (Dok. 9, dodis.ch/57510). Sinnbildlich für die Uneinigkeit innerhalb des Bundesrates stand auch die kontroverse Diskussion in der Bundesratssitzung vom 17. April 1991: Während Finanzminister Otto Stich überzeugt war, dass «ein schlechter Vertrag nie als ein Schritt in die richtige Richtung» betrachtet werden könne und der zu diesem Zeitpunkt vorliegende EWR «eine Satellisierung der Schweiz» bedeute, hob Aussenminister Felber «die zahlreichen positiven Punkte» und «die sicheren Vorteile» selbst eines für die Schweiz unausgewogenen Abkommens hervor. Für Verteidigungsminister Kaspar Villiger bewegte sich das Land hingegen «auf dem Weg eines Kolonialstaates mit Autonomiestatut» (Dok. 13, dodis.ch/57331).    Internationaler Druck In Gesprächen mit den europäischen Partnern versuchten die Bundesräte verschiedentlich, ihren Unmut über den Verlauf der Verhandlungen kundzutun. Der deutsche Aussenminister Genscher entgegnete entschieden, nur als EG-Mitglied könnten «die eigenen nationalen Interessen optimal zur Geltung gebracht werden» (Dok. 16, dodis.ch/57028). Noch kritischer gegenüber dem schweizerischen Abseitsstehen äusserte sich Frankreichs Präsident Mitterrand und rief pointiert ins Bewusstsein, dass Banken allein als Basis für eine Zivilisation nicht ausreichten (Dok. 25, dodis.ch/58092), während EG-Chefunterhändler Krenzler gar von einem «Modernitätsdefizit» der Schweiz sprach, das durch einen schweizerischen Beitritt zur EG, respektive über den Wartsaal EWR «korrigiert» werden könnte (Dok. 27, dodis.ch/58039). Erst unmittelbar vor der Tagung der EG- und EFTA-Minister in Luxemburg, an welcher gemäss schweizerischer Seite «der Durchbruch erzwungen oder aber das Scheitern der Verhandlungen festgestellt werden» sollte (Dok. 44, dodis.ch/58388), fasste der Bundesrat seinen Grundsatzentscheid. Die Bundesräte Felber und Delamuraz akzeptierten in der Nacht auf den 22. Oktober 1991 die Verhandlungsergebnisse über den EWR-Vertrag und erklärten den EG-Beitritt der Schweiz zum strategischen Ziel. Doch: «Die Abstimmung über den EWR-Vertrag ist noch nicht gewonnen», antizipierte die Aussenpolitische Kommission des Ständerats im November nüchtern: «Wir müssen noch eine riesige Arbeit leisten, wenn das Volk diesen Vertrag annehmen soll.» (Dok. 56, dodis.ch/58525).   Dramatische Entwicklungen in Osteuropa Ungebremst dynamisch zeigten sich 1991 auch die Entwicklungen im Osten des Kontinents. Unter der «Maxime der solidarischen Mitverantwortung» verabschiedete der Bundesrat einen neuen Osthilfe-Kredit über 800 Mio. CHF. Neu sollten auch Albanien, Bulgarien, Rumänien, Jugoslawien und die UdSSR von der Schweizer Finanzhilfe profitieren (Dok. 35, dodis.ch/57522). Die Sowjetunion sollte es aber Ende 1991 gar nicht mehr geben: Mit der Gründung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) im Dezember hörte die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken auf zu existieren. Die in Anerkennungsfragen grundsätzlich zurückhaltende Schweiz gehörte bemerkenswerterweise zu den ersten Ländern, welche die Anerkennung der sowjetischen Nachfolgerepubliken verkündeten (Dok. 61, dodis.ch/57514). Die dramatischen Entwicklungen in Jugoslawien wirkten sich in der Schweiz unter anderem auf den Umgang mit der bedeutenden jugoslawischen Migrationsbevölkerung aus. Die Schweiz bemühte sich im Rahmen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), aber auch mit unilateralen Vermittlungsinitiativen zur Deeskalation auf dem Balkan beizutragen (Dok. 50, dodis.ch/58114).   «Gute Dienste» in einer neuen Weltordnung Auch in anderen Weltgegenden versuchte sich die Schweiz beschwichtigend einzubringen. Als sich kurz vor Ausbruch des Golfkriegs im Januar die Aussenminister der USA und des Irak noch einmal zu Gesprächen in Genf trafen, offerierte der Bundesrat zum wiederholten Mal «Gute Dienste» und Unterstützung im Vermittlungsprozess (Dok. 2, dodis.ch/57332). Im Libanonkonflikt setzte sich die Schweizer Diplomatie für die Befreiung von Geiseln und Gefangenen ein (Dok. 33, dodis.ch/58395) und in Afghanistan versuchte sie durch die Schaffung eines neuen Gesprächsrahmens zu einer politischen Lösung der verfahrenen Situation beizutragen (Dok. 29, dodis.ch/57737). «Wie aktiv sich die schweizerische Aussenpolitik 1991 an Seite der Vereinten Nationen, aber durchaus mit eigenen Ambitionen, an der Beilegung oder Verhinderung von Konflikten in ganz unterschiedlichen Weltgegenden beteiligte, ist beachtenswert», sagt Dodis-Direktor Zala. Die Suche der Schweiz nach ihrem Platz in der neuen Weltordnung ging mit einer wachsenden Partizipation in multilateralen Gremien einher. So genehmigte das Parlament in der Herbstsession den Beitritt der Schweiz zu den Institutionen von Bretton Woods (Dok. 40, dodis.ch/58258).   Wirtschaftsbeziehungen und Entwicklungshilfe Mit Reisen in und Besuchen aus wirtschaftlich dynamischen Regionen ausserhalb von Europa sollte vermieden werden, dass sich die Schweiz zu einseitig auf die europäische Integration fokussierte. Bei Bundesrat Delamuraz’ Visite in Südkorea und Singapur standen ökonomische Themen genauso im Zentrum (Dok. 10, dodis.ch/57647), wie bei Bundesrat Felbers Reise nach Indien (Dok. 47, dodis.ch/57398), Staatssekretär Jacobis Besuch in Beijing (Dok. 21, dodis.ch/57590) oder dem Empfang des argentinischen Aussenministers Di Tella in Bern (Dok. 12, dodis.ch/58462). Ein neues Leitbild der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe legte die Basis für den Dialog mit den Partnern in den Entwicklungsländern (Dok. 28, dodis.ch/58718). Ausgehend von einer Petition der Hilfswerke fand die Entwicklungszusammenarbeit ausserdem prominenten Eingang in die 700-Jahrfeier der Eidgenossenschaft. Mit symbolträchtigen 700 Mio. CHF wollte der Bundesrat einerseits Entschuldungsmassnahmen zugunsten ärmerer Entwicklungsländer finanzieren und andererseits einen Beitrag zu Umweltprogrammen und -projekten von globaler Bedeutung leisten (Dok. 59, dodis.ch/57999).  Jugendsession fordert eine «solidarische Schweiz» Eine solidarische Schweiz forderten schliesslich auch die Teilnehmenden der ersten eidgenössischen Jugendsession, die im Rahmen der 700-Jahrfeier stattfand. «Holzschnittartig entwarfen die Jugendlichen ein aussenpolitisches Aktionsprogramm, das den Zeitgeist der Öffnung und des Aufbruchs atmete», führt Dodis-Direktor Zala aus. Für die gegenwärtige und zukünftige schweizerische Aussenpolitik forderten sie von der Schweiz eine weltweite Vorreiterrolle und rasches Handeln, denn: «Es ist uns nicht egal, was in den anderen Ländern dieser Welt passiert» (Dok. 43, dodis.ch/58000).
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