700-Jahrfeier der Eidgenossenschaft – die internationale Dimension

1291 bis 1991 – 700 Jahre Eidgenossenschaft – ein Grund zum Feiern. Das sagte sich die Schweiz in den ausgehenden 1980er Jahren. «CH91» hiess das gigantische Jubiläumsprojekt, das im Zusammenspiel mit einer Landesausstellung rund um den Vierwaldstättersee stattfinden sollte – und 1987 am Innerschweizer Stimmvolk grandios scheiterte. Das neue, dezentralere Konzept unter dem Motto «Begegnungen 1991» und der Gesamtleitung des Delegierten des Bundesrats, Marco Solari, sollte dem Gigantismus des ersten Vorschlags entgegenwirken und der weltoffenen Dimension der Schweiz Platz einräumen (dodis.ch/59889). Nebst dem «Fest der Eidgenossenschaft» und dem «Fest der vier Kulturen» sollte das «Fest der Solidarität» verdeutlichen, dass sich die «Schweiz als Teil der Völkergemeinschaft versteht und auch gewillt ist, zur Gestaltung dieser weltweiten Gemeinschaft beizutragen» (dodis.ch/57786).  

Tag der internationalen Beziehungen  

Der Startschuss für die internationale Dimension der Jubiläumstrilogie verkörperte der «Tag der internationalen Beziehungen» am 14. Juni 1991 (dodis.ch/C1922). Mit UNO-Generalsekretär, Javier Pérez de Cuéllar, der Generalsekretärin des Europarats, Catherine Lalumière und EFTA-Generalsekretär Georg Reisch sowie den Aussenministern der Nachbarstaaten empfing der Gesamtbundesrat illustre Gäste zu politischen Gesprächen im Landgut Lohn (dodis.ch/57698). Am anschliessenden Festakt im Bundeshaus schlossen sich ihnen weitere geladene Gäste aus dem In- und Ausland an. Zu den wohlwollenden Rednern gehörte der UNO-Generalsekretär, der von den drei «Wundern» der Schweiz sprach: Sie sei geeint und doch vielseitig, auf ihre Unabhängigkeit bedacht und gleichzeitig weltoffen und schliesslich arm an natürlichen Ressourcen und trotzdem reich (dodis.ch/59057).  

Die Welt trifft Graubünden  

Weniger offiziell, dafür umso bunter wurde es im Sommer in Graubünden, dem Gastgeberkanton des Herzstücks des Solidaritätsfests. Ganz im Zeichen der aussereuropäischen Länder stand das Internationale Fest, das durch zahlreiche Kurse, Konzerte, Austauschprojekte, Workshops und einem grossen Volksfest in Chur persönliche Begegnungen mit Menschen aus aller Welt ermöglichte. Während letzteres als voller Erfolg verbucht wurde, blieb der Widerhall des Symposiums «Wem gehört die Welt?», das dem Nord-Süd-Dialog gewidmet war, etwas unter den Erwartungen (dodis.ch/59059). Der ursprünglich angedachte Ehrengast aus Simbabwe, Robert Mugabe, lehnte die Einladung aufgrund anderer Verpflichtungen ab (dodis.ch/57946). 

«Treuzeugnis an Europa»  

Die «Europäischen Begegnungen» im Engadin entsprachen schliesslich dem bundesrätlichen Wunsch, die Beziehungen zwischen der Schweiz und Europa in der entscheidenden Phase der Verhandlungen mit der EG über den EWR-Vertrag besonders zu unterstreichen (dodis.ch/57786) und boten die Gelegenheit, durch den Blick über die Landesgrenzen hinweg zur Schaffung des neuen Europas beizutragen (dodis.ch/57787). Insbesondere sollte auch die junge Generation in den Dialog miteinbezogen werden: Im Rahmen der Begegnungswoche «Spiert Aviert» (Rätoromanisch für «Offener Geist») tauschten sich Jugendliche aus ganz Europa zur europäischen Zukunft aus, Gedanken, die auch am offiziellen Festakt Ende Woche Gehör fanden.  

Der Europatag am 7. September in Sils-Maria entwickelte sich zu einem der zentralen Anlässe der gesamten 700-Jahrfeier (dodis.ch/C1921) und wollte sich als «Treuzeugnis der Schweiz» an Europa verstanden wissen, wie im Schlussbericht an den Bundesrat nochmals proklamiert wurde (dodis.ch/59883). Mit Elisabeth Guigou, Mario Monti und Carl Friedrich von Weizäcker sprachen drei namhafte Persönlichkeiten über ihre Zukunftsvision für Europa, und Bundespräsident Flavio Cotti offenbarte sich in einer visionären Rede als überzeugter Europäer (dodis.ch/57668). Der Auftritt von Bronislavas Kuzmickas, Vizepräsident des litauischen Staatsrates, stand sinnbildlich für die neuen Verbindungen in den Osten des Kontinents. Damit liess sich der Europatag als schöner Erfolg verbuchen, der lediglich durch die «Stauungen auf dem Weg ins Festzelt» – verursacht durch den zahlreich erschienen europäischen Adel – getrübt werden konnte (dodis.ch/57683).  

Mit Klischeevorstellungen ausräumen  

Mit Festlichkeiten wie diesen sowie zahlreichen Veranstaltungen der Schweizer Botschaften und lokalen Schweizervereine fand die 700-Jahrfeier auch im Ausland Beachtung (dodis.ch/55757). Nicht zuletzt sorgte die «wohl umfangreichste je organisierte Informationskampagne der Schweiz im Ausland» für internationale Aufmerksamkeit. Pressemitteilungen, Logos und Fotos wurden produziert, Medienkonferenzen veranstaltet und Einladungen verschickt, um «bei einem breiten, weltweiten Publikum ein totales, zukunftsgerichtetes Bild der Schweiz bekannt zu machen» (dodis.ch/58068). Falsche Klischeevorstellungen sollten ausgeräumt und die Schweiz als dynamisch, offen und selbstkritisch präsentiert werden – ein Anspruch dem nicht immer entsprochen werden konnte. So seien die Informationen zur schweizerischen Entwicklungshilfe allzu selektiv, kritisch und verzerrend, beklagte der Schweizer Botschafter in Nigeria (dodis.ch/58044). 

«Entwicklung braucht Entschuldung»  

Mit der von Hilfswerken lancierten Petition «Entwicklung braucht Entschuldung» fand die technische Zusammenarbeit prominenten Eingang ins Jubiläumsjahr, das als Anlass genommen wurde, «verstärkte und erneuerte Solidarität auch gegenüber den schwächeren Gliedern der internationalen Gemeinschaft zu beweisen» (dodis.ch/56084). Ein Rahmenkredit von symbolträchtigen 700 Millionen Franken wurde gesprochen, zum einen zur Finanzierung von Entschuldungsmassnahmen zugunsten ärmerer Entwicklungsländer und zum anderen für die Finanzierung von Umweltprogrammen und -projekten globaler Bedeutung.  

Gleichzeitig erfüllten unzählige weitere Veranstaltungen, Ausstellungen, Projekte, dezentrale Feste und Feiern im Zeichen des 700-Jahrjubiläums das Jahr 1991: Junge Menschen aus aller Welt tanzen auf Einladung des Kantons Zürichs an der Welt-Jugendparty (dodis.ch/57568), die «fünfte Schweiz» weihte den neu erstandenen Auslandschweizerplatz in Brunnen ein und im Bundeshaus diskutierten Jugendliche im Rahmen der ersten Jugendsession über die Schweizer Aussenpolitik (dodis.ch/58000).  

Nachdenkliches Jubiläum  

So zog das Büro des Delegierten des Bundesrates Ende 1991 denn auch eine positive Bilanz über das Jubiläumsjahr: «A tous niveaux, les célébrations du 700ème ont largement contribué à abattre les fronts et à réduire les antagonismes.» (dodis.ch/59883) Unbestritten blieben aber auch die Startschwierigkeiten des Jubiläumsprojekts, der Schock in der Öffentlichkeit rund um die 1989 aufgedeckte Fichenaffäre, die Empörung über den als scheinheilig empfundenen Aufruf an die Kulturschaffenden der Schweiz, sich kreativ an der Feier zu beteiligen und der damit verbundene Kulturboykott. Auch die Projektgruppe des Internationalen Festes war von dieser kritischen Welle betroffen, hielt aber am Projekt fest: Damit das Fest keine Jubelfeier werde, sondern «Anstoss, über die Rolle der Schweiz in der Welt nachzudenken» (dodis.ch/59063).