Die Novemberpogrome 1938

«Rotten von halbwüchsigen Jungen, mit Äxten und Brechstangen bewaffnet, durchzogen die Stadt und zerstörten in den jüdischen Geschäften die Scheiben, drangen in dieselben ein und schlugen alles kurz und klein», berichtete Hans Dasen am 11. November 1938 an die Gesandtschaft in Berlin. Der Verweser des Schweizer Konsulats in Frankfurt a. M. wurde Zeuge der sogenannten «Reichskristallnacht» vor 85 Jahren (dodis.ch/46704). Weder er noch sein Kollege, Konsul Franz Rudolph von Weiss in Köln, sahen die Pogromnacht vom 9. auf den 10. November als «spontane Reaktion des deutschen Volkes», wie Reichsminister Goebbels behauptete, sondern erkannten klar, «dass diese unmenschliche Aktion gegen die Juden planmässig auf höheren Befehl hin vorgenommen wurde» (dodis.ch/46705).

Diplomatischer Schutz, aber keine Vorbehalte

Hans Frölicher, der Schweizer Gesandte in Berlin, war erleichtert, dass in der Pogromnacht «erfreulicherweise nur wenige Schweizerbürger zu Schaden gekommen» waren (dodis.ch/46710). Von Aussenminister Giuseppe Motta in Bern erhielt Frölicher die Weisung, sich bei der Deutschen Regierung um eine Wiedergutmachung des entstandenen Schadens seiner Mitbürger zu bemühen – diplomatischer Schutz werde diesen, so sie ihn nachsuchen, «nicht verweigert werden können». Allerdings solle es der Diplomat tunlichst unterlassen, «allgemeine, grundsätzliche Vorbehalte anzubringen», die «als eine Stellungnahme zu den Massnahmen Deutschlands gegen die Juden missdeutet werden könnten» (dodis.ch/46711).

«... ihrer vollständigen Vernichtung entgegen»

Als Vorwand für die Novemberpogrome diente das Attentat auf Legationssekretär Ernst Eduard vom Rath von der deutschen Botschaft in Paris durch Herschel Grynszpan vom 7. November 1938. Minister Walter Stucki wohnte der Trauerfeier für von Rath in Paris bei und lud im Nachgang den deutschen Staatssekretär Ernst von Weizsäcker zum Mittagessen «im engsten Familienkreise» ein. Auf die Pogrome angesprochen sagte von Weizsäcker zum Schweizer Gesandten: «Die noch in Deutschland verbliebenen circa 500 000 Juden sollten unbedingt irgendwie abgeschoben werden, denn sie könnten in Deutschland nicht bleiben. Wenn, wie bisher, jedoch kein Land bereit sei, sie aufzunehmen, so gingen sie eben über kurz oder lang ihrer vollständigen Vernichtung entgegen» (dodis.ch/46709).

 

Vgl. auch das E-Dossier: Die Schweiz, die Flüchtlinge und die Shoah.