Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.5. Confédération germanique
I.5.4. Ouvriers allemands
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1, doc. 71
volume linkBern 1990
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E21#1000/131#173* | |
Dossier title | Beschwerden deutscher Staaten gegen die deutschen Arbeitervereine und die Presse überhaupt in der Schweiz (1849–1860) | |
File reference archive | 11.2.1.1.4.1.01 |
dodis.ch/41070
Mit Schreiben vom 20. febr. a. c. meldet der Präfekt von Murten2, dass er elf Abgeordnete der in der Schweiz befindlichen deutschen Arbeitervereine verhaftet und ihre Schriften mit Beschlag belegt habe. Die letztem übersandte er sogleich mit dem Berichte. Das Departement hat nun einerseits dem Hrn. Präfekten den Auftrag ertheilt, diese Personen in sicherer Haft zu belassen bis auf weitere Verfügung des Bundesrathes und anderseits an die Polizeybehörden derjenigen Kantone geschrieben3, aus welchen die Abgeordneten mit Vollmacht der dortigen Vereine gekommen waren, um die erforderliche Untersuchung der Schriften der Betheiligten vorzunehmen und dieselben nebst einem Verhöre anher zu senden. Bis dieses geschehen ist, lässt sich wohl nichts definitiv verfügen. Inzwischen legt Ihnen das Departement einen Bericht vor über den wesentlichen Inhalt der mit Beschlag belegten Schriften.4
Es sind dieses folgende:
A. Drukschriften
1. Ein Aufruf an die Arbeiter von Dr.Maas in Bern d.d. Jan. 1850 in vielen
Exemplaren. Als Zwek dieser Schrift wird die Verwirklichung der socialen
Republik angeführt; Fürsten und Bourgeoisie sollen vernichtet werden.
Daher die Aufforderung zu Gründung von Arbeiterbildungsvereinen.
Diese sollen socialdemokratische Zeitungen und Werke halten, hierüber
discutiren und im Schreiben, Gesang und in Kriegswissenschaften Unterricht ertheilen, ferner sollen sie eine Namensliste aufstellen von allen Subjekten, welche dem guten Principe gefährlich seyen, z. B. Deputirte, welche
gegen die Volkssache stimmen, Redaktoren reactionärer Blätter, Ärzte und
Advokaten, welche die Armen rüksichtsloser als die Reichen behandeln.
Endlich sollen sie socialdemokratische Schriften in fasslicher Sprache verbreiten.
2. Verschiedene Revolutionslieder, worunter eines «Der Sturmruf», in Musik
gesetzt und in vielen Exemplaren vorhanden.
3. Eine Drukschrift gegen die standrechtlichen Hinrichtungen in Baden.
4. Statuten der Arbeitervereine in Berlin und Leipzig.
B. Andre Schriften
1. Entwurf eines apokryphischen Alphabets.
2. Vollmachten der Abgeordneten von den Lokalvereinen in Zürich, Bern,
St. Imier, Freyburg, Aarau, Lausanne, Locle, La Chaux-de-Fonds, Fleurier.
3. Organisationsentwürfe.
a. Ein Statutenentwurf für einen Bildungsverein.
b. Bundesstatuten der revolutionären Parthey mit dem Motto: Proletarier aller Länder, einigt euch! Als Zwek wird bezeichnet: Einführung einer
einigen, untheilbaren, social-demokratischen Republik; als Bedingungen
werden unter anderem angeführt: revolutionäre Energie und Eifer in der
Propaganda, Verschwiegenheit über alle Angelegenheiten des Bundes
u.s.w. Art. 33 sagt: Jeder Verrath wird mit dem Tode bestraft; Art. 39: Die
Fonds der Lokalbehörden werden verwendet zum Druk und zur Verbreitung propagandistischer Flugschriften, zur Aussendung von Emissären, u.s.w.
c. Centralstatuten der deutschen demokratischen Vereine. Zwek ist: Die
Grundsätze der socialen Demokratie unter den Mitgliedern zum klaren
Bewusstseyn zu bringen und alle Kräfte aufzubieten, um diese Grundsätze
nach aussen zu verbreiten und zu verwirklichen.
d. Abweichende Organisationsanträge des Vereins in Zürich.
e. Statuten-Entwurf betitelt: Selbsthülfe der Arbeiter.
f. Statuten der associrten Arbeiter in Leipzig.
g. Instruktion des Vereins in Fleurier.
h. Anträge des Vereins in La Chaux-de-Fonds, unter anderm: Einen
Emissär für Deutschland zu bestimmen.
i. Protokoll des ersten Congresses in Bern vom 9.–11. Dec. 1848. Zwek:
Auf jede rechtliche Weise social-demokratische Grundsätze ins Leben zu
führen und Verbindung mit den Vereinen in Deutschland (vid. die Beschlüsse).
4. Correspondenz der Vereine unter sich.
a. Ein Schreiben v. G. M. Genf Jan. 1849 an den Verein in La Chaux-de-Fonds (die bemerkenswerthen Stellen aller Briefe sind angestrichen und zu verlesen).
b. Brief des Vereins in Bern d.febr. 1849, an denjenigen in Locle.
c. Brief des Vereins in Genf an denj. in Locle d. Aug. 1849.
d. Brief des Vereins in Genf an denj. in Burgdorf d. Oct. 1849.
e. Brief des Vereins in Genf an denj. in Locle d. Oct. 1849.
f. Brief des Vereins in Genf an denj. in Locle d. Nov. 1849.
g. Brief des Vereins in Genf an denj. in Locle d. Dec. 1849.
h. Brief v. Zürich an Locle d.Dec. 1849.
i. Brief v. Genf an Locle d.Dec. 1849.
k. Brief v. Herisau an Zürich d. Jan. 1850.
1. m. n. Gleichlautende Schreiben von Genf an Zürich, Locle und Bern
d.febr. 1850.
o. Brief v. Winterthur an Zürich d.febr. 1850.
5. Fremde Correspondenz.
Brief v. Greiner aus Kaiserslautern d. Juni 1849.
Brief v. Schram aus London d. Jan. 1850.
Brief v. A. W. (August Willich?) aus London l.febr. 1850.
Mit Schreiben vom 21. febr. übersandte der Präfekt von Murten nachträglich noch folgende Akten, welche durch die Post an die Abgeordneten der Vereine geschickt wurden:
1. Vier Briefe von den Vereinen in Winterthur, Locle, Schaffhausen und Glarus, nebst Begleitschreiben von Genf, alle vom febr. 1850 datirt (Act. 4,
q. r. s. t. u.).
2. Ein Folioband betitelt «Controllbuch der eingehenden und abgehenden Schriften.»
3. Ein dito: Auflagebuch für den Berner-Verein in Bezug auf die Central-Commission.
4. Rechnungsbuch des Cassiers des Central-Ausschusses.
5. Die Correspondenz deutscher und schweizerischer Vereine mit demjenigen
in Bern, wovon besonders die in dem Hefte B eine nähere Durchsicht verdienen.
Aus allen diesen Acten geht zur Evidenz hervor, dass diese Vereine einen grossen Theil der Schweiz umfassen und unter einem provisorischen Central-Verein in Genf stehen, dass sie mit den demokratischen Vereinen in Deutschland, Frankreich und England in Verbindung stehen, dass sie mit allen Kräften daraufhinwirken, zunächst in Deutschland eine durchgreifende politische und sociale Revolution hervorzurufen, einstweilen durch eine weitverzweigte Organisation, durch Verbreitung von Drukschriften und Emissären und sodann im geeigneten Momente durch Waffengewalt. Diese Vereine sind zwar hauptsächlich von aussen her ins Leben gerufen und ähnliche bestehen in vielen Ländern. Allein es lässt sich nicht läugnen, dass die Schweiz vermöge ihrer Freyheit der Presse und der Vereine ihnen einen Wirkungskreis und eine Operationslinie darbietet wie kein anderes Land, und dass man in diesem Sinn die Schweiz mit Recht einen Herd der europäischen Propaganda nennen kann.
Da die Acten zur definitiven Schlussnahme noch nicht spruchreif sind, so frägt sich vor der Hand, was in Bezug auf die Verhafteten in Murten zu verfügen sey. Man könnte sich veranlasst sehen, eine umfassende Untersuchung über diese Angelegenheit einzuleiten; allein das Departement könnte einstweilen nicht dafür stimmen und zwar aus folgenden Gründen:
1. Der objektive Thatbestand ist schon jetzt vollständig hergestellt und für diejenigen Maassregeln, welche der Bundesrath wird anwenden wollen oder können, kann eine auf alle Einzelnheiten gerichtete Untersuchung keinen wesentlichen Einfluss haben.
2. Es würde eine Art Riesen-Procedur entstehen, welche für lange Zeit alle Kräfte des Departements und theilweise des Bundesrathes absorbiren müsste.
3. Eine grosse Agitation in der Bevölkerung würde wahrscheinlich in verschiedenen Richtungen erfolgen und das Resultat der Untersuchung könnte leicht zur Folge haben, das die Schweiz desto mehr compromittirt erschiene.
Daher stellt das Departement den Antrag:
1. Es sey die Praefectur von Murten zu beauftragen, die Verhafteten einzuvernehmen über den Zwek und Umfang der Vereine, denen sie angehören, so wie auch darüber, ob und wie dieselben bey den letzten Revolutionen in Deutschland betheiligt seyen.
2. Sie seyen sodann bis zu weiterer Verfügung freizulassen.
- 1
- E 21/173.↩
- 2
- Non reproduite.↩
- 3
- Circulaire du 21 février 1850 (E 21/69). Cf. les dossiers d’enquête transmis par les cantons au Département fédéral de Justice et Police (E 21/175 –188).↩
- 4
- E 21/180 B «181.↩
- 5
- Le Conseil fédéral adopta le 22 février 1850 les propositions 1 et3(E 1004 1/5, no 547). A la suite d’un nouveau rapport du Département fédéral de Justice et Police du 22 mars 1850 (E 21/ 174, publié dans¥¥ 1850 I, p. 181–238), le Conseil fédéral décida le même jour de renvoyer la plupart des membres des associations d’ouvriers allemands (E 1004 1/5, no 866, FF 1850 I, p. 238-239).↩