Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 6, doc. 166
volume linkBern 1981
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E1005#1000/16#3* | |
Old classification | CH-BAR E 1005(-)1000/16 1 | |
Dossier title | Protokolle des Bundesrates, Geheimprotokolle (Minuten und Originale) 1916 (1916–1916) | |
File reference archive | 4.5 |
dodis.ch/43441 CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 11 janvier 19161
Neutralitätswidriges Verhalten der Obersten Egli und von Wattenwyl
Procès-verbal de la séance du 11 janvier 19161
Angesichts der umlaufenden Gerüchte und der Erregung, die in weiteren Kreisen der Bevölkerung nach den Wahrnehmungen auch der Mitglieder des Bundesrates platzgegriffen hat, erscheint es nicht zu umgehen, die Vorgänge, die zur Entfernung der Obersten Egli und von Wattenwyl aus dem Generalstabe geführt haben, im Bundesrate zu besprechen.
Herr Bundesrat Motta hat allerdings in einer der letzten Sitzungen kurz von der Verfügung der Armeeleitung2 über die beiden Obersten eine Mitteilung gemacht, allein es kann hierbei nicht verbleiben.
Herr Bundespräsident Decoppet ist in der Lage, über den Tatbestand folgende Darstellung zu geben:
Bei dem Generalstab war ein gewisser Langie als «Kryptograph», d.h. zum Entziffern der chiffrierten Depeschen, angestellt. Während eines Urlaubes hat sich Langie an seinen Arzt gewandt, um ein Zeugnis über seinen Gesundheitszustand, der ihm verbiete, seinen Dienst wiederaufzunehmen, zu erhalten. Diesem Arzte mache der Genannte, der angab, gewissenshalber die ihm zugemutete Tätigkeit nicht mehr aufnehmen zu wollen, Mitteilungen über seine Beschäftigung auf dem Generalstab. Diese Mitteilungen wurden dem Herrn Bundespräsidenten weitergegeben.
Herr Bundespräsident Decoppet hat hierauf mit Langie eine Unterredung an einem Drittorte gehabt und sich von Langie eine Darstellung3 geben lassen. Langie hat nun angegeben, dass er als Kryptograph zur Dechiffrierung in folgender Weise beschäftigt worden sei:
Einmal habe er russische Depeschen, die an die hiesige russische Gesandtschaft gerichtet waren und von der Nachrichtenabteilung des Generalstabes aufgefangen wurden, entziffern müssen.
Dann habe Oberst Egli, anlässlich seiner Reise nach Deutschland, in Deutschland russische Depeschen erhalten, die dort nicht entziffert werden konnten. Diese Depesche habe er im Aufträge oder gemäss Wunsch der deutschen Militärbehörde nach Bern gebracht. Langie habe auch zu diesen Depeschen den Geheimschlüssel herausgebracht und die Depeschen übersetzt, worauf sie der deutschen Gesandtschaft zugestellt wurden.
Langie habe im Verlaufe seiner Tätigkeit den Herren Egli und von Wattenwyl gegenüber sein Erstaunen ausgesprochen, dass er nur russische Depeschen zu entziffern habe. Hierauf habe man ihm auch deutsche Depeschen zu entziffern gegeben. Langie sei nun erstaunt gewesen, dass diese Depeschen, welche der deutsche Militârattaché von Bismark an deutsche kommandierende Generäle richtig an das Hauptquartier richtete, jeweils mit einer Wendung begannen, wie: Der schweizerische Generalstab weiss, ... der schweizerische Generalstab vernimmt.... Zu diesen Gruppen von Vorgängen kommt noch folgendes:
Der französische Botschafter Beau und der französische Militârattaché Pageot haben, der erste bei dem Herrn Vorsteher des politischen Departementes, der zweite beim Herrn Vorsteher des Militärdepartementes vorgesprochen und den beiden Departementsvorstehern folgende Beschwerde vorgetragen:
Es sei aus zuverlässiger Quelle (source suisse et sûre) bekannt geworden, dass jeden Abend durch einen Radfahrer an die österreichische und die deutsche Gesandtschaft ein geheimes Dossier aus Auftrag des schweizerischen Generalstabes überbracht werde. Diese Sendung sei zeitweise durch einen welschen Radfahrer ausgeführt worden. Diesem sei dieser Verkehr verdächtig erschienen, weshalb er der Sache auf die Spur gegangen sei. Es habe sich herausgestellt, dass die verdächtige Sendung in den Bulletins bestanden, die täglich auch an den Bundesrat gerichtet sind und als Geheimstücke unter den Mitgliedern des Bundesrates zirkulieren.
Von diesen Vorgängen hat der Bundespräsident, Herr Decoppet, dem Herrn General schriftlich Kenntnis gegeben. Der General habe dann die bekannten Verfügungen gegenüber den beiden Obersten getroffen. Infolge seiner plötzlichen Erkrankung habe er die Angelegenheit nicht weiter verfolgen können.
Gegenwärtig sei, soviel er zu wissen glaube, die Sache so, dass Herr Oberst Egli mit dem Kommando der Hauensteinbefestigung und Oberst von Wattenwyl mit dem Kommando einer Brigade der zweiten Division betraut worden sei.
Herr Bundespräsident Decoppet fügt noch bei, dass die Vorgänge nach allem, was man hört, ziemlich bekannt seien und Anlass geben zu allerlei übertriebenen Gerüchten. Er wisse nur, dass Redaktor Bonnard vom Journal de Genève, Oberst Secrétan und noch andere im Geheimnis seien. Es sei ihm für heute nachmittag eine von Grossrat de Rebours geführte Delegation angekündigt, die Aufklärung wünsche. Herr Secrétan habe sich gleichweise um eine Audienz beworben, und schliesslich sei auch Redaktor und Nationalrat Grimm angemeldet. Es sei daher nötig, dass der Bundesrat zu der Angelegenheit Stellung nehme.
Herr Bundesrat Motta teilt in Ergänzung des von dem Herrn Bundespräsidenten Dargestellten mit, dass Herr General Wille ihn aufgesucht und dass er sich mit ihm, einmal in Gegenwart des Herrn Bundesrats Hoffmann, über die Angelegenheit besprochen habe. Obschon der Tatbestand ihm damals nicht so gravierend erschienen sei, wie der heute wohl beurteilt werden müsse, habe er dem Herrn General seine Meinung dahin ausgedrückt, dass er (ganz bestimmte [von Herrn Bundesrat Motta angemerkt]) Zweifel darüber habe, ob die über Egli und Wattenwyl verhängten Folgen die ausreichende Sanktion für ihre Verfehlungen seien. Denn die Kommandoübertragungen höben doch die Anordnung der Armeeleitung wieder einigermassen auf. Herr Bundesrat Motta sagte, gewissermassen zu seiner Rechtfertigung, er habe sich auf das dringende Ansuchen des Herrn Generals dazu bewegen lassen, dem Bundesrate keine eingehenderen Mitteilungen zu machen.
Herr Bundesrat Hoffmann fügt schliesslich dem Gesagten noch bei, dass er heute morgen den General noch gesprochen habe. Aus seinen Äusserungen gehe hervor, dass er sich auf weitere Anordnungen nicht einzulassen geneigt sei.
Herr Bundesrat Forrer ist durch die vorgetragenen Mitteilungen auf das äusserste beunruhigt. Er ist indessen der Meinung, dass man den Vorgängen gegenüber ruhig Blut bewahren und ein objektives Urteil zu gewinnen suchen müsse. Das könne nur dadurch geschehen, dass man eine Untersuchung anordne, sei es nun eine administrative oder, da die beiden Obersten unter der Militärgerichtsbarkeit stehen, eine militärgerichtliche.
Herr Bundesrat Calonder vertritt die Auffassung, dass sich der Bundesrat mit dem Verfahren des Generals nicht einverstanden erklären könne. Zwar liegt die Kompetenz sicherlich beim General. Das hindert aber nicht, dass der Bundesrat seiner Meinung dem General gegenüber Ausdruck gebe. Die beiden Offiziere sollten einfach zur Disposition gestellt werden, denn ihre Handlungsweise ist eine krasse Pflichtverletzung. Die Entzifferung der russischen Depeschen, der aufgefangenen sowohl als auch der von Egli hereingebrachten, ist eine reine Kriegshilfe.
Wenn Herr Bundesrat Forrer die Anhebung einer Untersuchung anregt, so dürfte er damit den richtigen Weg angedeutet haben.
Herr Bundesrat Müller betrachtet die Sache als ausserordentlich bedenklich. Er ist, so wie die Angelegenheit jetzt steht, noch nicht darüber im klaren, ob eine Dispositionsstellung genüge oder ob eine militärgerichtliche Untersuchung zu eröffnen sei. Die Handlungsweise der beiden Offiziere ist zweifelsohne neutralitätswidrig. Es ist zu hoffen, dass der General sich der Ansicht, die beiden Offiziere seien zu behandeln wie jeder andere Bürger, nicht verschliessen werde.
Herr Bundesrat Hoffmann beantragt, hier abzubrechen und nachmittags eine ausserordentliche Sitzung mit General Wille abzuhalten.
Herr Vizepräsident Schulthess kann sich, wie die übrigen Herren, dem Ernste der Sachlage nicht entziehen.
Man wird beinahe geneigt, wenn die geschilderten Tatsachen sich als zutreffend erweisen, an Zuwiderhandlungen z.B. gegen Art.5 der Verordnung betreffend Strafbestimmungen für den Kriegszustand vom 6. August 1914 zu glauben. Dies hätte zur Folge, dass eine Suspendierung der beiden Offiziere und eine Überweisung der Angelegenheit an den Oberauditor zu erfolgen hätten.
Ohne Gegenantrag wird beschlossen, die Beratung hier abzubrechen und eine Sitzung auf nachmittags 2 1/2 Uhr anzuberaumen, zu welcher auch Herr General Wille einzuladen ist4.
- 1
- E 1005 2/1.↩
- 2
- Cf. no 165.↩
- 3
- Cf. no 160.↩
- 4
- A cette séance du Conseil fédéral il est dit: [...] Herr Bundespräsident fasst das Ergebnis der Besprechung dahin zusammen, dass, in Übereinstimmung mit dem Wunsche des Bundesrates, Herr General Wille eine Untersuchung über die mehrerwähnten Vorgänge veranlassen wird. Nach Beendigung der Untersuchung wird ihr Ergebnis dem Bundesrate unterbreitet werden, worauf der Bundesrat, je nach der Lage der Dinge, seine Entscheidungen treffen wird. Über diese vom Herrn Bundespräsidenten eben angegebenen Vorgehen herrscht allgemeine Übereinstimmung. Es ist demnach darnach beschlossen.↩
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