Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 6, doc. 129
volume linkBern 1981
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001A#1000/45#744* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(A)1000/45 94 | |
Dossier title | Nr. 721. Depeschen und Berichte der schweizerischen Gesandtschaft in Wien, v.a. über den allgemeinen Gang der Kriegsereignisse und die Beziehungen zur Schweiz (1914–1917) | |
File reference archive | B.272.14 |
dodis.ch/43404
Mein Telegramm von gestern abend bestätigend beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, dass ich, Ihren telegraphischen Weisungen vom 21. des Monats entsprechend, mich sofort zum 1. Sektionschef im Ministerium des Äussern begab, um ihm Ihren Dank für die neuerliche Anerkennung2 unserer Neutralität auszusprechen, wobei ich ihm mitteilte, ich würde mich bei nächster Gelegenheit noch beim Minister persönlich bedanken. Gleich nach Empfang Ihres Telegramms vom 24. benachrichtigte ich das Ministerium auch von der Bestätigung der schweizerischen Neutralitätserklärung und bat zugleich um eine Audienz bei Baron Burian, um ihm diese Erklärung offiziell zu übergeben und ihm den Dank des Bundesrates für die zugesicherte peinlichste Beobachtung unserer Neutralität auszusprechen. Obgleich Baron Burian den regelmässigen Mittwochsempfang des Diplomatischen Korps, wie seit einiger Zeit jede Woche, abgesagt hatte, empfing er mich dennoch gestern nachmittag und ich übergab ihm die abschriftlich beiliegende Note3 mit dem geeigneten mündlichen Kommentar. Der Minister äusserte sich dahin, dass die beiderseitigen Erklärungen eigentlich nur eine Formsache seien, indem die Kaiserliche Regierung ebensowenig an der Wahrung einer strengen Neutralität von seiten der Schweiz als wohl der Bundesrat an der peinlichen Beobachtung dieser Neutralität von seiten Österreich-Ungarns je gezweifelt hätten; es sei aber immerhin stets besser, auch der Form nach solche Sachen korrekt zu behandeln, wozu ich nur zustimmen konnte. In der darauffolgenden Konversation kamen wir auch auf die Haltung Italiens der Schweiz gegenüber zu sprechen, wobei ich betonte, dass unsere Beziehungen zu unserem südlichen Nachbarn gegenwärtig recht gute seien und dass mir von dieser Seite keine Gefahr für die Schweiz zu drohen scheine; das beste Indiz hiefür sei der Umstand, dass Italien uns den Schutz seiner Landesangehörigen in Deutschland anvertraut habe. Baron Burian erklärte nun, er sei ebenfalls davon überzeugt, dass sich Italien wohl hüten werde, auch mit der Schweiz in Konflikt zu geraten, zu dieser Überzeugung gelange er aus rein sachlichen, militärpolitischen Erwägungen; denn auf blosse Zusicherungen Italiens könne er natürlich nicht viel geben. Auf meine Anfrage, ob von rumänischer Seite keine Komplikationen zu erwarten seien, erwiderte der Minister, es sei immer eine gefährliche Sache, sich aufs Prophezeihen zu verlegen; er könne nur so viel sagen, dass er vorderhand ein Eingreifen Rumäniens auf seiten der Ententemächte für die allernächste Zeit nicht voraussehe; in Bukarest wie in Sofia sei noch ein Boden, auf welchem diplomatische Betätigung möglich sei; freilich habe es geheissen, Rumänien werde mit Italien zusammen losschlagen, aber bindende Abmachungen scheinen entschieden nicht vorzuliegen; seit Italiens Kriegserklärung seien allerdings erst 48 Stunden verstrichen; es werden aber unter allen Umständen noch mehrmals 48 Stunden vorbeiziehen, bevor von seiten Rumäniens eine Abänderung seiner bisherigen Neutralitätspolitik zu erwarten sei. Im ganzen genommen schien der Minister in Beziehung auf Rumänien ziemlich zuversichtlich. Mehr Sorgen scheint Griechenland dem Ministerium des Äussern zu bereiten, indem die schwere Krankheit des Königs, der als die stärkste Stütze der Neutralitätspolitik angesehen wird und die bevorstehenden Neuwahlen nicht ohne Bangen verfolgt werden. Um auf Rumänien zurückzukommen, sei noch bemerkt, dass der hiesige Gesandte, Mavrocordato, und noch viel mehr seine Gemahlin - die als der eigentliche rumänische Minister gilt - ihre ganzen Sympathien den Ententemächten zuwenden; sie werden aber von ihrer Regierung sehr spärlich zu Rate gezogen und werden nicht auf dem laufenden gehalten; der Gesandte erklärte mir mehrmals, er kenne die Absichten seiner Regierung nicht, und von diplomatischer Seite sowohl als im Ministerium des Äussern wurde mir bestätigt, dass Mavrocordato wirklich nicht informiert sei; im Ministerium bedauert man es, weil man infolgedessen am Gesandten auch keinen massgebenden Unterhändler hat. Indirekt, d.h. von seiten eines grossen Speditionshauses, erfahre ich übrigens, dass immer noch bedeutende Munitionssendungen über Rumänien nach der Türkei geleitet werden, wenn es auch, um Indiskretionen zu vermeiden, nur des Nachts geschieht; für jeden Wagen muss aber den Rumänen eine Summe von Frs. 1500 in Gold gezahlt werden!
Der Krieg mit Italien ist hier insofern populär, als die Italiener die bestgehassten Feinde sind; man verhehlt sich natürlich die neuen Gefahren, die dieses Eingreifen eines weiteren Gegners mit sich bringt keineswegs, doch ist man im Ganzen genommen zuversichtlich. Vor der italienischen Armee hat man keinen sehr grossen Respekt, was sich z.B. in dem herumgebotenen Worte äussert: «Gott strafe England! Mit den Italienern aber werden wir schon selbst fertig!»
Da ich gerade am Anführen von geflügelten Worten bin, so sei mir auch gestattet, folgende kurze populäre Karakteristik der Stimmung in Deutschland und in Österreich zu zitieren: «In Berlin ist man optimistisch aber ernst, in Wien ist man pessimistisch aber fidel.»
Von meiner Unterredung bei Baron Burian muss ich übrigens noch nachtragen, dass derselbe den Empfang der dem gewesenen Botschafter in Rom, Baron Macchio und seinem Gefolge in der Schweiz zuteil wurde, dankend erwähnte. Dieser Empfang scheint auf die Herren einen besonderen Eindruck gemacht zu haben, wie Sie aus den beiliegenden durch die Neue Freie Presse gestern publizierten Interviews entnehmen wollen.
Als ich aus Baron Burians Zimmer kam, wurde ich gebeten, mich zum I. Sektionschef wegen einer Mitteilung zu begeben. Es handelte sich um die Ihnen gestern telegraphisch gemeldete Störung des direkten Verkehrs mit der Schweiz. Graf Forgach bat mich, Ihnen das Bedauern der österreichisch-ungarischen Regierung für diese nur temporäre und einzig durch militärische Rücksichten veranlasste Massnahme auszusprechen, die selbstverständlich in keiner Weise gegen die Schweiz gerichtet sei. Es sei möglich, dass etwa noch ein Zug im Tage über Buchs in die Schweiz fahre, doch könne nicht darauf gerechnet werden; Personen sollen über München und Passau ihren Weg nehmen; für Staatstelegramme gab er die Zusicherung, dass sie ungehindert passieren sollen, die Post dagegen wird einige Verzögerung erfahren. Es empfiehlt sich also in der nächsten Zeit nach Möglichkeit Kuriere zu benützen. Gegenwärtigen Bericht übergebe ich dem brasilianischen Geschäftsträger, der nach der Schweiz reist.