Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. BILATERALE BEZIEHUNGEN
14. Österreich-Ungarn
14.2. Handelsvertragsverhandlungen
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 93
volume linkBern 1983
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E13#1000/38#386* | |
Old classification | CH-BAR E 13(-)1000/38 90 | |
Dossier title | Korrespondenz und Protokolle betr. die Konferenzen der bundesrätlichen Delegation am 06.11.1905, 25.11.1905, 30.11.1905, 29.01.1906, 17.02.1906 (1905–1906) |
dodis.ch/42948
Protokoll der Konferenz vom 25. November 1905 über den schweizerischösterreichischen Handelsvertrag1
Herr Deucherbegrüsst als Vorsitzender die Teilnehmer und weist auf die unangenehme Lage hin, die durch die Unterbrechung der Verhandlungen in Wien geschaffen worden ist. Nachdem er noch die letzten Delegationsberichte kurz erwähnt und ein Schreiben der Gesandtschaft in Wien hat vorlesen lassen, erteilt er das Wort zur Berichterstattung an
Herrn Frey, der sein Referat kurz fassen zu können glaubt, da die Anwesenden über den Stand der Dinge bereits aufgeklärt seien. Bald nach Einholung unserer letzten Instruktionen konnte man die Wahrnehmung machen, dass eine Einigung nicht möglich sei. Soweit der ö.-u. Tarif in Frage kommt, ist zu sagen, dass Ö.-U. uns wohl befriedigende Zugeständnisse auf einigen Spezialitäten gemacht hat, so für Phantasiegeflechte, Gesundheitskrepp, Käse, Uhren und eine Reihe untergeordneter Artikel; dass es aber für alle ändern Produkte Zugeständnisse verweigert, oder doch nur solche Anerbieten macht, dass bei deren Annahme jeder Export aufhören müsste. Dabei ist zu wiederholen, dass selbst der Status quo in Anbetracht der gänzlich veränderten Produktionsverhältnisse unserm Exporte nicht mehr genügen könnte.
Ö.-U. beharrt meistens auf den Ansätzen, die es mit Deutschland vereinbart hat. Unter solchen Verhältnissen ist an einen Vertrag zurzeit nicht zu denken.
Im schweizerischen Tarif sind die wichtigsten Positionen noch offen; die Frage der Keltertrauben ist durch Verzicht erledigt. Die Positionen Holz, Buchenholzmöbel, Pappe sind noch offen; bei den übrigen scheint eine Verständigung möglich. Der Bundesrat hat uns ermächtigt, mit dem Schnittwarenzoll auf 90 Rp. zurückzugehen, wenn Ö.-U. unsere Forderungen auf den Hauptpositionen erfülle. Wenn wir irgendwie das Gefühl gehabt hätten, durch ein solches Zugeständnis eine Verständigung zu ermöglichen, so hätten wir selber den Antrag auf Reduktion des Holzzolles gestellt; allein es besteht wirklich auch gar keine Aussicht. Ö.-U. verschanzt sich immer hinter Deutschland und sagt uns, dass wir nicht bessern Rechtes sein könnten als dieses.
Ö.-U. vergisst dabei, dass wir ihm durch unsere Konzessionen auf Malz, Vieh, Schnittwaren usw. nicht nur die Erhaltung seines bisherigen Exportes nach der Schweiz, sondern sogar dessen Vergrösserung garantieren. Es bleibt daher nichts anderes übrig, als die Frage des Provisoriums zu prüfen. Es ist aber bekannt, wie weit hierin die beiderseitigen Vorschläge auseinandergehen. Ö.-U. will ein Provisorium, das über den 1. März 1906 hinaus dauert, womit es uns zu beweisen glaubt, dass die Befürchtungen über die Erhöhung seiner Zölle unbegründet seien. Es offeriert ein Provisorium mit einer Dauer von 6-8 Monaten, auf der Basis der freien Meistbegünstigung; dabei soll die Schweiz auf die durch den Vertrag vom Jahre 1891 festgelegten Vergünstigungen verzichten. Was das für unsern Export von Käse, Schokolade, Uhren usw. für Folgen hätte, ist augenscheinlich. Wir haben dagegen erklärt, dass wir uns auf eine solche Basis unter keinen Umständen einlassen könnten und haben ein Provisorium bis Ende Februar vorgeschlagen, wobei Ö.-U. bei uns die Meistbegünstigung plus diejenigen Ermässigungen geniessen würde, die wir ihm bis zur Unterbrechung der Verhandlungen gewährt haben.
Ö.-U. will sich unter keinen Umständen solche Zumutungen gefallen lassen; sie seien nicht in der Lage, ihren beiden Regierungen unsere Vorschläge auch nur zu unterbreiten, weisen sie vielmehr von sich aus von der Hand und übernehmen die Folgen auf eigene Verantwortung.
Dabei ist zu bemerken, dass Spanien sich nicht geweigert hat, ein Provisorium mit noch ändern Dingen bis zum l.März 1906 anzunehmen, und dass uns Frankreich im Jahre 1895 gegen die reine Meistbegünstigung eine ganze Reihe von Ermässigungen auf seinem Minimaltarif zugestanden hat. Was Frankreich für mehrere Jahre getan hat, das kann Ö.-U. für ein kurzes Provisorium auch tun.
Die ö.-u. Delegation hat uns gebeten, sobald als möglich einen Entscheid herbeizuführen, ob Provisorium oder Vertrag, damit es sich auf jede Eventualität rüsten könne, und hat uns erklärt, dass es den Zollkrieg einem Provisorium auf der von uns gegebenen Grundlage vorziehe.
Wir haben das Gefühl, dass wenn wir unsere Basis für ein Provisorium zugunsten derjenigen Ö.-U.s fahren lassen, das Schicksal des Vertrages besiegelt ist. Wenn wir jede Hoffnung fahren lassen müssen, einen Vertrag zu erhalten, der uns einen bessern Absatz bringen könnte, so wollen wir lieber gar keinen Vertrag.
Bei den Verhandlungen in Wien hat unsere Delegation sich stets der Sachlichkeit beflissen, während die ö.-u. Delegation ihrem Unmut, ihrem Ärger, ja ihrem Zorn in Redewendungen Luft machte, die bei einem solchen Anlasse mindestens unangebracht sind, um einen treffendem Ausdruck zu vermeiden.
Herr Dr. Laur. Wir sind auch bei den landwirtschaftlichen Positionen zum Teil auf grosse Schwierigkeiten gestossen. Bei verschiedenen Positionen hiess es schon gleich anfangs, das sei eine conditio sine qua non; wir haben aber bald gemerkt, dass die Sache nicht ganz so tragisch aufzufassen sei. Ö.-U. hat allmählich nachgegeben und auf seine Forderungen für die Keltertrauben ganz verzichtet. Auch die Forderung des Status quo für Holz hat die ö.-u. Delegation fallen gelassen und ist 5 Rp. hinaufgegangen, ein Zeichen für die Wahrscheinlichkeit weitern Entgegenkommens. Aus diesen Gründen glaube ich darauf schliessen zu dürfen, dass die Hauptschwierigkeiten beim industriellen Exporte liegen und dass wegen der Landwirtschaft die schwierige Lage nicht hätte herbeigeführt werden müssen.
Herr Künzlimöchte sich aussprechen über das, was nun geschehen soll; da aber noch verschiedene Mitteilungen zu machen sind, ergreift das Wort zunächst Herr Deucher, der zunächst auf die Auslassungen des Herrn Dr. Laur konstatiert, dass die Landwirtschaft doch nicht ganz so unschuldig dastehe, wie behauptet worden sei. Er hat vielmehr das Gefühl, die Hauptschwierigkeit liege beim Holze, was auch aus den Unterredungen mit Herrn Minister Heidler hervorgehe, der in der letzten Zeit immer nur vom Holze gesprochen und von den Möbeln. Es ist richtig, dass Schwierigkeiten bestehen für den industriellen Export, namentlich für Baumwollgarne, Stickereien, Maschinen und Seide. Der Bundesrat hat sich auf den Standpunkt gestellt: Wenn wir im Holze überhaupt noch nachgeben, so geschieht es einzig gegen Erfüllung unserer Forderungen für jene 4 Hauptpositionen; wir betrachten diese vier Positionen als etwas Ganzes, Unteilbares. Herr Heidler hat immer wieder die Baumwollgarne herausgegriffen und sich auf England berufen, und jedesmal besass er ein Telegramm seiner Regierung, worauf er sich berief. Ich habe das Gefühl, Ö.-U. werde beim Holze noch ziemlich nachgeben und uns bei den industriellen Forderungen entgegenkommen, ausgenommen bei den Baumwollgarnen, wo nichts zu erwarten ist.
Herr Heidler hat auch wiederholt betont, sein Ministerium könne nicht begreifen, dass die Schweiz von Ö.-U. Konzessionen unter den Status quo verlange, während es sich selbst überall Erhöhungen, namentlich beim Holze, gefallen lassen sollte.
Ich hielt ihm entgegen, dass unser bisheriger Tarif so niedrig war, dass die Erhöhungen im neuen Tarife gegenüber den Ansätzen Deutschlands und Ostreichs relativ immer noch sehr mässig seien. Deutschland habe diese Gründe anerkannt und in letzter Stunde eine Einigung ermöglicht.
Herr Heidler meinte auch, die Schweiz betrachte Ö.-U. als Quantité négligeable, nachdem sie ihre Verträge mit Deutschland und Italien im Reinen habe; nun soll Ö.-U. das Opfer sein.
Die Äusserungen Roesslers in der letzten Sitzung erwecken das Gefühl, dass beim Handelsministerium die Tendenz herrscht: «die Schweiz muss nachgeben.» Im Auswärtigen Amte dagegen scheint man etwas anderer Meinung zu sein: «Die Schweiz sollte Ö.-U.noch etwas entgegenkommen, dann wäre ein Vertrag möglich.»
Die Frage ist nun: Was soll weiter geschehen; sollen wir Ö.-U. ein Provisorium vorschlagen, und wie soll dieses lauten? Das Wort erhält zunächst
Herr Künzli. Ein Provisorium ist gar nicht zu erreichen. Was wir wollen, lehnt Ö.-U. ab, und was dieses will, können wir auf keinen Fall annehmen. Wir müssen daher von einem Provisorium absehen und und für den 1. Januar auf den Zollkrieg rüsten. Die Industrie muss rechtzeitig benachrichtigt werden, dass ein Bruch zu erwarten ist. Nun glaube ich aber, man sollte Ö.-U.vorschlagen, da man sich provisorisch nicht einigen könne, einen letzten Versuch zur Verständigung über einen definitiven Vertrag zu machen. Unser Programm könnte noch etwas zurückgeschnitten werden. Denn auch ein nur halbwegs annehmbarer Vertrag ist immer noch besser als Zollkrieg. Von seiten des Departements wären die Interessenten nochmals zu hören und einzuladen, zur Verständigung die Hand zu bieten. Beim Baumwollgarn sollte man noch etwas entgegenkommen; wie weit das möglich ist bei Seide, Maschinen, Stickereien, etc., weiss ich nicht. Bei der Stickerei schiene mir eine Einigung möglich, wenn die unvernünftige Klausel wegen der Zutaten nicht wäre. Um dem Käse Vorteile zu verschaffen, müssen wir auf dem Holze etwas nachlassen; aber mit 10 Rappen werden wir nicht alle Vorteile erkaufen. Wissen die Österreicher von dem Franken, den wir Deutschland im Geheimprotokoll zugestanden haben? Sie wollen unter diesen Franken kommen; aber wie weit könnten wir gehen? Es kommen ja meistens Interessen von Kantonen und Gemeinden in Frage, und auf den Bezug von geschnittenen Holzwaren werden wir immer angewiesen sein. Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir mit dem Schnittwarenzolle mindestens auf 85 Rappen zurückgehen.
Herr Deuchererklärt, dass schon im Bundesrate eine Minderheit, der er aber nicht angehört, diesen Ansatz gewollt habe. Herr Heidler weiss, dass wir auf 90 Rappen gehen wollen.
Herr Künzli. Man könnte alles das zusammenstellen, was wir noch geben wollen und dann an Ö.-U.eine Art Ultimatum richten.
Herr Dr. Laur. Wenn noch Aussicht vorhanden wäre, zu einem definitiven Vertrage zu kommen, könnte ich mich unter Umständen mit dem Vorschläge des Herrn Oberst Künzli befreunden. Die Landwirtschaft könnte es nicht ablehnen, beim Holze noch etwas zu leiden; es müsste dann aber beim Käse dahin gewirkt werden, dass wir erheblich unter den Status quo kämen. Ich habe das Gefühl, dies sei möglich, weshalb ich auch in Wien die Meinung vertreten habe, nicht abzubrechen, um, vielleicht auf dem von Herrn Oberst Künzli vorgezeichneten Wege, doch noch zu einer Verständigung zu gelangen. Der erste Versuch hiefür war unsere Depesche, worauf dann allerdings die Antwort der Interessenten kam: Höher zu gehen sei nutzlos. Die Baumwollgarne haben dann dem Fasse noch vollends den Boden herausgeschlagen, worauf ich die Opposition gegen den Abbruch fallen liess. Dass man eine Einigung auf diplomatischem Wege erzielen könnte, halte ich nicht für möglich. Es werden wieder neue persönliche Verhandlungen erforderlich sein; anders wird es kaum gehen. Nun kommt aber die Rücksicht auf Frankreich hinzu, und es wird daher geboten sein, nach einem Provisorium zu streben. Aber wie es Ö.-U. vorschlägt, ist es vollständig unannehmbar. Die östr. Delegation hat von einer Demütigung gesprochen, die unser Vorschlag ihrem Lande bereite. Ihre Propositionen verdienen aber eine viel schärfere Bezeichnung. Die österreichische Meistbegünstigung bedeutet für uns nichts, unsere Meistbegünstigung für Ö.-U. alles.
Die gegenwärtige Lage wird schliesslich zum Zollkriege führen müssen. Die Landwirtschaft trägt keine Bedenken, auch für den Käse nicht, einen Zollkrieg über sich ergehen zu lassen. Die Hälfte des bisherigen Käseexportes, werden wir auch bei einem Zollkriege noch erreichen. Und wenn die österreichischen Ochsen fernbleiben, so kommen wir sowieso wieder auf unsere Rechnung. Die Landwirtschaft kann daher ganz ruhig auf einen Zollkrieg eingehen. Aber vom allgemeinen Standpunkte aus scheint mir ein solcher nicht viel Wert zu haben, wird aber unvermeidlich sein, wenn Ö.-U. auf seiner Forderung zum Provisorium beharrt.
Herr Frey. Es ist mir neu, dass der ö.-u. Gesandte weiss, dass wir mit dem Schnittwarenzoll auf 90 Rp. zu gehen gedenken. In Wien haben wir instruktionsgemäss rundweg erklärt, dass wir von 1 Fr. nicht abgehen könnten. Wenn die östr. Gesandtschaft von diesem Beschlüsse Kenntnis hatte, so begreife ich auch, dass man uns keine Konzessionen mehr machen wollte, und ich erkläre hier, dass wenn man auch auf 80 Rp. gehen würde, ich persönlich alles tun werde, um einen solchen Vertrag zu Falle zu bringen. Denn ich kann ein solches Dokument nicht unterschreiben, das uns nur Schaden bringen müsste.
Wenn wir die Vorschläge Ö.-U.s für ein Provisorium annehmen wollen, dann akzeptieren wir gerade alles. Ich habe die Überzeugung, dass ein Provisorium auf der von uns vorgeschlagenen Basis der Einfuhr aus Ö.-U. keinen Abbruch zur Folge hätte. Die Opposition in Ö.-U. ist so gross, dass die Regierung schliesslich nachgeben muss. Denn der östr. Export nach der Schweiz setzt sich zum weitaus grössten Teile zusammen aus Waren, die von Tag zu Tag abgeschoben werden müssen: Zucker, Vieh, Holz, Eier, Getreide, Geflügel, etc. Bei uns liegt der Fall anders: Käse, Uhren, Seidenwaren, Stickereien, Maschinen, Teerfarben, etc. werden einen Zollkrieg leicht ertragen. Für Teerfarben wird die Ausfuhr sowieso aufhören. Ein Vertrag, wie ihn Ö.-U. anbietet, ist unannehmbar und unserer Stellung unwürdig.
Wir sind zurzeit bei allen wichtigen Positionen noch so weit auseinander, dass selbst bei Anwendung von schärfern Mitteln nicht zu erwarten ist, dass Ö.-U. uns besseres anbiete. Es sind auch Rücksichten territorialer Art zu tragen: es wäre gegenüber Basel ein Vertrag mit den bis jetzt bestehenden Aussichten einfach nicht zu verantworten.
Was uns Ö.-U. z. B. für Maschinen und Stickereien geboten hat, ist der reinste Hohn, blosse Spiegelfechterei. In diesen beiden wichtigsten Kategorien sollten wir einen dreimal höhern Zoll annehmen als bisher; das sind nur Konzessionen auf dem Papier, aber praktischen Wert haben sie nicht.
Ich bin der Meinung, dass unter Berücksichtigung der schwierigen Verhältnisse zu Frankreich, ein Zollkrieg mit Ö.-U. ein Ding der Notwendigkeit sei. Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass Ö.-U. am 31. Dezember noch in letzter Stunde ein Provisorium auf der von uns gestellten Basis annehmen werde, hat man uns in Wien gesagt.
Sind wir nach einem Zollkriege die Geschlagenen, dann werden wir um einen Vertrag nachsuchen; sind die ändern geschlagen, so werden wir die Bedingungen stellen. Es kann sich doch nicht darum handeln, unter allen Umständen einen Vertrag zu haben, wenn dieser uns doch keine Vorteile brächte.
Trotzdem ich sehr zum Frieden geneigt bin, bin ich doch der Meinung, dass hier einmal ernst gemacht werden müsse.
Herr Deucher. Für mich ist es erforderlich, dass wir die Interessenten erst noch einmal hören. Für wen machen wir den Vertrag? Für unsere Exportindustrie! Sagt diese, wie ein Teil von ihr es bereits getan, wir wollen lieber keinen Vertrag als den uns von Ö.-U. angebotenen, dann könnte ich mich auch entschliessen zum Verzichten. Wenn sich aber die Interessenten noch zu weitern Konzessionen herbeilassen würden, so wären diese in einer Art Ultimatum an Ö.-U. zu richten. Ich glaube aber selbst nicht mehr an die Möglichkeit eines definitiven Vertragsschlusses bis zum Ende dieses Jahres, weshalb vom Neujahr an ein Provisorium notwendig werden wird. Man sollte aber mit einem Bundesratsbeschlusse auch in dieser Angelegenheit zuwarten bis nach Anhörung der Interessenten. Ein Provisorium ist aber nur denkbar auf der von unserer Delegation vorgeschlagenen Basis.
Herr Künzlimacht darauf aufmerksam, wie vorsichtig man immer sein müsse. Noch in der Sitzung vom letzten Montag fragte mich Mihalowich: «Haben Sie uns wirklich nichts mehr zu sagen mit bezug auf die Holzzölle?» Ich antwortete ihm, der Bundesrat habe uns zu keinen weitern Konzessionen ermächtigt; er studiere aber die Frage noch.
Herr Deucherkonstatiert, dass er die Mitteilung an Herrn Heidler (Schnittwarenzoll von 90 Rp.) im Einverständnisse mit dem Bundesrate gemacht, und zwar nur mit den Worten: Der Bundesrat werde erwägen, ob man mit dem Schnittware nzolle auf 90 Rp. gehen könne.
Herr Heidler hat mir bei diesem Anlasse gesagt: «Ja, wissen Sie, Herr Frey kennt die Sache nach allen Richtungen; aber er steht an der Spitze einer Verschwörung von Industriellen und handelt unter dem Drucke dieser Verschwörung.» Ich erwiderte ihm, das sei keine Verschwörung; Herr Frey vertrete bloss den Bundesrat und handle nach dessen Instruktionen, die allerdings unter dem Drucke der Industrien aufgestellt worden seien.
Herr Frey. Ich habe es den Herren in Wien auch gesagt: «Ihr misstraut der schweizerischen Delegation.» Sie stehen unter dem knabenhaften Eindrücke, als ob wir als Triumphatoren vonBuchs nach Wien gereist wären. Wir sind Männer wie sie; wir sind keine Kinder und kennen unsere Pflicht gegenüber dem Lande, das wir vertreten! - Herr Roessler sprach in den letzten Sitzungen wiederholt von einem schön aufgeputzten Vertrage, den wir nach Hause bringen möchten...
Die Verhandlungen über ein Provisorium scheinen mir unabhängig zu sein von einem eventuellen weitern Versuche, in nächster Zeit zu einem definitiven Vertrage zu gelangen. Wir müssen aber bald eine klare Situation erhalten. Wenn wir das Provisorium in der Schwebe lassen und ein lendenlahmes Ultimatum an Ö.-U. richten, so werden wir nicht weit kommen. Ich mache aber kein Hehl daraus, dass unsere Interessenten der Stickerei, der Seiden-, Baumwollen- und Maschinenindustrie noch weitere Zugeständnisse machen müssen; auf der bis jetzt offerierten Basis kann Ö.-U. keinen Vertrag eingehen. Das sage ich aber nur hier und werde es sonst keinem Menschen sagen.
Wir sollten Ö.-U. sofort notifizieren: Was das Provisorium anbelangt, halten wir daran fest, dass wir uns nicht über den 1. März 1906 hinaus engagieren lassen, und verlangen, was wir bisher gefordert haben. Die Entscheidung überlassen wir dann Ö.-U.
Wenn Ö.-U. das Bedürfnis hat, weiter zu verhandeln, wird es dies zu erkennen geben.
Herr Deucher. Wir werden dem Bundesrate auf nächsten Dienstag einen Antrag zum Provisorium einreichen und dann am Mittwoch die Interessenten anhören. Es liegt in unserem Interesse, in der Provisoriumsangelegenheit eine Antwort zu geben.
Herr Dr. Eichmann. [...] Ich habe von Anfang den Eindruck gehabt, man werde schliesslich doch noch dazu kommen, die Frage des Status quo beim Holzzolle zu prüfen und damit erreichen, dass Ö.-U. aus seiner Reserve heraustritt. Ich habe zwar nicht gewagt, unbedingt zu hoffen, dass man beim Holze ganz oder teilweise nachgeben wolle, habe aber die Überzeugung, dass, wenn wir an Ö.-U. die bestimmte Frage stellen: «Was gebt ihr uns noch für die industriellen Positionen, wenn wir euch den Status quo für Holz geben?» wir auch eine bestimmte Antwort erhalten werden. Sagen sie: «Wir können die Forderungen für Maschinen, Baumwollgarne, etc. nicht erfüllen», so werden wir doch eine klare Situation haben. Geben sie aber zur Antwort: «Bis jetzt habt ihr uns immer erklärt, für Holz nichts mehr zu geben, und uns unter dem Eindrücke gelassen, dass nichts zu hoffen sei; nun, wenn ihr da entgegenkommen wollt, wollen wir sehen, was noch getan werden kann und wollen mit dem Äussersten heraus», dann wäre die Grundlage für neue Unterhandlungen über einen definitiven Vertrag geboten.[...]
Herr Frey. Was Herr Dr. Eichmann vorschlägt, entspricht der Haltung Ihrer Delegation in Wien: Wir wollten nicht abbrechen, sondern nur unterbrechen. Wir haben die Frage klipp und klar an die östr. Delegation gestellt: «Sind das eure letzten Konzessionen, wenn wir eure Forderungen erfüllen?» Und die Antwort: «Gewiss, sonst wären wir auch nicht in der Lage, das zu halten, was wir bereits anerboten haben.» Ö.-U. betrachtet die Zugeständnisse für das Holz nur als Äquivalent für seine Konzession auf Käse. Wie man dann noch Zugeständnisse auf unsere Industrieprodukte erhalten solle, ist mir unbegreiflich. «Was wir euch auf dem Käse geben, müsst ihr auf dem Holze bezahlen», heisst es immer bei Ö.-U. Man täuscht sich sicher ganz gewaltig, wenn man heute von der Offerte des Status quo für das Holz von Ö.-U. genügende Konzessionen für unsere Industrien erwartet. Als Antwort erhielten wir vielleicht eine Herabsetzung des Seidenzolles um 50 Kronen, des Maschinenzolles um 50 Kreuzer und sogar vielleicht noch eine Kleinigkeit für Baumwolle; aber etwas anderes käme nicht.
Herr Künzli. Aber das ist möglich, dass es zu Differenzen zwischen Roessler und Beck käme. (Roessler ist Sektionschef im k. k. Handelsministerium; Beck Sektionschef im k. k. Ackerbauministerium.)
Herr Dr. Laurfindet einen Widerspruch in den Ausführungen des Herrn Dr. Eichmann: Wenn Herr Dr. Eichmann glaubt, auf 15 Rappen mehr oder weniger komme es beim Holze nicht an, so kann ich hier erklären, dass die Sache von den Interessenten ganz anders beurteilt wird. Der Status quo würde dem Vertrage ganz gewaltige Schwierigkeiten bereiten. Anderseits scheint mir eine Überschätzung der Holzzölle auf Seiten Ö.-U.s zu liegen.
Ich habe während der Unterhandlungen das Gefühl nie losbekommen können, dass wir das, was wir für die Industrien erobern wollen, nur durch den Gesamtdruck bekommen werden. Ob Zollkrieg oder nicht, das wirkt entscheidend. Aber dass wir mit einzelnen Positionen etwas erreichen werden, halte ich für vollständig ausgeschlossen. Mit dem Holze würden wir wohl unsere Position etwas verstärken; aber die Entscheidung liegt einzig und allein darin, ob Zollkrieg oder nicht.
Ich möchte deshalb bitten, dass man bei allen weitern Erwägungen des Holzzolles vom Status quo absehe. Ö.-U. hat von Deutschland auch 90 Rp. angenommen, und doch ist die Lage der Sägereien dort viel schwieriger als bei uns. Unter 85 Rappen sollte man unter keinen Umständen gehen; denn ich bin überzeugt, dass wir nichts Gleichwertiges dafür bekämen.
Auf Käse eine genügende Konzession zu bekommen, das hängt von unserm Willen ab.
Herr Ruchetmöchte alles versuchen, um einen Bruch zu vermeiden. Wenn es nicht möglich sei, einen definitiven Vertrag innert nützlicher Frist, so sei ein Provisorium anzustreben.
Herr Dr. Eichmannfrägt an, was geschehen soll im Falle eines Zollkrieges mit den Zöllen auf Zucker, Malz usw., ob man nur die Generalansätze anzuwenden gedenke oder ob man Differenzialzölle aufstellen wolle.
Herr Frey. Wir sind mit Herrn Bundespräsident Ruchet einig, dass man alle möglichen Konzessionen machen solle; aber über die Grenzen des Möglichen hinaus darf man nicht gehen. Was nützt uns ein Vertrag, der unsern Export unterbindet? Den Zollkrieg sucht niemand. Aber wenn Ö.-U. nicht weiter nachgeben kann, dann ist der Bruch die einzige Lösung.
Natürlich müsste ein Zollkrieg mit den Mitteln geführt werden, die einzig zum Erfolge führen können. Unser Generaltarif wäre ungenügend. Die Einfuhr aus Ö.-U. müsste mit einem Schlage abgeschnitten werden; denn ganz dasselbe wird Ö.-U. uns gegenüber auch machen.
Herr Dr. Eichmannstellt die Frage an Herrn Dr. Laur, ob wir das Malz in genügender Menge aus Deutschland beziehen könnten. Ö.-U. liefert uns jährlich etwa 400.000 q Malz; aus Deutschland kommt verhältnismässig wenig. Das sei ein äusserst empfindlicher Posten.
Herr Freyhat die Überzeugung, dass unser Bedarf in kürzester Zeit von anderer Seite gedeckt werden könnte. Es handle sich beim böhmischen Malze mehr um die Qualität als um die Quantität.
Herr Dr. Eichmannverspricht sich nicht mehr viel von einer Interessentenversammlung; die Leute hätten bereits deutlich gesagt, wie weit sie gehen können, und die Positionen seien zum Teil so kompliziert, dass man sich nicht genügend aussprechen könne; die Zeit sei zu kurz und die Versammlung zu gross.
Herr Deucherwill die Interessenten unbedingt hören, bevor er sich entscheiden kann.
Herr Freyverspricht sich nichts von einem allgemeinen Meinungsaustausche; aber einige Interessenten wären doch noch zu vernehmen, vielleicht diejenigen für: Farben, Baumwollgarn, Maschinen, Seide, Stickereien, Schokolade.
Herr Deucher. Herr Frey hat vorhin gesagt, wir seien mit den Industriezöllen noch nicht am Ende angelangt. Die Herren Frey und Dr. Laur sollen mit den Leuten zuerst Rücksprache nehmen, und erst dann wäre eine gemeinsame Besprechung anzuordnen. Der Bundesrat kann nicht verzichten, bevor er die Interessenten gehört hat.
Herr Freyschlägt vor, Herr Dr. Eichmann möge an den Vorbesprechungen teilnehmen.
Herr Dr. Eichmann: Es schaut nichts dabei heraus; die einzelnen Industriellen wollen nicht weiter, als sie bereits gegangen sind.
Herr Deucherfrägt an, ob es nicht angezeigt sei, die Frage im Bundesrate am nächsten Dienstag zu behandeln und Ö.-U. vorläufig zu notifizieren, dass wir uns zum Provisorium auf den Boden unserer Delegation stellen und im übrigen im Falle seien, eventuell nächstens noch weitere Eröffnungen zu machen.
Herr Frey. Man kann das tun; wir haben es in Wien versprochen.
Herr Künzli. Sonst würde Ö.-U. sagen, das sei nun die Absage unsererseits.
Herr Dr. Eichmann. Nach der grossen Versammlung würde man dann erklären: Es ist nichts mehr zu machen. Es dürfte sich vielleicht empfehlen, mit der Note zuzuwarten bis nach der Besprechung mit den Interessenten. Auch Herr Dr. Laur möchte so lange zuwarten.
Herr Deucherschlägt den Ausweg vor, dem östr. Gesandten vorläufig mündlich zu eröffnen, dass man bis Ende der Woche im Falle sein werde, sowohl für das Provisorium, als auch für den definitiven Vertrag unsere Entscheidungen mitzuteilen.
Herr Künzli. Die ö.-u. Delegation hat uns jedesmal lächerlich gemacht, wenn wir uns auf die Interessenten berufen wollten.
Herr Freyerklärt, dass er mit der Einvernahme der Interessenten bis Mittwoch abend fertig sein werde, sodass er am Donnerstag mit fester Meinung zur Konferenz werde kommen können. Er hat noch den Wunsch, dass auch die Oberzolldirektion zur Besprechung eingeladen werde, weil man sich eventuell schlüssig machen müsse über den Zollkrieg. Auch Herr Boos-Jegher sei zu benachrichtigen.
Herr Dr. Laurmacht darauf aufmerksam, dass Ö.-U. einen neuen Vorschlag zur Viehseuchenfrage gemacht habe, der sehr weit gehe und u. a. eine internationale Kommission vorsehe. - Für den Bauernverband seien die Herren Jenny und Felber zur Versammlung einzuberufen.
Herr Deuchergibt noch einigen Aufschluss über den Stand der Unterhandlungen mit Portugal, worauf die Konferenz geschlossen wird um 12'/2 Uhr mittags.
- 1
- E 13 (B)/244. Österreich-Ungarn. Teilnehmer: A. Deucher, M. Ruchet (bundesrätliche Delegation), A. Künzli, A. Frey, E. Laur (Delegierte für die Unterhandlungen mit Österreich), A. Eichmann, P. Thomann (Handelsabteilung), Protokollführer: J. Schmid.↩
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