Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.2. Autriche
I.2.3. Affaires du Tessin
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1, doc. 169
volume linkBern 1990
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#1217* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 514 | |
Dossier title | Wien, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Konsularberichte, Band 6 (1853–1853) |
dodis.ch/41168
Ihre ferneren verehrten drei Depeschen vom 28. Februar, 1. und S^d.M.2 enhalten die Antwort des hohen Bundesrathes vom 7. Februar an die Österreichische Gesandtschaft betreffend die Ausweisung der Kapuziner3, den Bericht des Eidgenössischen Commissairs Herrn Bourgeois-Doxat über die Waffenuntersuchungen bei den Brüdern Ciani, sowie den Ausweis des Militärdepartements über die Pulversendungen nach Tessin und endlich eine Note des hohen Bundesrathes an das Ministerium des Äussern betreffend die Ausweisung der Tessiner4, von welcher Sie mir Copie beizufügen die Güte hatten. Ich begab mich demzufolge gestern in das Ministerium des Auswärtigen, um diese Note persönlich zu überreichen. Im Wartsaale des Herrn Ministers befanden sich ausser der Lemberger Deputation die Repräsentanten von England, Piemont, Toskana, Baden, Württemberg und einige andere. Da ich aus den Schweizer Zeitungen ersehen, dass von Baden aus Truppen gegen die Schweizergränze sich bewegten, so fragte ich den Badischen Minister um die Ursache dieser Massregel. Er theilte mir mit, dass ein schändliches Pamphlet, welches von zwei in Luzern sich aufhaltenden badischen Flüchtlingen verfasst, der Grund sei, weshalb man die Gränze abgesperrt habe. Dieses Pamphlet soll gegen die grossherzogliche Familie gerichtet sein und die schändlichsten Schmähungen enthalten. Ich hatte, bis die Reihe an mich kam, Gelegenheit, sowohl dem englischen als auch dem württembergischen und piemontesischen Gesandten über die Übertreibungen und Erfindung der Gerüchte in Betreff des Kantons Tessin Aufklärung zu geben.
Der Empfang bei Graf Buol war, wie sich erwarten liess, kalt. Er nahm die Note, ohne sie zu eröffnen, mit den Worten: «Ich wünsche, dass sie Vorschläge enthalte, welche zu einer Verständigung führen». Ich ersuchte sodann den Herrn Minister, mir gestatten zu wollen, in meinen Berichten über die gegen den Kanton Tessin vorgebrachten Beschuldigungen fortfahren zu dürfen und las ihm sodann die verehrte Depesche vom l.d. M. wörtlich vor. Er äusserte sich befriedigend, indem er jedoch bemerkte, dass diese Beschuldigungen übrigens dem Kanton Tessin nicht gemacht worden seien. Ich fragte ihn sodann wiederhohlt, welche Beschuldigungen denn mit Fug und Recht dem Kanton Tessin gemacht werden können; dass man solch’ feindselige Massregeln in Anwendung bringe. Er wiederhohlte seine früheren Beschuldigungen, dass die Flüchtlinge in Tessin an den Mailänder Vorfällen die Schuld tragen. Da ich fortwährend diese Beschuldigung hören musste, so ersuchte ich den Herrn Minister, mir gütigst den Beweis liefern zu wollen, auf welchem sich diese Anklagen begründen, denn es sei sehr leicht, eine Beschuldigung aufzubürden, jedoch schwerer dürfte es sein, den Beweis zu liefern. Sie haben, fuhr ich fort, von dem Bundesrathe die Ausweisung der Flüchtlinge aus dem Kanton Tessin verlangt, diesem Begehren wurde augenblicklich entsprochen; bevor dieses Begehren gestellt wurde, hat der hohe Bundesrath einen eidgenössischen Commissair in der Person des Herrn Bourgeois-Doxat abgeordnet, dass die Untersuchungen gewissenhaft gepflogen werden. General-Major Singer habe es abgeschlagen, sich mit ihm ins Einvernehmen zu setzen; es sei daher schwer, sich zu rechtfertigen, wenn man den Versicherungen keinen Glauben schenken wolle. Ich gieng sodann auf die Ausweisung der Tessiner über und fragte den Grafen, ob sich eine solche Handlung rechtfertigen lasse. Er erwiederte hierauf in gereitztem Tone: «Nun können Sie die Ausweisung der Geistlichen rechtfertigen, wegen ein paar lumpiger tausend Franken, die wir von Ihnen verlangten, zwingen Sie uns, Ihre Leute fortzuschicken; wir haben es Ihnen gedroht, warum haben Sie uns nicht geglaubt?». Ich erwiederte ihm hierauf: «Wir haben es deshalb nicht geglaubt, Excellenz, weil wir Österreich einer solch unedlen Haltung nie fähig gehalten hätten»; was die Rechtfertigung wegen Ausweisung der Geistlichen anbetrifft, fuhr ich fort, so hat solche bereits der hohe Bundesrath übernommen und es sind Thatsachen, dass sich dieselben mehr mit der Politik als mit ihrem Beruf befassten und gegen die Regierung conspirirten; was der Kanton Tessin mit den Geistlichen gethan, können die Schweizer in der Lombardie und Österreich tagtäglich erleben; sie werden ausgewiesen, ohne dass man uns Rechenschaft giebt, weshalb und warum, geschweige von einer Pension zu reden. Graf Buol erwiederte hierauf: «Dies ist nicht der Grund, warum Sie dieselben fortgewiesen; weil Sie so sehr auf Beweise dringen, so könnte auch ich jetzt auf Beweise dringen; unsere Klagen gegen den Kanton Tessin sind nicht von heute, sie datiren von langer Zeit, allein weil wir bis jetzt immer nachgegeben, so haben Sie geglaubt, wir werden auch dieses Mal nicht Ernst machen. Selbst wenn wir nicht das Recht hätten, die Tessiner auszuweisen, so haben wir es Ihnen doch gedroht und mussten unser Wort halten». Ich drang mit allem Nachdruck darauf, dass der jetzige Zustand aufgehoben werde, indem ich ihm die Versicherung gab, dass der hohe Bundesrath gewiss alles erfüllen werde, was die internationalen Pflichten von ihm fordern. Er erwiederte: «Wir sind mit der Schweiz im Kriegszustand und haben daher keine Verpflichtung mehr, Ihre Bürger zu beherbergen; wenn uns nicht Staatsrücksichten abhalten würden, hätten wir den Kanton Tessin besetzt, was später geschehen wird, davon habe ich jetzt noch nicht zu reden. Sie werden uns vielleicht die Lombarden ausweisen; thun Sie es, wir sind Ihnen dankbar dafür, denn wir bekommen lauter Lumpengesindel». Ich erwiederte ihm, dass die Schweiz zu solch’ unedlen Repressalien nie ihre Zuflucht nehmen werde. Am Schlüsse der Unterredung sagte er: «Und was proponiren Sie uns denn jetzt, können Sie mir Propositionen machen?» Ich erwiederte ihm, dass ich hierzu nicht bevollmächtigt sei, dass der hohe Bundesrath jedoch fest darauf bestehen müsste, dass der frühere Zustand wieder hergestellt werde.
Dies ist ungefähr die so viel als möglich wörtlich angeführte Unterredung mit dem Herrn Minister und die, wie Sie sehen, hochgeachteter Herr, eine sehr lebhafte und wenig beruhigende war. Der Eindruck derselben war für mich ein peinlicher, da ich wahrnehmen konnte, wie wenig man hier zu einer Versöhnung geneigt ist und man einem längst gehegten Groll nun mit einem Schlage Luft machen will. Der piemontesische Gesandte versicherte mich, dass gegen Piemont keinerlei Massregeln ergriffen worden seien und dass er nur wegen Konfiscation der Güter der Emigrirten mit Graf Buol unterhandle, auch an England soll bis jetzt keine Forderung gestellt worden sein.
Die deutsche Volkshalle bringt einen Korrespondenz-Artikel aus Luzern, der an Schamlosigkeit alles bisher gelesene übertrifft; ich erlaube mir solchen beizufügen. Ich enthalte mich allen Rathes, da Sie, hochgeachteter Herr, aus dieser Unterredung am besten die Gesinnung des österreichischen Kabinettes erkennen werden. An ein Zurückziehen der Truppen von der Gränze, bevor nicht genügende Garantien gegeben sind, an eine Zurücknahme der Ausweisung der Tessiner, glaube ich vorerst auf keinen Fall, da bei dem jetzigen in Folge der türkischen Frage so hoch gesteigerten Selbstgefühle Österreichs dasselbe auf seinen Forderungen in so weit beharren wird, bis ihm durch eine oder die andere Concession der Schweiz ein Mittel geboten wird, ohne seine Ehre in den Augen Europas blossgestellt zu sehen, den gewaltthätigen Schritt wieder gut zu machen. Österreich ist so weit gegangen, dass es vorwärts muss, wenn ihm die Schweiz nicht die Mittel zu einem nicht unehrenvollen Rückzug bietet.
Ich bitte Sie, hochgeachteter Herr, mir von der Antwort des österreichischen Kabinetts umgehend Kenntnis zu geben und mich von dem Ultimatum Ihrer Concession zu unterrichten, auch mich von den ferneren Berichten Herrn Bourgeois-Doxat’ zu verständigen, um im Falle zu sein, dasjenige dazu beitragen zu können, was zur Abwendung der drohenden Gefahr geschehen kann.
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