Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.2. Autriche
I.2.2. Réfugiés
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1, doc. 8
volume linkBern 1990
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2#1000/44#339* | |
Old classification | CH-BAR E 2(-)1000/44 35 | |
Dossier title | Eidg. Truppen im Kanton Tessin, Aufgebot und Entlassung, Nov. 1848 - Juni 1849 (1848–1849) | |
File reference archive | B.252.1.1 |
dodis.ch/41007
In unserer Zuschrift an Hochdieselben vom 20. Dezember lezthin2 machten wir Ihnen bereits die Anzeige, dass wir dem erhaltenen Aufträge3 gemäss nicht ermangelt hatten, uns unterm 15. Dezember an den Herrn General-Major von Wohlgemuth in Mailand zu wenden4, um die Herstellung der frühem nachbarlichen Verbindungen des Kantons Tessin mit der Lombardie in Pass- und Niederlassungsangelegenheiten nach dem status quo vor dem 18. September5 zu erzwecken.
Die unterm 25. Dezember vom Grenz-Kommando, Herrn FMLt. Graf Haller aus Auftrag des Herrn Feldmarschalls Radetzky uns ertheilte einstweilen verneinende Antwort6 ist von solcher Natur, dass wir uns verpflichtet fühlen, Ihnen den Gegenstand umständlicher vor Augen zu legen.
In unserm Schreiben an Herrn Wohlgemuth bezogen wir uns auf den Beschluss der schweizerischen Bundesversammlung vom 27. November, die Entfernung der italienischen Flüchtlinge aus dem Kanton Tessin und deren Internirung in das Innere der Schweiz betreffend7, sowie auf die Bereitwilligkeit des Kantons Tessin, diesem Beschlüsse Folge zu geben, weswegen wir sein Vollziehungs-Dekret vom 5. Dezember beilegten.8 Durch diese offene freundnachbarliche Mittheilung glaubten wir unser Ansuchen bestens zu unterstützen und mehr Geneigtheit für diesfällige Entsprechung zu bewirken. Herr Feldmarschall erklärt hingegen, wesentlich aus dem Grunde noch nicht zu entsprechen, weil nach seiner Behauptung erst noch vor Kurzem unter den italienischen Flüchtlingen viele Hauptaufwiegler sich im Kanton Tessin aufhielten, unter welchen er aber nur Mazzini namentlich bezeichnet; es sei nämlich vor ein paar Tagen ein Bote desselben mit revolutionären Proklamationen aufgegriffen worden. Ebenso wird vom Herrn Grafen des Weitern bemerkt, dass in der jüngsten Zeit das Einschmuggeln von Droh- und Brandschriften auf eine auffallende Weise überhand genommen habe. Wir glauben, Ihnen hier eine Abschrift des Schreibens (Beilage litt. A) beilegen zu sollen und begleiten selbe mit folgenden Bemerkungen.
Über den Aufenthalt der Flüchtlinge ist im Allgemeinen anzuführen, dass sich in Folge des tessinischen Dekrets vom 5ten Dezember schon vor dem 20ten Dezember und seither viele derselben entfernt haben, obwohl gegenwärtig noch eine nicht unbedeutende Anzahl vorhanden ist, deren jedoch die Meisten das Ansuchen für fernere Duldung gestellt haben, und auf selbe gegründeten Anspruch zu machen glaubten, sei es, dass sie sich auf gehörige Schriften oder auf die im Dekret anerkannten Humanitätsgründe stützen. – Wir haben verflossene Woche in Verbindung mit den Herrn Staatsräthen Lavizzari und Pioda die Bezirke Mendrisio, Bellinzona und Locarno bereist, um den Standpunkt der Flüchtlingsangelegenheit mit eigenen Augen näher zu beurtheilen. Wir traten darüber mit den Regierungskommissarien (Bezirksamtmännern) und vielen Gemeindevorstehern in Rücksprache und schärften überall die genaue Vollziehung des betreffenden Dekretes ein. Wir müssen gestehen, wir haben bei den Beamten nebst warmer Theilnahme an jenen Flüchtlingen, die sich gut aufführen, und an der Sache, für die sie leiden, viel guten Willen und Geneigtheit gefunden, die durch Umstände gebotenen Pflichten gegen das Vaterland zu erfüllen. Es wurden uns auf dieser Rundreise die verschiedenen Ansuchen für Gewährung längern Aufenthaltes vorgelegt; es mögen derselben im ganzen Kanton etwa 370 gestellt werden. Die vom Bezirk Lugano werden wir morgens oder Übermorgens ebenfalls untersuchen. Bei den vorgenommenen Untersuchungen unterliessen wir nicht, einige vorläufige Bemerkungen zu machen, im Sinne, die Anzahl der Ansuchen zu vermindern, wobei wir uns den Entscheid auf die Zeit vorbehielten, nach welcher uns die Regierung ihr Gutachten abgegeben haben wird. Obwohl wir zum Entscheid befugt sind, so dürfte vielleicht doch der Fall eintreten, dass wir uns veranlasst fänden, nach Vorlegung der Sachverhältnisse zum voraus Ihre nähere Weisung zu begehren. Sollte es auffallen, dass die Angelegenheit nicht mit gehöriger Beförderung besorgt wurde, so ist zu bemerken, dass die zu dieser Zeit eingetretenen zahlreichen Feiertage viel zur Verzögerung beigetragen haben.
Was die geführte Beschwerde über den behaupteten Aufenthalt von Mazzini betrifft, so können wir freilich nicht sagen, ob sich derselbe noch versteckt im Kanton befindet. Wir machten Mitglieder der hiesigen Regierung wiederholt darauf aufmerksam, wie wichtig es wäre, seinen allfälligen Aufenthalt zu entdecken und ihn zu entfernen. Es will versichert werden, dass er sich zuverlässig weder im Bezirk Bellinzona noch Locarno befindet und dass, wenn er irgendwo im Kanton seyn sollte, er am wahrscheinlichsten in Lugano selbst wäre. Der hiesige Regierungs-Kommissair ist daher beauftragt, ihm möglichst nachzuspüren. Es wird jedoch vermuthet, dass er den Kanton verlassen habe.
Unerwartet erhielten wir gestern wieder ein Schreiben vom Herrn Grafen Haller vom 30. Dezember.9, ebenfalls Klage führend. Dasselbe scheint uns wichtig genug, um es Ihnen hier abschriftlich als Beilage (litt.B) mitzutheilen. Es beschwert sich besonders, dass die Waffenschmuggelei aus dem Kanton Tessin auf k.k. Gebiet in der letzten Zeit sehr um sich greife, und dass zu Lugano im Kaffeehaus Terreni ein lombardisches Komité existiren solle, welches Brandschriften erlasse, Emissäre aussende und allerlei wühlerische Umtriebe veranstalte.
Bezüglich der Waffenschmuggelei müssen wir vor Allem aus bemerken, dass der Herr Graf Haller schon früher, zur Zeit als die eidgenössischen Truppen die Grenzen noch besezt hatten, unterm 14. Dezember eine ganz ähnliche Klage führte10, ja selbst noch umständlicher als gegenwärtig, indem er uns mehrere Häuser auf tessinischem Gebiet namentlich bezeichnete, wo den lombardischen Flüchtlingen angehörige Waffen deponirt sein sollten. Wir giengen, um ihm zu entsprechen, vielleicht weiter, als wir sollten, indem wir die tessinische Regierung bewogen, an den bezeichneten Orten eine Hausuntersuchung anzuordnen, was von gewisser Seite als eine Verletzung des Hausrechtes nicht ohne Tadel blieb; ob mit Recht oder Unrecht, lassen wir dahingestellt. Es fanden sich dort zwar Waffen vor, doch nicht in solcher Anzahl und von solcher Art, dass sich auf die Richtigkeit der Klage schliessen liesse, indem sie Bewohnern des Kantons gehören sollen. Indessen haben wir selbe mit Beschlag belegt, der jezt noch fortdauert. Wir halten dafür, dass die Klagen bezüglich des Schmuggelhandels mit Waffen übertrieben seien, und dass es mehr den lombardischen als den tessinischen Behörden zukomme, denselben zu überwachen. Die gleiche Bemerkung bezieht sich auch auf die vorgebliche Einschwärzung von aufrührerischen Schriften, um so mehr, als bis anhin keine Daten vorliegen, welche die Ausfertigung derselben im hiesigen Kanton begründen. Von einem angeblichen lombardischen geheimen Comité im Kaffee Terreni wissen wir nichts und haben auch nicht den geringsten Laut über so etwas vernommen. Es ist eines der besuchtesten Kaffeehäuser und wir finden uns dort öfterer zu verschiedenen Stunden, ohne dass uns je das geringste Verdächtige aufgefallen wäre. Wir wollen für einstweilen über alle diese Punkte nicht näher eintreten, sondern die angedeuteten nähern Bezeichnungen des Herrn Grafen gewärtigen. – Inzwischen haben wir der tessinischen Regierung den Inhalt der Haller’schen Schreiben vom 25ten und 30ten Dezember sogleich schriftlich mitgetheilt und selbe aufgefordert, den geführten Beschwerden insoweit Rechnung zu tragen, als es die ungetrübte Aufrechterhaltung der nachbarlichen internationalen Verhältnisse fordert.
Noch ein Punkt bleibt uns zu berühren übrig, nämlich die neuerdings stattfindende Desertion von Lombarden auf schweizerisches Gebiet. Die Regel für dieselben ist durch das Dekret vom 5. Dezember ausgesprochen, indem sie höchstens acht Tage auf tessinischem Boden geduldet werden. Auch wandern solche sogleich auf dem kürzesten Weg nach Piemont und zwar in ziemlich grosser Anzahl.
Indem wir diesen Bericht schliessen, sehen wir mit Vergnügen Ihren allfälligen weitern nähern Aufträgen entgegen und wünschen von Herzen, dass das neue Jahr dem Vaterlande den Segen bringe, den seine Anstrengungen in den jüngst verflossenen Jahren und Ihre weise Leitung verdienen.
- 1
- Rapport: E 2/339.↩
- 2
- Non reproduite.↩
- 3
- Lettre du Conseil fédéral aux commissaires fédéraux du 11 décembre 1848 (non reproduite).↩
- 4
- E 2/352.↩
- 5
- Cf. la note de Radetzky au Conseil d’Etat du Tessin du 15 septembre 1848 annonçant le renvoi des Tessinois résidant en Lombardie et le blocus de la frontière (E 2/337).↩
- 6
- Non reproduite.↩
- 7
- No l, annexe.↩
- 8
- E 2/351.↩
- 9
- Non reproduite.↩
- 10
- Idem.↩
Tags