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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 24, doc. 180
volume linkZürich/Locarno/Genève 2012
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2807#1974/12#396* | |
Old classification | CH-BAR E 2807(-)1974/12 32 | |
Dossier title | Allgemeines (1966–1969) | |
File reference archive | 062-0 |
dodis.ch/33243
Der Vorsteher des Politischen Departements, W. Spühler, an den Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, W. Brandt1
Mein Glückwunschtelegramm2 anlässlich Ihrer Übernahme des Bundeskanzleramtes hat die hohe Genugtuung, dass Ihnen als Führer der deutschen Sozialdemokratie die Leitung der politischen Geschicke der Bundesrepublik zugefallen ist, auch nicht annähernd zum Ausdruck bringen können. Nicht nur Ihre politischen Freunde, sondern weiteste Volkskreise unseres Landes verfolgen mit deutlicher Sympathie und wachem Interesse die Politik Ihrer Regierung.
Sie werden in wenigen Tagen, anlässlich der Gipfelkonferenz der sechs Staaten der Europäischen Gemeinschaften im Haag3, über die zukünftige wirtschaftliche und politische Gestaltung Westeuropas richtungweisende Beschlüsse zu treffen haben. Mit grosser Befriedigung haben wir Ihrer Regierungserklärung entnommen, dass Ihnen dabei auch am Einbezug der neutralen Staaten in eine Gesamtregelung gelegen sein wird und dass Ihnen hierfür neue Formen wirtschaftlicher Zusammenarbeit vorschweben.
Lassen Sie mich versichern, dass die Schweiz die Rolle, die einem neutralen Staat in einer auf Entspannung ausgerichteten europäischen Friedenspolitik zufällt, erkennt und zu übernehmen bestrebt ist. Die positive Haltung der neuen deutschen Regierung gegenüber dem Atomsperrvertrag4 z. B. hat es mir entschieden erleichtert, dem Bundesrat den Antrag auf Unterzeichnung des Vertrages zu unterbreiten. Dieser hat denn auch in seiner heutigen Sitzung die Ermächtigung5 dazu erteilt. Was die wirtschaftliche Seite der Integration anbetrifft, darf ich Sie daran erinnern, dass der Bundesrat am 15. Dezember 19616 in Brüssel ein Verhandlungsgesuch gestellt und dieses seither mehrmals, auch in jüngster Zeit, ausdrücklich bestätigt hat. Angesichts der zwingenden Gründe, die im Falle der Inaussichtnahme einer Erweiterung der Euro päi schen Gemeinschaften für eine Gesamtregelung des Integrationsproblems sprechen, wäre es für die Schweiz unverständlich, wenn die Gipfelkonferenz die Notwendigkeit einer gleich zeitigen Fühlungnahme mit den Neutralen und die Bereitschaft zur Aufnahme von Gesprächen mit diesen Ländern7 nicht klar zum Ausdruck bringen würde. Die von mir angedeuteten zwingenden Gründe haben vor allem mit der zentralen Rolle zu tun, die gerade die Schweiz als Wirtschaftspartner8 der EWG, und insbesondere der Bundesrepublik, auf den Gebieten des Aussenhandels, der Dienstleistungen, des Verkehrs und der finanziellen und währungspolitischen Kooperationen spielt und die an Bedeutung von allen europäischen Dritt staaten nur noch von Grossbritannien gelegentlich übertroffen wird.
Selbstverständlich muss nach so langer Wartezeit vermieden werden, die allfälligen Verhandlungen mit Grossbritannien9 durch zusätzliche Komplikationen zu verzögern. Gerade weil, wegen der inneren wirtschaftlichen Zusammenhänge, schliesslich eine Gesamtlösung zustande kommen muss, erachten wir es jedoch für wichtig, dass frühzeitig auch über mögliche Regelungen für die neutralen Staaten nachgedacht wird. Hierfür aber ist es unerlässlich, dass die spätere Aufnahme von Verhandlungen durch eingehende, frühzeitig einzuleitende Gespräche über die Art und Weise, wie den Interessen aller Beteiligten am besten Rechnung getragen werden könnte, vorbereitet werden. Der schweizerische Bundesrat ist zur Aufnahme derartiger Gespräche jederzeit bereit.
Wir haben am letzten Freitag gegenüber Herrn Jean Rey, Präsident der Europäischen Kommission, anlässlich seines offiziellen Besuches in Bern10 diese Bereitschaft bekräftigt und ihn ermächtigt, unsere Stellungnahme an der nächsten Sitzung des Ministerrates der Europäischen Gemeinschaften und allenfalls an der Gipfelkonferenz zu eröffnen.
Ich bin Ihnen dankbar, wenn Sie den hier vorgebrachen Überlegungen Ihre Aufmerksamkeit schenken möchten.
- 1
- Schreiben (Kopie): E2807#1974/12#396* (062-0).↩
- 2
- Telegramm vom W. Spühler an W. Brandt vom 20. Oktober 1969, E2001E-01#1982/58#986* (B.15.41.1).↩
- 3
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 186, dodis.ch/33247; das Schreiben von P. R. Jolles an C. Caillat vom 11. Dezember 1969, dodis.ch/33593; das BR-Prot Nr. 2200 vom 22. Dezember 1969, dodis.ch/33594 und das Schreiben von W. Spühler an W. Brandt vom 23. Dezember 1969, dodis.ch/33596.↩
- 4
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 81, dodis.ch/32905, Anm. 9.↩
- 5
- Vgl. das BR-Prot. Nr. 2004 vom 24. November 1969, dodis.ch/33146.↩
- 6
- Zum Verhandlungsgesuch vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 165, dodis.ch/33034, Anm. 13 und zu dessen Bestätigung DDS, Bd. 24, Dok. 33, dodis.ch/33238 sowie die Notiz von P. R. Jolles vom 20. Oktober 1969, dodis.ch/33854.↩
- 7
- Vgl. dazu das Protokoll von F. Blankart und H. Zimmermann vom 27. Oktober 1969, dodis.ch/33813; das Telegramm Nr. 22 von P. R. Jolles an P. H. Wurth vom 28. Oktober 1969, dodis.ch/33862 und das Schreiben von H. Schaffner an J. Rey vom 11. Dezember 1969, dodis.ch/33864.↩
- 8
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 179, dodis.ch/33041 und das Schreiben von W. Brandt an W. Spühler vom 28. November 1969, dodis.ch/33595.↩
- 9
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 33, dodis.ch/33238, Anm. 3.↩
- 10
- Vgl. dazu das Telegramm Nr. 46 des Politischen Departements an P. Micheli, vom 24. November 1969, dodis.ch/33865 sowie die Notiz von M. Feller vom 26. November 1969, dodis.ch/33866.↩
Relations to other documents
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