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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 22, doc. 26
volume linkZürich/Locarno/Genève 2009
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2806#1971/57#101* | |
Old classification | CH-BAR E 2806(-)1971/57 7 | |
Dossier title | France (1961–1970) | |
File reference archive | 17-34 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2804#1971/2#446* | |
Old classification | CH-BAR E 2804(-)1971/2 73 | |
Dossier title | Besuche von Persönlichkeiten (1960–1965) | |
File reference archive | 170.5 |
dodis.ch/30270 Notiz des Vorstehers des Politischen Departements, F. T. Wahlen1 Gespräch mit dem Präsidenten de Gaulle vom 17. November 19612
Vorbemerkung: Präsident de Gaulle macht wohl den Eindruck einer sehr selbstbewussten Persönlichkeit, ohne aber irgendwie in den Ausdrucksformen eine Überlegenheit zu manifestieren. Im Gegenteil, er strömt eine Atmosphäre der Gastlichkeit aus und weiss sehr gut zuzuhören.
Das Gespräch wickelte sich wie folgt ab:
De Gaulle: Ich freue mich, konstatieren zu können, dass die guten Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern andauern, obwohl ich mir bewusst bin, dass auf wirtschaftlichem Gebiet gewisse Schwierigkeiten bestehen, die mir bekannt sind.
Ich: Die bilateralen Schwierigkeiten sind nicht von einer Art, dass sie die Aufrechterhaltung unserer guten Beziehungen irgendwie gefährden könnten. Unsere Hauptsorgen liegen auf einem anderen Gebiet, dem der multilateralen Beziehungen, konkret ausgedrückt, der europäischen Integration.
Er: Frankreich will die Integration, weil sie zur Stärkung des Westens unbedingt nötig ist, und für uns vor allem deshalb, weil wir eine dauernde Regelung unserer Beziehungen zu Deutschland anstreben. Wie denken Sie über das Problem Deutschland und speziell über das Problem Berlin?
Ich: Ich sehe eine psychologische Gefahr darin, dass Berlin nach dem 13. August einen Teil seines Selbstvertrauens verloren hat, und dass sich aus diesem Gefühl heraus mit der Zeit eine Art moralischer Verrottungsprozess einstellen könnte, der auch auf die Westdeutsche Bundesrepublik übergreifen könnte.
Er: Ich sehe die Dinge genau so. Darum wünscht Frankreich keine Verhandlungen mit den Russen, die ohnehin nicht echte Verhandlungen wären. Frankreich hat die amerikanische Haltung nicht begriffen. Allerdings hat Frankreich zugestimmt, dass die Amerikaner sondieren, aber auf ihre eigenen Risiken. Frankreich bleibt fest. Im übrigen bedaure ich den Ausgang der deutschen Wahlen, was zur Folge hat, dass sich Adenauer nicht mehr auf eine feste Mehrheit stützen kann. Das erhöht aber nur die Notwendigkeit der Stärkung des Westens.
Ich: Wir begreifen diese Notwendigkeit und wünschen deshalb den Integrationsbestrebungen allen Erfolg. Sie, Herr Präsident, kennen die Gründe aus denen wir nicht in vollem Umfang mitmachen können, werden aber andererseits auch begreifen, dass wir uns nicht in eine Isolation gedrängt sehen wollen. Wir müssen an unserer Neutralität festhalten, die eine bewaffnete und immerwährende ist. Die in Durchführung begriffene Armeereform und die Tatsache, dass ein gutes Drittel unseres Budgets der Landesverteidigung gewidmet ist, zeugen für den festen Willen, an dieser Politik festzuhalten. Der Geist unserer Armee ist vorzüglich. Sie bedeutet für die Schweiz neben dem primären Zweck als Instrument der Landesverteidigung eine Institution der staatsbürgerlichen Erziehung und des staatsbürgerlichen Zusammenhalts.
Ein weiterer Grund, der uns den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft verwehrt und der im Ausland zu wenig gewürdigt wird, sind die verfassungsrechtlichen Verhältnisse. Wir können in unserer Referendumsdemokratie nicht Befugnisse an eine weitere Gemeinschaft abtreten, die dem Volk vorbehalten sind, das im vollen Sinne des Wortes der Souverän ist.
Er: (unter Wechsel des Themas) Ich möchte Ihnen den Dank Frankreichs für die Dienste aussprechen, welche die Schweiz zur Beilegung des algerischen Konfliktes geleistet hat, und die mir sehr genau bekannt sind3. Es handelt sich beim algerischen Problem um eine sehr wichtige Frage, aber ich bin entschlossen, sie zu lösen. Wenn dies nicht mit einem Mittel der Verständigung geschehen kann, so werde ich die Lösung einseitig treffen: Frankreich braucht Algerien nicht.
Ich: Der Schweizerische Bundesrat hofft sehr auf eine gute Lösung dieses so schwerwiegenden Problems. Wir sind glücklich, Frankreich in dieser Frage gute Dienste leisten zu können, wie es überhaupt das Bestreben des Bundesrates ist, auf allen Gebieten solche Dienste zu leisten, wo sie von uns gewünscht werden, um damit den positiven Sinn unserer Neutralität zu unterstreichen.
Er: Frankreich versteht den Sinn Ihrer Neutralität und billigt sie. Sie bedeutet für uns in ihrer bewaffneten Form eine Sicherheit. Die Integration wird noch manche Schwierigkeiten bringen; so werden die Verhandlungen mit England sehr lang und sehr schwierig sein. Frankreich begreift Ihren Wunsch nach einer Form der Verständigung mit der Europäischen Gemeinschaft, die nicht leicht zu finden sein wird. Sie dürfen aber versichert sein, dass Ihnen von Seiten Frankreichs keine Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden.
Ich: Diese Zusicherung ist für uns äusserst wertvoll, und ich danke Ihnen aufrichtig dafür. Die traditionell guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern werden durch sie eine äusserst erfreuliche Verstärkung erfahren.
Nach den üblichen Höflichkeitsformeln von Präsident de Gaulle, durch die Einladung unterstrichen, ich möchte ihn bei jedem Besuch in Paris aufsuchen, begleitete er mich bis in den Hof des Elysees.
- 1
- E 2804(-)1971/2/73. Eine Kopie dieser Notiz ging an P. Micheli.↩
- 2
- Handschriftliche Anmerkung: Dem BR mitgeteilt am 24. XI. 61.↩
- 3
- Vgl. Nr. 3, Anm. 5, in diesem Band.↩
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European Union (EEC–EC–EU) Good offices Multilateral relations France (General)