Wahlsieg der Partei Peróns. Innenpolitische, regionale und internationale Auswirkungen.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 16, doc. 69
volume linkZürich/Locarno/Genève 1997
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#196* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 99 | |
Dossier title | Buenos Aires, Politische Berichte und Briefe, Band 10 (1944–1952) |
dodis.ch/294 Der schweizerische Gesandte in Buenos Aires, E. Feer, an den Vorsteher des Politischen Departements, M. Petitpierre1 DER SIEG PERÓNS
Die Stimmenzählung nach den Präsidentschafts- und Kongresswahlen vom 24. Februar hat über einen Monat gedauert. Die abschliessenden Resultate liegen nunmehr vor und was man schon seit Wochen kommen sah2, bestätigt sich, dass Oberst Perón einen der überwältigendsten Wahlsiege in der Geschichte Argentiniens erfochten hat. In der neuen Deputiertenkammer werden nicht weniger als 109 Vertreter der Partei der Arbeit «partido laborista» sitzen, die heute kurz als «peronistas» bezeichnet werden. Ihnen gegenüber stehen nur 44 Radikale, 2 Nationaldemokraten und 2 Vertreter der kleinen weniger bekannten Partei der Antipersonalistas. Die Sozialdemokraten sind von der Partei Peróns völlig zermürbt und ausgeschaltet worden und haben keinen einzigen Vertreter im Gegensatz zu 17, die sie bei den letzten Wahlen für die Deputiertenkammer in der Stadt Buenos Aires aufbringen konnten.
Im Senat ist die Mehrheit der Partei Peróns noch vollständiger. Von den 30 Mitglieder werden mindestens 26 Peronistas sein, während es noch nicht entschieden ist, welcher Partei die 4 andern angehören werden, da dieselben nicht direkt, sondern durch Vermittlung der sogenannten Elektoren ihr Mandat erhalten. Nach der Auffassung guter Kenner der argentinischen Innenpolitik sind es drei Faktoren, die zu dem vollständigen Sieg Peróns beigetragen haben:
1. Die Schwäche und Ungeschicklichkeit der Opposition
Die persönlichen Reibungen zwischen den historischen Parteien der Radikalen und der Konservativen sind so gross, das Misstrauen zwischen ihnen so stark, dass die Konservativen im grossen ganzen sich nicht entschliessen konnten, mit den Radikalen gemeinsame Sache zu machen, sondern mehrheitlich ebenfalls für die Anhänger Peróns stimmten. Ihr Verhalten wurde auch stark dadurch beeinflusst, dass die Radikalen sich unglücklicherweise verleiten liessen, ein Wahlbündnis mit den Kommunisten abzuschliessen, was die katholische Kirche veranlasste, die Parole auszugeben, nicht für die Radikalen zu stimmen. So haben die Radikalen bedeutend mehr Stimmen verloren, als sie durch die Vereinigung mit der sehr schwachen kommunistischen Partei gewinnen konnten.
2. Ideologische und wahltaktische Vorteile Peróns
Oberst Perón hatte alle fortschrittlichen sozialen Postulate auf seinem Programm und den Radikalen blieb nichts übrig, als nach dieser Richtung hin etwas lahm nachzuhinken. Durch die berühmten Dezember-Dekrete (Sozialversicherung, Ausrichtung eines Monatsbonus und Lohnerhöhung an die Arbeitenden) der Regierung Farrell, welche allgemein als das Werk Peróns bekannt waren, hatte der frühere Leiter der Secretaría de Trabajo y Previsión die Sympathien der unterprivilegierten Klassen für sich gewonnen. Landauf landab konnte man hören, dass Perón der erste Mann war, der nicht nur schöne Worte machte, sondern tatsächlich auch etwas für die Arbeiter und Angestellten getan hat.
Zweifellos hat die Regierung Farrell die Wahlen zugunsten Peróns beeinflussen können. In der ganzen Periode des Wahlkampfes herrschte Belagerungszustand und zahlreiche Führer der Opposition waren durch Einschüchterung, Gefängnis oder Verbannung ausgeschaltet. In den staatlichen Rundfunknetzen kamen die Vertreter des Partido Laborista uneingeschränkt zum Wort, während die Radikalen immer wieder Mühe hatten, sich durchzusetzen und bei ihren Propagandareisen mit allen Mitteln schikaniert wurden. Vielfach wird behauptet, dass der Staat die Wahlagitation zugunsten Peróns zum mindesten teilweise finanziert hat.
3. Das Blaubuch der Vereinigten Staaten3 , das ungefähr 10 Tage vor den Wahlen veröffentlicht wurde, hat dem Obersten Perón bestimmt nicht geschadet, höchstens genützt. In sehr geschickter Weise hat seine Partei das Blaubuch ausgenützt, um den Argentiniern klarzumachen, dass wenn der Oberst nicht gewinne, Argentinien in Gefahr stehe, eine nordamerikanische Kolonie zu werden. Der persönliche Zweikampf zwischen Perón und dem früheren amerikanischen Botschafter Braden hatte sich so sehr der Fantasie aller Argentinier bemächtigt, dass es leicht war, den Millionen kleiner ungebildeter Leute den amerikanischen Imperialismus als Teufel an die Wand zu malen. So sah man denn überall Inschriften wie «Patria si, Colonia no» oder «Muera Braden, Viva Perón».
[…] 4
Aussenpolitisch gesehen, kann keinem Zweifel unterliegen, dass die argentinischen Wahlen auf das Verhältnis unter den südamerikanischen Ländern einen grossen Einfluss ausgeübt haben. Die Tatsache, dass die Wahlen verfassungsmässig und sauber durchgeführt wurden, was sogar von der Opposition zugegeben wird, hat einen wesentlichen Umschwung in der Einstellung derselben bewirkt. Man ist geneigt, den faschistischen und diktatorischen Charakter des Regimes Perón in weniger gefährlichem Lichte zu sehen. Die vom Staatsdepartement in Washington befolgte Politik, Argentinien unter Mitwirkung eines Mehrheitsblocks der lateinamerikanischen Staaten isolieren und die hier aufkeimenden faschistischen Tendenzen abwürgen zu wollen, scheint endgültig zum Misserfolg verurteilt. Die Bemühungen des Staatssekretärs Byrnes und seines Mitarbeiters Braden, Argentinien von der geplanten Konferenz in Rio de Janeiro5, welche die Verteidigung der westlichen Hemisphäre organisieren soll, auszuschalten, sind gescheitert. Nacheinander haben Brasilien, Mexico, Cuba, Ecuador erklärt, dass das argentinische Volk in freien Wahlen seinen Willen ausgedrückt habe und aus der Gemeinschaft des Kontinents nicht ausgestossen werden dürfe. Es zeigt sich, wie richtig die Bemerkungen waren, die mir gegenüber von Vertretern dieser Länder in Rio de Janeiro gemacht wurden, als sie darauf hinwiesen, wenn es zu einer Auseinandersetzung komme, so stehe ihnen Argentinien immer noch etwas näher als die Vereinigten Staaten6.
Unter den hiesigen südamerikanischen Diplomaten, mit denen ich Gelegenheit hatte, über die Situation zu sprechen, mehren sich die Stimmen, welche das nordamerikanische Blaubuch als einen psychologischen Fehltritt bezeichnen. Der Umstand, dass das Staatsdepartement in Berlin gefundene Dokumente verarbeitet hat, um einen südamerikanischen Staat anzuklagen, ohne den andern südamerikanischen Regierungen Einsicht in diese Dokumente zu gewähren, hat ein allgemeines Unbehagen verursacht. Viele fragen sich, ob denn unter dem in Berlin gefundenen Material sich nicht auch Papiere finden könnten, die für andere südamerikanische Regierungen oder zum mindesten für einzelne südamerikanische Staatsmänner kompromittierend sein könnten. Man rechnet mit der Möglichkeit, dass deutsche Diplomaten über Gespräche in südamerikanischen Hauptstädten nach Berlin berichet haben, durch die einzelne lateinamerikanische Politiker und Diplomaten in falschem Lichte erscheinen. Das Unbehagen, das aus dieser Lage entsteht, schlägt natürlich leicht in Misstimmung gegen den mächtigen nördlichen Nachbar um und ist geeignet, die Solidarität Lateinamerikas gegen Washington zu stärken.
- 1
- Politischer Bericht (Kopie): E 2300 Buenos Aires/10.↩
- 2
- Für eine Analyse der Parteienlandschaft und der innenpolitischen Situation vor den Wahlen vgl. den politischen Bericht von K. Forcart an M. Petitpierre vom 8. Februar 1946, dodis.ch/2298.↩
- 3
- Zum Inhalt des erwähnten Blaubuchs vgl. den Brief von K. Bruggmann an W. Stucki vom 15. Februar 1946, dodis.ch/2194.↩
- 4
- Im nicht abgedruckten Teil findet sich eine Darstellung des neuen Kräfteverhältnisses im argentinischen Kongress, durch das die gesetzgeberischen Arbeiten der Regierung Peróns nach Meinung Feers beschleunigt werden dürften. Im weiteren berichtet Feer über die erste Rede Peróns nach seiner Wahl. In dieser habe Perón festgehalten, dass ausländisches Kapital trotz der anstehenden wirtschaftspolitischen Kursänderung keinen Schaden nehmen werde.↩
- 5
- Zu dieser Konferenz und zum Abschluss des interamerikanischen Verteidigungspaktes von Rio de Janeiro vom 30. August vgl. den politischen Bericht von C. A. Redard an M. Petitpierre vom 8. September 1947, dodis.ch/2190. Vgl. auch den politischen Bericht von F. Bernoulli an M. Petitpierre vom 9. September 1947, dodis.ch/2281.↩
- 6
- Vgl. den politischen Bericht von E. Feer an M. Petitpierre vom 22. Februar 1946, dodis.ch/2299.↩
Relations to other documents
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