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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 22, doc. 13
volume linkZürich/Locarno/Genève 2009
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1976/17#2228* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1976/17 387 | |
Dossier title | Anerkennung durch die Schweiz (1961–1963) | |
File reference archive | B.15.11 • Additional component: Korea, Republik |
dodis.ch/18909 Interne Notiz des Politischen Departements1 Notiz betreffend allfällige Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Südvietnam und Südkorea
Die von der Schweiz bis jetzt – unter prinzipieller Innehaltung einer gebotenen Zurückhaltung – von Fall zu Fall pragmatisch beantwortete Frage einer Anerkennung der Teilstaaten in Deutschland, China, Vietnam und Korea droht durch die kürzlichen Vorstösse von südvietnamesischer und südkoreanischer Seite in dieser Sache ziemlich folgenreich kompliziert zu werden. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit diesen beiden Ländern sollte vorläufig besser unterbleiben. Die Gründe dafür sind folgende:
Die weltpolitische Auseinandersetzung zwischen West und Ost, für uns eine Auseinandersetzung zwischen abendländischer Freiheit und kommunistischem Totalitarismus, ist für die Länder Asiens und Afrikas, vor allem für jene, die erst seit dem Kriege unabhängig geworden sind, nicht in dieser ganzen Bedeutung und Tragweite verständlich; diesen in ganz andern geistigen, kulturellen und sozialen Traditionen verhafteten Völkern sind abendländisches Denken und kommunistische Ideologie letztlich gleichermassen unverständlich. Hinzu kommt, dass ihnen die Beteuerungen des Westens wie des Ostens, für das Wohl auch der asiatischen und afrikanischen Staaten zu kämpfen, angesichts der kolonialen Vergangenheit zahlreicher westlicher Staaten einerseits, der Ereignisse in Tibet, des kontinuierlichen Flüchtlingstromes aus kommunistischen Staaten und der kommunistischen Religions- und Traditionsfeindlichkeit anderseits als nicht ganz aufrichtige Propaganda erscheinen.
Ein kleiner Teil der Staaten Asiens und Afrikas steht traditionell auf westlicher Seite, ein anderer, grösserer schlägt sich aus opportunistischen Gründen zur einen oder andern Seite; daneben besteht aber eine noch grössere Gruppe von Staaten, die ehrlich und aufrichtig nach einer neutralen Stellung ausserhalb der beiden Blöcke suchen; nicht, weil sie prinzipiell gegen den Westen und die Freiheit wären, sondern weil aus ihrer andersartigen Sicht heraus West wie Ost einfach zwei machtpolitische Rivalen im Kampf um die Vorherrschaft sind, die beide, aus blossen egoistischen Motiven, die «noncommitted nations» umwerben. Am Beispiel von Laos glauben diese Völker ableiten zu können, was herauskommt, wenn man sich vom Westen oder vom Osten einspannen lässt. Neutralität oder Neutralismus in der Auseinandersetzung zwischen West und Ost – dies sei nochmals unterstrichen – ist deshalb für viele Staaten zumindest in Asien ein zwar oft missdeutetes, aber trotzdem echtes und ehrliches Anliegen. (Die Missdeutungen haben ihre Ursache hauptsächlich darin, dass diese Staaten noch wenig aussenpolitisches Fingerspitzengefühl besitzen und in guten Treuen gelegentlich in die Pfanne hauen, weil sie die Linie ihrer Neutralität weniger nach völkerrechtlicher Doktrin als nach vielfach gefühlsbetonten Impulsen verfolgen).
Dass die Schweiz als der Staat, dem es gelang, unangeschlagen an der Neutralität bis in die neueste Zeit festzuhalten, bei diesen Völkern ein fast mythisches Ansehen besitzt, braucht nicht näher erklärt zu werden. Unser Ansehen wird noch gefördert durch die Tatsache, dass wir von jeder kolonialen Vergangenheit unbelastet sind.
Die Schweiz hat ihrerseits ein doppeltes Interesse an der Entstehung einer möglichst umfangreichen Gruppe neuer echt und ehrlich neutraler Staaten (auch wenn wir – aus Gründen unserer eigenen Neutralität – jegliche Identifikation oder gar Bindung mit einer solchen Gruppe ablehnen müssen):
a. Die durch den kalten Krieg entstandene machtpolitische Balance hat unsere während und unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg sehr schwierige politische Lage als neutraler Staat bedeutend erleichtert. Diese Balance ist aber labil, und entsprechend bleibt unsere Lage prekär. Das Entstehen einer Gruppe neuer aufrichtig neutraler Staaten kann uns deshalb – als ein Stabilisierungsfaktor – nur willkommen sein.
b. Die amerikanische Aussenpolitik, obschon von den besten Absichten getragen, begeht in regelmässigen Abständen psychologische und andere Fehler, welche die USA und damit den Westen bei den «uncommitted nations» in Misskredit bringen. (Das jüngste, in seiner Tragweite noch nicht voll abzuschätzende Beispiel ist Thailand, das aus dem angesichts des Versagens der USA und der SEATO in Laos empfundenen Schock heraus offiziös bekanntgab, es sehe sich veranlasst, «to re-examine our exposed position as well as our obligations which have become one-sided»; (vgl. Beilage2, S. 11/12). Wenn nicht der Osten aus solchen Fällen einseitig Gewinn schlagen soll, ist es von äusserster Wichtigkeit, dass den «uncommitted nations» als Alternativlösung gegenüber West und Ost die Neutralität als aussenpolitische Haltung möglich und sinnvoll erscheint.
Wir haben also ein Interesse daran, durch unser Beispiel den aufrichtig nach Neutralität oder Neutralismus suchenden «uncommitted nations» stets vor Augen zu führen, dass die Neutralität als aussenpolitische Haltung möglich und durchführbar ist. Dieses Beispiel hinwiederum ist nur möglich, wenn wir selbst diese Haltung in unserer Aussenpolitik (nicht geistig!) konsequent und kompromisslos durchhalten.
Südvietnam und Südkorea sind «ausgesprochene Klientenstaaten der USA». (Botschafter Lindt, Schreiben vom 3. Februar 19613). Sie stellen zwar Bastionen des Westens dar, aber nicht aus eigener Kompetenz, sondern durch eine Präsenz der USA. Für die «uncommitted nations» Asiens (und wohl auch Afrikas) ist deshalb eine Anerkennung dieser beiden Staaten gleichbedeutend mit einer aussenpolitischen Stellungnahme zugunsten der dortigen amerikanischen Machtposition. Zweifel an der Aufrichtigkeit unserer Neutralität liessen sich in diesem Falle nicht vermeiden, was – wie oben erwähnt – keinesfalls in unserem Interesse ist. Dazu kommt noch, dass die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Südvietnam und Südkorea dem Ostblock den Hanf zu einem Strick liefern könnte, der uns früher oder später gedreht würde. (Eine gleichzeitige Anerkennung Nordvietnams und Nordkoreas «zum Ausgleich» kommt noch viel weniger in Frage, weil wir damit die westlichen Mächte verstimmen würden, was nicht nur eine aussenpolitische Belastung für uns sondern ein mit unserer Weltanschauung unvereinbares Resultat wäre).
Der Fall Südkorea ist relativ einfach. Wir haben diesen Staat bis heute noch nicht anerkannt, und die kürzliche Goodwillmission erwähnt in ihrem Dankschreiben4 nichts von der Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Schweizerischerseits besteht kein Interesse an einem solchen Schritt (nur geringe Handelsinteressen, genügend politische Informationsmöglichkeiten durch den Delegationschef5, unsichere Zukunft des gegenwärtigen Regimes, wünschbare Neutralität wegen unserer Rolle als Mitglied der NNSC). Die Angelegenheit wird deshalb vorläufig am besten auf sich beruhen gelassen.
Gegenüber Südvietnam befinden wir uns in einer weniger einfachen Lage, weil hier – als Resultat kürzlicher Kontakte – bereits ein BRB betreffend Ermächtigung Südvietnams zur Eröffnung einer diplomatischen Vertretung in der Schweiz vorliegt6. Von diesem BRB sollte indessen vorläufig kein Gebrauch gemacht werden. Wir können den Vietnamesen das Konsulat in Genf zugestehen und kündigen gleichzeitig (Einverständnis der FREPO vorausgesetzt) Visumserleichterungen an, während wir auf die Errichtung einer Botschaft nicht mehr zu sprechen kommen. Sollten die Vietnamesen mehrmals dringlich mahnen (Bonn oder Saigon), kann unser dortiger Vertreter mündlich vertrösten, die Sache befinde sich in wohlwollender Prüfung; ein (mündlicher) Hinweis auf den kürzlichen Wechsel in der Leitung des Departements, mit entsprechenden Verzögerungen der laufenden Geschäfte wegen Einarbeitung des neuen Departementschefs7, wird in Asien ohne weiteres akzeptiert, da diese Erscheinung dort durchaus üblich ist. Dass wir offiziell in dieser Sache nichts mehr verlauten lassen, wird von den Südvietnamesen im übrigen – trotz zu erwartenden Mahnungen – akzeptiert werden: sie haben mit ihrem Aide-mémoire vom 20. Juni 19618 und dem Telegramm vom 13. September 19619 versucht, uns in unzulässiger Weise festzulegen und bringen uns so in eine Konfliktsituation, aus der uns im heutigen Zeitpunkt kein Ausweg möglich ist. Schweigen als Antwort wird in einem solchen Fall in Asien als eine völlig legitime Spielregel anerkannt, die allein die «Wahrung des Gesichtes» ermöglicht.
Ungeachtet der Nicht-Aufnahme von diplomatischen Beziehungen mit Südvietnam (oder, was hier nicht zur Diskussion steht, Laos) können Beziehungen mit Kambodscha baldmöglichst aufgenommen werden10. Kambodscha, Laos und Vietnam sind drei geschichtlich, ethnisch, sprachlich und politisch völlig verschiedene Staaten, die sich nicht solidarisch fühlen. Die Periode der gemeinsamen französischen Verwaltung («Indochina») hat sie einander nicht näher gebracht, sowenig seinerzeit die habsburgische Administration Österreich, die Tschechei u. Ungarn einander näher gebracht hat.
- 1
- E 2001(E)1976/17/387. Paraphe: KK. Diese Notiz wurde von H. Kaufmann verfasst.↩
- 2
- Nicht ermittelt.↩
- 3
- Nicht abgedruckt.↩
- 4
- Vgl. das Schreiben von Yong Shik Kim an F. T. Wahlen vom 13. September 1961, nicht ab gedruckt.↩
- 5
- Vgl. DDS, Bd. 22, Dok. 7, dodis.ch/18865.↩
- 6
- Vgl. das BR-Prot. Nr. 1153 vom 23. Juni 1961, E 1004.1(-)-/1/650.↩
- 8
- Vgl. das Aide-Mémoire von V. V. Mau an M. Petitpierre, E 2001(E)1978/84/1033.↩
- 9
- Nicht ermittelt.↩
- 10
- Vgl. das BR-Prot. Nr. 31 vom 9. Januar 1962, E 1004.1(-)-/1/657.1, und das BR-Prot. Nr. 731 vom 18. April 1962, E 1004.1(-)-/1/660.2.↩
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