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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 21, doc. 124
volume linkZürich/Locarno/Genève 2007
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2800#1967/59#368* | |
Old classification | CH-BAR E 2800(-)1967/59 23 | |
Dossier title | Etats-Unis: (1951–1961) | |
File reference archive | 09.1.04 |
dodis.ch/15007
Der schweizerische Botschafter in Washington, A. Lindt, an den Vorsteher des Politischen Departements, M. Petitpierre1
Ihre Nr. 462. Da ich einen Entschluss3 für dringend erachte, beantworte ich ihre Fragen, ohne ihren Brief4 abzuwarten, mir allerdings vorbehaltend, meine Stellungnahme zu modifizieren, sollte dieser Angaben enthalten, die mir heute noch nicht bekannt sind. Seit meinem Nr. 785 hat sich die Lage ver
ändert. Der Vorschlag Rusk, eine Wartezeit von zwei Wochen einzuschieben6, beruht auf der Hoffnung, dass sie eine abkühlende Wirkung erzielen würde.
Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. Die Pressekampagne in Amerika7 wird heftiger, wobei auch die Schweiz immer mehr in die Diskussion hineingezogen wird. Die Möglichkeit rückt näher, dass eine amerikanische Zeitung auch auf die besonderen Aspekte des Falles Smith zu sprechen kommt, worüber ich
Sie in meinem persönlichen handschriftlichen Brief von gestern informiert habe8. Der Präsident9 könnte uns den Vorwurf machen, dass unser Zögern verantwortlich für die Fortführung dieser Attacken ist. Da aber auch die
Schweizer Zeitungen notwendigerweise jeden amerikanischen Artikel abdrucken und dazu Stellung beziehen, hat sich eine recht ausserordentliche
Situation herausgebildet: eine amerikanisch-schweizerische Presse-Attacke auf den amerikanischen Präsidenten. Dass unter diesen Umständen auch die Freunde der Nomination Smith zum Gegenangriff schreiten, hat der gestrige unflätige Artikel des Journal of America10 gezeigt. Die Fortdauer dieses Zustandes wird für die Schweiz immer unerträglicher. Ein rascher
Entschluss, der diesen Zustand beendigt, scheint mir notwendig. Dies schliesst a priori eine der drei Möglichkeiten aus, nämlich überhaupt keine Antwort zu erteilen. Verbleiben Erteilung oder Verweigerung des Agrément. Die
Untersuchung, welcher dieser beiden Schritte für uns in Frage kommt, hat auf drei Ebenen zu erfolgen – der internationalen, derjenigen der amerikanisch-schweizerischen Beziehungen und derjenigen der Vertretung der amerikanischen Interessen in Kuba11.
Primo: die Erteilung des Agrément. Die Frage der Nomination Smith ist in der ganzen Weltpresse erörtert worden. Dasselbe wird für unsere schliessliche Stellungnahme zutreffen. Die Erteilung des Agrément würde auf dieser
Ebene als die Kapitulation des Schwachen vor dem Starken erscheinen, was unserem Ansehen abträglich wäre. Der Präsident würde unser Nachgeben als einen persönlichen Sieg betrachten, ohne dass dies aber seine Achtung für uns steigern würde. Ein Teil der öffentlichen Meinung und die ernst zu nehmende
Presse Amerikas würden ähnlich urteilen wie das übrige Ausland. Für unsere zukünftigen Beziehungen mit Amerika wären die Resultante dieses Kräfteparallelogramms nicht förderlich. Denn in Amerika schafft das Nachgeben unter Druck einen Präzedenzfall, der im allgemeinen zur Auswertung reizt. Ein
Nachgeben scheint mir aber, allein im Hinblick auf den Artikel des Journal of
America, der übelsten Blackmail darstellt, schwierig. Aber auch mit der Erteilung des Agrement wäre die Angelegenheit nicht erledigt. Die Nomination
Smith bedarf der Bestätigung durch die aussenpolitische Kommission des
Senats. In diesen Hearings würden, aller Voraussicht nach, die Attacken gegen
Smith neu erhoben, was zu einer Wiederbelebung der Pressekampagne, sowohl in Amerika wie in der Schweiz, führen würde. Ich nehme allerdings nicht an, dass die Senatskommission die Bestätigung verweigern würde. Was schliesslich unsere Vertretung der amerikanischen Interessen anbelangt, ist meiner Ansicht nach durch die Presseartikel die Gefahr gesteigert worden, dass Kuba unserer
Aufgabe Schwierigkeiten bereiten könnte. Würde Castro die Akkreditierung seines Erzfeindes als amerikanischer Botschafter in Bern zum Anlass nehmen, um unserer Interessenvertretung in Havanna das Agrement zu entziehen?
Er könnte sich dabei zur Rechtfertigung unserer eigenen, öffentlich bekannt gewordenen Zweifel an der Weisheit der Ernennung Smith’s bedienen.
Secundo: die Verweigerung des Agrement. International würde diese
Wahrscheinlichkeit als ein mutiges Zeugnis schweizerischer Unabhängigkeit gewertet. Das Gleiche lässt sich von der grossen amerikanischen Presse, von zahlreichen Mitgliedern des Senats und des Kongresses annehmen. Was wäre die Reaktion des Präsidenten? Die Antwort ist schwierig. Folgende Möglichkeiten lassen sich annehmen:
1. Der Präsident, selbst mutig, hat in seinem Buch profiles in courage12 ein
Hohelied auf die menschliche Tapferkeit geschrieben. Rachsüchtigkeit und
Kleinlichkeit werden ihm nicht nachgeredet. Er könnte sich zwar im Augenblick erzürnen, würde uns die Sache aber nicht nachtragen.
2. Man hat es bei den Kennedys mit einem irischen Clan zu tun, in dem der Vater13 versteckt, aber doch wirksam den Einfluss des Ältesten ausübt.
Es ist der Vater, der das grösste Interesse an der Nomination Smith zu haben scheint. Würde der Clan Kennedy die Verweigerung des Agrement als einen persönlichen Affront auffassen, müssten wir mit einigen Versuchen rechnen, uns Schwierigkeiten zu machen. Es scheint aber schon heute fest, dass auf dem Gebiet der Presse die Freunde des Smith nicht Eingang in die Spalten der Zeitungen finden können, die ein nationales oder übernationales Ansehen geniessen. Sollten sich die Schikanen auf die Behandlung der bilateralen Fragen zwischen unseren Ländern erstrecken, könnten wir wohl auf eine recht heftige
Reaktion der amerikanischen öffentlichen Meinung zu unseren Gunsten zählen
– unter der Voraussetzung allerdings, dass die Öffentlichkeit davon Kenntnis erhält. Ich hatte nach meinen Gesprächen mit Kabinettsmitgliedern und hohen
Beamten allerdings die Hoffnung erhalten, dass bezüglich unserer festgefrorenen Fragen ein Tauwetter einsetzen könnte. Es lässt sich nicht sagen, ob unser
Entscheid dies ändern würde oder nicht. Ich rechne allerdings damit, dass sich wenige der sehr ehrenwerten und aufrechten Mitarbeiter des Präsidenten rückhaltlos mit dem Clan identifizieren würden. Denn die neue Regierung kam zur Macht mit der Forderung nach einer ausschliesslich sachlichen Politik. Ob der Präsident in seiner Verärgerung das Mandat zurückziehen würde, das uns die Vereinigten Staaten betreffs ihrer Interessen in Kuba übertragen haben, kann man nicht wissen. Ein solcher Schritt könnte nur ihm und nicht uns zur
Last gelegt werden. Es erschiene auch offenkundig als Racheakt, unter dem einzig die amerikanischen Interessen zu leiden hätten. Möglich wäre vielleicht auch, dass der Präsident sein Missfallen dadurch ausdrücken würde, dass er den Berner Posten für längere Zeit unbesetzt liesse. Ich möchte nicht die Möglichkeit ausschliessen, dass sich für uns Schwierigkeiten ergeben können. Nur
Spekulationen sind möglich. Aber diese denkbaren Schwierigkeiten wiegen meiner Ansicht nach leichter als die Nachteile, welche sich aus der Erteilung des Agrement bezüglich höheren und ungleich wichtigeren allgemein staatlichen Interessen ergeben würden. Der Entschluss ist uns durch die Art des amerikanischen Vorgehens, für das die amerikanische Regierung allein die
Verantwortung trägt, aufgezwungen worden.
Unabhängig von der Art des Entscheides, den der Bundesrat treffen wird, sollte mir genügend Zeit gelassen werden, mit Dean Rusk abzuklären, ob in der Einstellung des Weissen Hauses eine Veränderung eingetreten ist14.
- 1
- (Urgent): E 2800(-)1967/59/23.↩
- 2
- Vgl. das Telegramm Nr. 46 von M. Petitpierre an A. Lindt vom 18. Februar 1961, nicht abgedruckt.↩
- 3
- Zur Frage der Ernennung von E. Smith zum amerikanischen Botschafter in der Schweiz vgl. das Telegramm Nr. 53 von A. Lindt ans EPD vom 8. Februar 1961, nicht abgedruckt (dodis.ch/14975) und E 2001(E)1976/17/308.↩
- 4
- Vgl. das Schreiben von M. Petitpierre an A. Lindt vom 17. Februar 1961, nicht abgedruckt.↩
- 6
- Vgl. das Telegramm Nr. 68 von A. Lindt an M. Petitpierre vom 14. Februar 1961, nicht abgedruckt.↩
- 7
- Zur Pressekampagne vgl. die verschiedenen Zeitungsausschnitte, E 2001(E)1976 /17/308.↩
- 8
- Lindt schreibt in diesem Brief: Or il ne peut être exclu qu’une allusion ne paraisse tôt ou tard dans la presse. Madame S.[Smith]aurait été la maîtresse de K.[Kennedy]et il serait intéressé à la voir quitter le pays. On parle également d’un arrangement financier qui se serait effectué entre le père K.[Kennedy]et S.[Smith]. Vgl. das Schreiben von A. Lindt an M. Petitpierre vom 17. Februar 1961, nicht abgedruckt.↩
- 10
- Vgl. den Artikel Swiss Affront des Journal of America vom 17. Februar 1961, E 2001(E) 1976/17/308.↩
- 11
- Vgl. DDS, Bd. 21, Dok. 116, dodis.ch/15005.↩
- 12
- J. F. Kennedy, Profiles in courage,New York 1955.↩
- 13
- J. P. Kennedy.↩
- 14
- Vgl. DDS, Bd. 21, Dok. 126, dodis.ch/15008.↩
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