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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 20, doc. 112
volume linkZürich/Locarno/Genève 2004
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.36-09#1970/72#675* | |
Old classification | CH-BAR E 2200.36-09(-)1970/72 43 | |
Dossier title | Wirtschaftsordnung USA: Antitrustverfahren gegen Schweiz. Uhrenorganisationen (1954–1957) | |
File reference archive | N.21.11.2 |
dodis.ch/11334
Das politische Departement an die schweizerische Gesandtschaft in Washington1
UHREN-ANTITRUSTProZESSE2
Wir beehren uns, auf das Schreiben vom 22. März3 zurückzukommen, worin wir Sie über eine Vorsprache der Herren Direktor Blank von der FH4 und Anwalt Perret aus New York orientierten. Es ging dabei – wie erinnerlich – um die Frage, bis zu welchem Punkt der umfangreiche Fragebogen des amerikanischen Justizdepartements5 von den beklagten Uhrenorganisationen beantwortet werden könne, ohne dass damit eine Preisgabe schützenswerter Geschäftsgeheimnisse Dritter verbunden wäre. Es wäre den Uhrenorganisationen daran gelegen gewesen, wenn Sie dem amerikanischen Justizdepartement in aller Form hätten erklären können, dass die erteilten Antworten vom schweizerischen Rechtsstandpunkt aus die Grenze des Möglichen erreicht haben.
Die Bundesanwaltschaft als die für die Aspekte des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes (Art. 273 StGB)6 zuständige eidgenössische Behörde hat die Angelegenheit inzwischen auf Grund des ihr von den Uhrenorganisationen vorgelegten – allerdings nicht sehr vollständigen – Materials geprüft. Das Ergebnis wurde der FH mit Schreiben vom 30. März7, wovon Sie anbei eine Kopie finden, mitgeteilt.
Wie Sie daraus ersehen werden, lehnt es die Bundesanwaltschaft aus grundsätzlichen Erwägungen ab, zur Angelegenheit im Sinne einer Bewilligung oder Nichtbewilligung für die Beantwortung des Fragebogens Stellung zu nehmen. Dagegen macht sie die FH eingehend auf die verschiedenen Momente aufmerksam, die bei einer Prüfung unter dem Gesichtspunkt von Art. 273 StGB in Betracht zu ziehen sind, wobei sie besonderes Gewicht auf den Umstand legt, dass die zu schützenden Interessen wirklich schutzwürdig sein müssen und dass, wenn gesamtschweizerische mit privaten Interessen kollidieren, diese Interessen gegeneinander abzuwägen sind.
Die Verantwortung dafür, ob der Inhalt der in Aussicht genommenen Antworten auf den Fragebogen zulässig sei oder nicht, kann aber die Bundesanwaltschaft den Uhrenorganisationen nicht abnehmen, zumal der Entscheid, ob in einem konkreten Fall Art. 273 StGB verletzt ist oder nicht, letzten Endes beim Richter alleine liegt. Die Bundesanwaltschaft weist indessen darauf hin, dass sich die FH gegen eine allfällige spätere Strafverfolgung dadurch einigermassen sichern könnte, dass sie da, wo Zweifel darüber bestehen, ob nicht doch ein schützenswertes Geschäftsgeheimnis vorliege, vorgängig die Zustimmung des Geheimnisherren zur Preisgabe einholt.
Es ist klar, dass dieser Bescheid der Bundesanwaltschaft für Sie keine Handhabe bietet, um den Uhrenorganisationen bei den amerikanischen Behörden zu bescheinigen, dass sie im Rahmen der Schweizerischen Rechtsordnung mit ihren Antworten bis an die Grenze des Erlaubten gegangen seien. Wir hoffen, dass die Uhrenorganisationen, nachdem sie den Standpunkt der Bundesanwaltschaft zur Kenntnis genommen haben, diesen Wunsch von sich aus fallen lassen. Uns gegenüber sind sie jedenfalls bisher darauf nicht mehr zurückgekommen. Sollte es Herr Perret Ihnen gegenüber tun, so bitten wir Sie, ihm die Unmöglichkeit zu erklären, hierauf unter den gegebenen Umständen einzutreten. Angesichts der recht heftigen öffentlichen Kritik, welcher schweizerische Geheimhaltungsvorschriften gerade gegenwärtig wieder in den Vereinigten Staaten von anderer Seite her unterworfen sind8, würde eine solche Demarche ohnehin kaum opportun erscheinen9. Wir sind im übrigen nach wie vor der Meinung, dass die Antitrustprozesse als private Angelegenheit zu betrachten sind, deren Ausfechtung, solange kein wesentlicher Grund für ein Dazwischentreten unsererseits vorliegt, den privaten Interessenten überlassen werden sollte. Das ganze Gewicht einer offiziellen Demarche bei der amerikanischen Regierung ist unseres Erachtens im Prinzip für die Eventualität aufzusparen, dass – was im Zusammenhang mit der endgültigen Formulierung von «consent decrees»10 denkbar wäre – gegen einen wirklichen Übergriff in die schweizerische Souveränitätssphäre Stellung genommen werden müsste.
Angesichts der bestehenden taktischen Situation hätten wir indessen nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie wünschen sollten, zuständigenorts darauf aufmerksam zu machen, dass, nachdem das Frage- und Antwortspiel lange genug gedauert hat, der Moment nun eigentlich gekommen wäre, wo man von amerikanischer Seite einen konkreten Gegenvorschlag für den Abschluss eines «consent decree» erwarten könnte11. Ein solcher Schritt könnte sehr wohl im Interesse einer Förderung der Angelegenheit unternommen werden, ohne dass dabei auf die mit Art. 273 StGB zusammenhängenden Fragen überhaupt einzutreten wäre. Doch möchten wir es ganz Ihrem Gutdünken anheimgeben, in dieser Hinsicht zu tun, was Ihnen vom taktischen Standpunkte aus zweckmässig erscheint.
- 1
- Schreiben: E 2200.36(-)1970/72/43. Paraphe: PO. Dieses Schreiben wurde von R. Probst verfasst und von R. Kohli unterschrieben.↩
- 2
- Zur Frage der Uhren-Antitrustprozesse vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 130, dodis.ch/9217, das Schreiben von H. de Torrenté an A. Zehnder vom 2. September 1955, E 2001(E)1970/217/ 431 (dodis.ch/11319), die Notiz von A. Weitnauer an H. de Torrenté vom 21. März 1957, nicht abgedruckt (dodis.ch/11337) und den Bericht von R. Probst vom 15. Mai 1957, E 2001(E)1978/ 84/505 (dodis.ch/11335). Vgl. ausserdem E 2001(E)1970/217/430 –432.↩
- 4
- Fédération suisse des Associations de Fabricants d’Horlogerie.↩
- 5
- Nicht ermittelt, da die Einsicht in das Dossier der Fédération suisse des associations de fabricants d’horlogerie, E 4321(A)1993/52/15 von der Bundesanwaltschaft nicht gewährt wurde.↩
- 6
- Artikel 273 des Strafgesetzbuches hält fest, das jene Person, welche ein Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnis auskundschaftet und/oder einer fremden amtlichen Stelle oder einer ausländischen Organisation oder privaten Unternehmung zugänglich macht, sich strafbar macht.↩
- 7
- Vgl. das Schreiben der Schweizerischen Bundesanwaltschaft an die Fédération suisse des associations de fabricants d’horlogerie vom 30. März 1957, E 2001(E)1970/217/432.↩
- 8
- Schon 1950 erschwerte Art. 273 des Strafgesetzes die Beziehungen zwischen der Schweiz und den USA. Im Prozess der Interhandel verlangte der amerikanische Richter die Vorlegung sämtlicher Akten des Bankhauses H. Sturzenegger & Co. Da die Gefahr bestand, dass Akten der Bank, welche Kundeninformationen enthielten, ausgeliefert und damit Art. 273 des Strafgesetzes und Art. 47 des Bankengesetzes verletzt würden, beschlagnahmte am 15. Juni 1950 die Schweizerische Bundesanwaltschaft als Präventivmassnahme die Akten des Bankhauses. Nach der Abweisung der Interhandel-Klage in den USA, wurde 1956 die Beschlagnahmung der Akten des Bankhauses aufgehoben. Vgl. Pressemitteilung vom 8. Februar 1957, E 2001(E)1978/84/448 (dodis.ch/11116). Zur Frage des Bankhauses H. Sturzenegger & Co. vgl. den Rees-Bericht vom 8. März 1946, E 7160-07(-)1968/54/1064 (dodis.ch/9266), die Notiz von R. Hartmann an W. Stucki vom 9. Dezember 1950, E 2802(-)1967/78/12 (dodis.ch/8868), den Antrag des EPD vom 30. April 1956, E 1004.1(-)-/1/589 (dodis.ch/11021) und den Mitbericht des EJPD vom 9. Mai 1956, ibid. (dodis.ch/11022).↩
- 9
- Handschriftliche Anmerkung: Très bien.↩
- 10
- Gerichtlich sanktionierter Vergleich.↩
- 11
- Handschriftliche Anmerkung: Très bien!↩
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