Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 7-I, doc. 73
volume linkBern 1979
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.53-02#1000/1760#6* | |
Old classification | CH-BAR E 2200.53-02(-)1000/1760 1 | |
Dossier title | Politische Gestaltung Ungarns, usw. (1919–1919) | |
File reference archive | C.3 |
dodis.ch/43818
Bezugnehmend auf meine ergebene Meldung vom 13. ds. No. 9032/7/, erlaube ich mir Bericht zu erstatten, dass die Konsule der neutralen Staaten bei ihrer letzten Zusammenkunft, an der die Vertreter Dänemarks, Hollands, Norwegens, Schwedens, Spaniens und der Schweiz anwesend waren, die gegenwärtige politische Situation besprochen und die Meinungen über die Entwickelung der Verhältnisse ausgetauscht haben. Es hat sich eine vollkommene Einheitlichkeit der Auffassungen ergeben und wir alle haben es für nötig und richtig erachtet, dass wir im Wege der Gesandtschaften, jeder einzelne der ihn betrauenden Regierung, darüber Meldung erstatten, dass eine solche Verschlechterung der Situation befürchtet wird, bei welcher der bisherige, allein moralische Schutz, der den Konsulaten anvertrauten Interessen, und insbesondere den sich hier aufhaltenden neutralen Staatsbürgern gewährt werden kann, unzureichend wird, und haben daher beschlossen jeder seine Regierung zu bitten, entsprechende Schritte in Erwägung zu ziehen, welche geeignet sind einen effektiven Schutz der neutralen Interessen zu gewährleisten.
Die innerpolitische Situation ist nämlich noch unsicherer geworden. Es wird immer offenkundiger, dass die ungarische Regierung nicht über eine Armee verfügt, auf deren Treue sie unbedingt bauen kann und dass sie dem Willen der Socialisten, welche die einzig organisierte Kraft bilden, ausgeliefert ist, aber auch innerhalb der Socialdemokratie ist die früher latente Spaltung in zwei Lager offenkundig geworden. Der gemässigte Flügel will zwar die Durchführung des socialistischen Programms schon jetzt in Angriff nehmen und successive durchführen, wenn er auch gewisse Vorbehalte zu Gunsten des Privateigentums macht, aber jedenfalls will dieser Flügel mit friedlichen Mitteln vorgehen und die innere Ordnung aufrechterhalten. Die radikale Richtung vertritt demgegenüber offen den Kommunismus, den sie binnen kürzester Zeit realisieren will und ist Anhängerin der bolschevistischen Methode und will durch Gewalttätigkeit und Terror siegen. Die gemässigte Richtung hat bei den letzten Abstimmungen die überwiegende Mehrheit für sich gehabt, die starke bolschevistische Propoganda gewinnt jedoch Tag für Tag mehr und mehr Anhänger, insbesondere auch in den Kreisen der organisierten Arbeiter, so dass mit einer raschen Verschiebung der Kräfteverhältnisse gerechnet werden muss. Es finden bereits jetzt Strassendemonstrationen der Bolscheviki statt und die Regierung duldet dieselben, da sie sich für unfähig hält, durch energische Mittel die Oberhand zu behalten. Sie hat zwar beabsichtigt einige Offiziersregimenter zu bilden, auf die sie sich unter allen Umständen verlassen hätte können, aber das Veto aller Socialisten hat sie an der Durchführung dieses Planes verhindert. Bei den noch unter Waffen befindlichen Truppen aber, die sich zwar formell zur Regierung bekennen, ist eine solche Lockerung der Disziplin eingetreten, dass man nicht auf sie rechnen kann. So darf z. B. ein Vorgesetzter nur mit Zustimmung der Vertrauensmänner der Soldaten eine Strafe verhängen. Unter solchen Umständen muss befürchtet werden, dass die Regierung nicht die Macht haben wird, ihr Bestreben, die innere Ordnung und Ruhe aufrechtzuerhalten auch durchzuführen.
Unter solchen Umständen ist zu befürchten, dass die exaltierten Anhänger des Bolschevismus und die mit ihnen zusammen auftretenden gewöhnlichen Verbrecher die neutralen Interessen, Leben und Eigentum neutraler Staatsbürger und die neutralen Konsulate nicht respektieren werden, und ich bitte daher die Gesandtschaft die Angelegenheit dem Politischen Departement vorzulegen, damit es untersucht werden könne, ob nicht geeignete Schritte bei den Regierungen der der Entente angehörigen Staaten, unternommen werden könnten, damit ebenso wie im Kriege die neutralen Konsulate die Interessen der in Ungarn verbliebenen Staatsbürger der Ententestaaten wahrgenommen haben, jetzt diese Staaten einen Schutz den neutralen Konsulaten und den denselben anvertrauten Interessen gewähren.
Für den Fall, dass das Politische Departement einen solchen Schritt für geeignet erachtet, erlaube ich mir mitzuteilen, dass das Budapester neutrale Konsularcorps in Kenntniss der lokalen Verhältnisse, folgende Massnahmen als zum effektiven Schutz der neutralen Interessen dienend, für entsprechend hält.
1. Dass eine Wache jedem Konsulat zu Verfügung gestellt wird, welche ebenso durch ihre moralische als auch durch ihre materielle Kraft eine Wirkung erzielen würde. Diese Wache sollte, soweit als möglich aus englischen oder französischen Soldaten bestehen, denen gegenüber hier zu Lande überhaupt keine feindseligen Gefühle bestehen, die vielmehr einen grossen Respekt geniessen. Die Verwendung serbischer und rumänischer Soldaten als Wache neutraler Konsulate könnte eventuell auch die nationalen Gefühle in Ungarn verletzen.
2. Dass ein Schiff der Donauflotte, welche der Entente von Ungarn übergeben worden ist, zur Verfügung der Gesamtheit der neutralen Konsule gestellt würde, damit im Falle, dass solche Unruhen entstehen würden, welche die persönliche Sicherheit der neutralen Staatsbürger und der noch unter dem Schutz der neutralen Konsulate befindlichen Angehörigen der Entente, bedrohen würden, dieselben sich auf dieses Schiff begeben könnten. Der englische Korvettenkapitän Osborne, Chef der Donaustreitkräfte der Entente, hat auf Ersuchen des kgl. Spanischen Konsulats aus eigenem Antrieb zugesagt, dass ein unter seinem Kommando befindliches Schiff gegebenenfalls zur Verfügung stehen würde. Aber da Korvettenkapitän Osborne dieser Tage seinen Posten verlässt, wäre es wünschenswert, wenn man nicht auf den guten Willen seines Nachfolgers rechnen müsste, sondern eine entsprechende Massnahme, auf dem vorschriftsmässigen Wege getroffen würde.
3. Dass für den Fall, dass die Donau zufrieren würden, alle Personen die sich unter dem Schutz der Konsulate befinden, in einem Fall wie umstehend beschrieben, in ein dafür speziell vorgesehenes Gebäude versammelt und dort besonderen Schutzes teilhaftig werden, oder aber, dass sie sich auf ein Schiff, welches im Winterhafen liegt und entsprechend bewacht ist, begeben könnten.
Es wurde noch festgestellt, dass es sich in Budapest selbst um ungefähr 1200 Personen handelt, die auf den Schutz der Konsulate Anspruch haben.
Dem gefassten kollektiven Beschluss gemäss, gestatte ich mir Sie zu bitten, falls Sie es für richtig erachten, diesen meinen Bericht dem Politischen Departement vorlegen zu wollen.
- 1
- Lettre: E 2200 Wien 10/1.↩
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