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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1993, doc. 42
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2010A#2001/161#6524* | |
Dossier title | Gemeinschaft souveräner Staaten, Band 3 (1992–1993) | |
File reference archive | B.75.82 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2200.157-04#2005/404#39* | |
Dossier title | Allgemeines (1993–1996) | |
File reference archive | 331.0 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E4010A#2000/265#2689* | |
Dossier title | SOWJETUNION (UDSSR) (1989–1996) | |
File reference archive | 960.18.00.89 |
dodis.ch/61104EDA-Staatssekretär Kellenberger an EJPD-Generalsekretär Walpen1
Beziehungen zu Staaten der ehemaligen Sowjetunion
Ich erlaube mir, Ihnen nachfolgend ein Problem zu unterbreiten, welches unsere Beziehungen zu den Staaten der ehemaligen Sowjetunion betrifft.
In letzter Zeit mehren sich Anzeichen über zweifelhafte Geschäfte von Angehörigen der Staaten der Ex-UdSSR mit dem Westen und namentlich mit der Schweiz. Ein entsprechendes Echo findet sich auch in den Medien. Die einzelnen Fälle unterscheiden sich dabei bezüglich ihrer Natur und politischen Brisanz, doch ist ihnen eines gemeinsam: sie betreffen eine Grauzone unserer Beziehungen mit diesen jungen Staaten. Als Beispiele möchte ich Ihnen etwa die bekannten Fälle bezüglich «red mercury» oder die in verschiedenen Presseartikeln erwähnten Geschäftsbeziehungen der Firma Seabeco in Erinnerung rufen.2
In den letzten Tagen ist die Schweiz nun wieder ins Gerede gekommen, und zwar im Zusammenhang mit den gegen den russischen Vizepräsidenten Ruzkoi erhobenen Korruptionsvorwürfen.
Es ist offensichtlich, dass dieser ganze Themenkreis in zunehmenden Masse aussenpolitische Interessen der Schweiz tangiert. So ist alleine die Tatsache, dass die Schweiz im Zusammenhang mit undurchsichtigen Geschäften von Angehörigen der Staaten der ehemaligen Sowjetunion genannt wird, geeignet, das Bild der Schweiz im Ausland zu beeinträchtigen.
Wesentlich schwerwiegender wären aber die aussenpolitischen Konsequenzen, wenn sich tatsächlich herausstellen sollte, dass die Schweiz zu einer Art Drehscheibe für jede Art von Geschäften geworden ist, mit der sich Angehörige dieser Staaten auf unrechtmässige Weise bereichern. Die unter dem Titel «Jelzingate» bekannt gewordene Affäre lässt erahnen, welche fatalen Konsequenzen diese Entwicklung haben könnte.3
Die Schweiz unterstützt nach Kräften den Übergang der Staaten des ehemaligen Ostblocks zu Demokratie und Marktwirtschaft. Bisher hat das Parlament Mittel in der Höhe von insgesamt 1,65 Mrd. Franken gesprochen;4 Mittel, die nach dem Prinzip der Konditionalität nur eingesetzt werden können, wenn die betreffenden Staaten glaubwürdige Reformanstrengungen – gerade im Bereich der Rechtsstaatlichkeit – unternommen haben.5 Besonders in Russland herrscht in der gegenwärtigen Phase ein eigentliches rechtsstaatliches Vakuum, welches verschiedenste Kreise zu ihrem Vorteil auszunützen verstehen. Dieser Umstand birgt ein hohes Sprengpotential in sich, werden doch die Akteure der Reformpolitik durch die Folgen dieser Entwicklung zunehmend desavouiert. Die reaktionären Kreise, die mit dem Aufkommen bisher unbekannter sozialer Spannungen ohnehin Auftrieb erhalten, versuchen aus dieser Situation – verständlicherweise – Gewinn zu schlagen.6 Die Schweiz sollte deshalb auch unter diesem Gesichtswinkel alles daransetzen, um illegale Geschäfte aller Art zu verhindern.
Nicht unerwähnt bleiben sollte schliesslich auch die Tatsache, dass wir ein vitales Interesse daran haben, dass die oft erwähnte «russische Mafia» – wie auch immer dieser Begriff zu interpretieren ist – in der Schweiz nicht Fuss zu fassen vermag.7
Ich bin mir bewusst, dass sich die zuständigen Stellen des EJPD bereits heute eingehend mit diesem Problemkreis befassen. Mir liegt aber daran, mit diesem Schreiben auf die hohe Bedeutung hinzuweisen, die dieser Thematik auch aus aussenpolitischer Sicht zukommt.
Es ist davon auszugehen, dass Vertreter der Bundesverwaltung und besonders des EDA bei ihren Kontakten mit Angehörigen der betroffenen Staaten vermehrt auf diese Problematik angesprochen werden. Aus diesem Grunde wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie uns mitteilen könnten, mit welchen Diensten in Ihrem Departement eine Aussprache geführt werden könnte.8
- 1
- CH-BAR#E4010A#2000/265#2689* (960.18.00.89). Dieses Schreiben wurde vom in der Politischen Abteilung I für Aserbaidschan, Georgien, die GUS- und baltischen Staaten zuständigen Mitarbeiter, Urs Bucher, verfasst, vom Direktor der Politischen Direktion des EDA, Staatssekretär Jakob Kellenberger, unterzeichnet und richtete sich an den Generalsekretär des EJPD, Armin Walpen. Kopien gingen an die Bundesanwaltschaft, an Vizedirektor Pierre Schmid vom Bundesamt für Polizeiwesen, an Bernhard Ehrenzeller, den persönlichen Mitarbeiter des Vorstehers des EJPD, Bundesrat Arnold Koller, an die schweizerische Botschaft in Moskau, an den Chef der Politischen Abteilung I, Botschafter Franz von Däniken, und dessen Stellvertreter Philippe Welti, an Walter Thurnherr vom Politischen Sekretariat des EDA sowie an den Verfasser und den Unterzeichner selbst. Das hier edierte Exemplar wurde vom Generalsekretariat des EJPD am 24. September 1993 empfangen und mit einem Begleitblatt versehen, vgl. das Faksimile dodis.ch/61104.↩
- 2
- Zur Seabeco AG vgl. die Notiz des stv. Chefs der Politischen Abteilung I des EDA, Daniel Woker, an die Bundesanwaltschaft vom 22. September 1992, dodis.ch/59228, sowie die Notiz der schweizerischen Botschaft in Kiew vom 24. September 1993, mit Pressebeilagen, dodis.ch/65363. ↩
- 3
- Am 16. April 1993 beschuldigte der russische Vizepräsident Alexander Ruzkoi vor dem Parlament Präsident Boris Jelzin und Personen in dessen Umfeld, sich u. a. mit dem illegalen Verkauf von «rotem Quecksilber» ins Ausland zu bereichern. Die Zeitung Prawda berichtete darüber am Folgetag unter dem Titel «Jelzingate». Vgl. dazu den Politischen Bericht Nr. 17 des Geschäftsträgers a. i. der schweizerischen Botschaft in Moskau, Minister Pierre Chrzanovski, vom 21. April 1993, dodis.ch/66171, sowie die Zusammenstellung dodis.ch/C2253.↩
- 4
- Das Parlament bewilligte im März 1990 den Rahmenkredit für eine verstärkte Zusammenarbeit mit osteuropäischen Staaten über 250 Mio. CHF. Im Januar 1992 wurde die Weiterführung des Rahmenkredits mit einem Betrag von 800 Mio. CHF verabschiedet und mit der Ausdehnung auf die GUS wurden im März 1993 600 Mio. CHF bewilligt. Vgl. DDS 1990, Dok. 12, dodis.ch/56158; DDS 1991, Dok. 35, dodis.ch/57522, und DDS 1992, Dok. 10, dodis.ch/61060.↩
- 5
- Zur Konditionalität der schweizerischen Osthilfe vgl. DDS 1993, Dok. 59, dodis.ch/64511.↩
- 6
- Zur russischen Verfassungskrise vom 21. September bis 4. Oktober 1993 vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2521.↩
- 7
- Vgl. dazu auch die Debatte um russische «Cabaret-Tänzerinnen», Zusammenstellung dodis.ch/C2523.↩
- 8
- Handschriftliche Marginalie von Generalsekretär Walpen vom 24. September 1993 an die Bundesanwaltschaft: Mir mitteilen, wer mit Generalsekretär Gespräch mit Staatssekretär Kellenberger führen soll. + mögliche Termine, Danke. Für das Begleitblatt vgl. das Faksimile dodis.ch/61104. Am 28. Oktober 1993 fand unter der Leitung von Botschafter von Däniken eine diesbezügliche Sitzung mit Bundesanwalt Willy Padrutt, dem Chef der Bundespolizei, Urs von Daeniken, sowie mit Beat Frey, Chef der Sektion Internationale Rechtshilfe, Strafvollstreckungsbegehren des Bundesamts für Polizeiwesen des EJPD statt, vgl. dodis.ch/64628. ↩
Relations to other documents
http://dodis.ch/64628 | refers to | http://dodis.ch/61104 |