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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1991, doc. 44
volume linkBern 2022
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E7113A#2001/192#1005* | |
Dossier title | Ausschuss für die Europäische Integration (1991–1991) | |
File reference archive | 777.231.16 |
dodis.ch/58388Sitzung des Interdepartementalen Ausschusses für die europäische Integration1
Notiz über die Sitzung vom 27. September 19912
Staatssekretär Blankart zeichnet zu Beginn der Sitzung die jüngsten Entwicklungen, d. h. die Ergebnisse der HLNG-Verhandlungsrunde vom 23.–25.9.1991 nach.3 Er geht kurz auf die offenen Punkte der Verhandlung ein, die da sind: Fisch, Fonds, Wettbewerb, Comitology, Textil und Präambel. Dazu gesellt sich noch die im schweizerischen Verständnis von den EWR-Verhandlungen unabhängige Problematik der Transitverhandlungen.4 Zum weiteren Vorgehen informiert er den Ausschuss, dass am 21.10.1991 die EG- und EFTA-Minister parallel tagen sollen, wobei go-betweens die Kommunikation zwischen beiden Gremien gewährleisten sollen. Bei dieser Gelegenheit soll der Durchbruch erzwungen oder aber das Scheitern der Verhandlungen festgestellt werden.5
Vor diesem Hintergrund wird zur Aussprache gestellt, wie sich die Schweiz zu verhalten habe, wenn in der Endrunde die einzelnen, noch offenen Dossiers nicht in ihrem Sinne geklärt werden können. Botschafter Kellenberger bittet, bei einer allfälligen Diskussion über «breaking points» alle Einzelpunkte gesamthaft im Auge zu behalten.6 Hinsichtlich des gleichen Rechtes der Vertragsparteien, ihr Umweltschutzrecht weiterzuentwickeln – dieses gehört gemäss Herrn Risch zur «bottom line» für das EDI7 – verweist Kellenberger auf die Verhandlungsgeschichte und hält fest, dass die Refüsierung selbst eines Präambeltextes zu dieser Frage deutlich macht, dass die Gemeinschaft eben nicht glaubt, dass eine autonome Fortentwicklung in harmonisierten Bereichen möglich sei.8 Minister Spinner erklärt, dass das individuelle Recht zur Weiterentwicklung in nichtharmonisierten Bereichen unter Vorbehalt der Gemeinschaftsregeln zum freien Warenverkehr ausdrücklich im EWR-V festgeschrieben werde. Gegebenenfalls müsste in einem gesonderten Kapitel der EWR-Botschaft – so Blankart – genau dargestellt werden, was in den Verhandlungen erreicht worden sei (Stellenwert von Art. 18 und der Schutzklausel inkl. der noch einzubringenden einseitigen Erklärung zum Umweltschutz).9 Dort müsste auch festgehalten werden, dass das EG-Umweltschutzrecht weit besser sei als sein Ruf und dass die Problematik im Lichte der Homogenität des gesamten Abkommens zu betrachten sei. Was das Dossier des Textils anbetrifft, so wird ihm allgemein grosse Bedeutung zugemessen. Die Verbindung zum Fonds soll bis zuletzt aufrechterhalten werden. Krenzler sollte mit einem Brief auf seinem Öffnungsangebot, mittels Liberalisierungsverträgen mit Drittstaaten ein annehmbares Resultat zu erreichen, behaftet werden. Botschafter Arioli hält allerdings fest, dass Krenzlers Vorgabe die Dienststellen der Kommission kaum erfreut haben dürfte. In Brüssel herrscht der Wille zur Aufrechterhaltung des gemeinschaftlichen Textilprotektionismus’ vor.10 Zudem scheinen gemäss Kellenberger die anderen EFTA-Länder kein Vertrauen in eine solche Lösung zu haben.
Alsdann bespricht der Ausschuss die Notwendigkeit eines Grundsatzentscheides über den EWR.11 Es muss davon ausgegangen werden, dass es sich am 21.10.1991 um eine eigentliche «bottom line»-Verhandlung handeln wird.12 Die offenen Dossiers werden in sehr einfachen Kategorien auf dem Tische liegen. Der schweizerischen Delegation dürfte kaum die Möglichkeit geboten werden, das allenfalls beschlossene Paket bloss ad referendum anzunehmen; dies wäre einzig möglich, wenn man nur Staatssekretäre nach Brüssel schickte. Einer bundesrätlichen Delegation dürfte lediglich offenstehen, den EWR, so wie er dannzumal dastehen wird, zu akzeptieren oder zu verwerfen. Geht man aber davon aus, dass der definitive Entscheid über die Ausgewogenheit des EWR dem Gesamtbundesrat vorbehalten ist, so müsste dieser die Gesamtwertung vor dem 21.10.1991, nämlich anlässlich der Bundesratssitzung vom 16.10.,13 vornehmen sowie BRD[Bundesrat Delamuraz] und BRF[Bundesrat Felber] ein Mandat für die besagte Parallelministerkonferenz erteilen. Als Vorbereitung darauf, sollte der Bundesrat am 30.9.1991 eine Diskussion über die Frage des Beitritts führen, deren Beantwortung, wie der Ausschuss erneut schliesst, das Schicksal des EWR weitgehend bestimmt.14 Der Ausschuss entscheidet sich, den Departementchefs folgendes Szenario beliebt zu machen:
1. Am 30.9.1991 könnte der Bundesrat eine gezielte Beitrittsdiskussion führen auf der Grundlage einer Sprachregelung, welche das IB übers Wochenende ausarbeitet. Es handelt sich hier um die Sprachregelung, welche das Aussprachepapier EDA/EVD «Die Frage eines Beitritts der Schweiz zur EG» vom 18.9.1991 in Aussicht stellte.15 Die Meinung war gewesen, die Diskussion des Aussprachepapiers am 23.9. abzuwarten, um auf deren Grundlage die Sprachregelung zu formulieren. Am 23.9. hat sich der Bundesrat aber nicht damit befassen können. Die Sprachregelung wird nun vorgezogen.16
2. Auf der Grundlage der Aussprache vom 30.9.1991 sollte der Bundesrat am 16.10.1991 die Gesamtbeurteilung des EWR vornehmen und den Grundsatzentscheid pro oder contra EWR fällen. Hierfür soll ihm ein Antrag mit einer gerafften und aktualisierten Darstellung des gesamten EWR-Pakets wie es am 21.10. vorliegen dürfte (d. h. mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne befriedigende Lösung der offenen Punkte) unterbreitet werden.
Blankart ersucht die Departementsvertreter, ihren Bundesräten dieses Szenario beliebt zu machen.
- 1
- CH-BAR#E7113A#2001/192#1005* (777.231.16). Diese Sitzungsnotiz wurde von Alexandre Fasel vom Integrationsbüro EDA–EVD verfasst und unterzeichnet. Sie wurde vom Direktor des Integrationsbüros, Botschafter Jakob Kellenberger, am 30. September 1991 an alle Mitglieder des Interdepartementalen Ausschusses versendet und ging in Kopie an alle Mitarbeitenden des Integrationsbüros und an ausgewählte Personen des EDA und des Bundesamts für Aussenwirtschaft (BAWI) des EVD. Der Interdepartementale Ausschuss für die europäische Integration setzte sich aus hochrangigen Vertretern aller Departemente sowie der Bundeskanzlei zusammen und wurde von den Staatssekretären Klaus Jacobi, Direktor der Politischen Direktion des EDA, und Franz Blankart, Direkor des BAWI, präsidiert. Für die vollständige Liste der Sitzungsteilnehmenden und der Adressaten vgl. das Faksimile dodis.ch/58388.↩
- 2
- Anmerkung im Original: Kein Vertreter des EVED. Der Vertreter des EVED, der normalerweise an den Sitzungen des Interdepartementalen Ausschusses teilnahm, war Generalsekretär Fritz Mühlemann. Für alle weiteren Sitzungen des Ausschusses im Jahr 1991 vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C1954.↩
- 3
- Für die Verhandlungsrunde der High Level Negotiation Group (HLNG) vgl. das Fernschreiben von Staatssekretär Blankart an den Vorsteher des EVD, Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz, vom 24. September 1991, dodis.ch/59389 sowie die Informationsnotiz von Bundesrat Delamuraz an den Bundesrat vom 27. September 1991, dodis.ch/57811.↩
- 4
- Zur Frage des Junktims zwischen Transitabkommen und EWR-Vertrag vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2088.↩
- 5
- Am 21. Oktober 1991 hielten die EG und die EFTA zwei parallele Ministertreffen ab: eines über den EWR-Vertrag und eines über das Transitabkommen. Für die Diskussion des Bundesrats über das Ergebnis der EWR-Verhandlungen vgl. DDS 1991, Dok. 48, dodis.ch/57671. Für eine Bilanz zu den Transitverhandlungen des Vorstehers des EVED, Bundesrat Adolf Ogi, in der Verkehrskommission des Ständerats vgl. DDS 1991, Dok. 51, dodis.ch/58168.↩
- 6
- Für eine vollständige Liste der Breaking Points vgl. das BR-Prot. Nr. 884 vom 8. Mai 1991, dodis.ch/57769. Für die neuste Fassung der Verhandlungsoptionen, die das EDA und das EVD dem Bundesrat präsentierten vgl. das BR-Prot. Nr. 1327 vom 26. Juni 1991, dodis.ch/57598.↩
- 7
- Für Einschätzungen des EDI zum Umweltschutz im EWR vgl. den Mitbericht des EDI vom 15. März 1991 im BR-Prot. Nr. 563 vom 18. März 1991, dodis.ch/57677; den Mitbericht des EDI vom 30. April 1991 im BR-Prot. Nr. 884 vom 8. Mai 1991, dodis.ch/57769 und den Mitbericht des EDI vom 8. Juni 1991 im BR-Prot. Nr. 1139 vom 10. Juni 1991, dodis.ch/57426.↩
- 8
- Zur Thematik Umweltschutz und Rechtsharmonisierung vgl. die Notiz des schweizerischen Botschafters bei der EG in Brüssel, Benedikt von Tscharner, über den Besuch des für Umwelt zuständigen Kommissars der EG, Carlo Ripa di Meana, in Bern vom 14. Februar 1990, dodis.ch/55200.↩
- 9
- Zu Artikel 18 vgl. die Notiz von Botschafter Kellenberger an Staatssekretär Blankart vom 19. September 1991, dodis.ch/60418. Für die neusten Entwicklungen bei den Verhandlungen zu diesen Punkten vgl. die Notiz von Bundesrat Delamuraz an den Bundesrat vom 10. September 1991, dodis.ch/57813 und den Punkt Réunion du groupe de direction des négociations (HLNG) AELE 5.–6.9.1991, Bruxelles, et, Rencontre informelle des Ministres des pays de l’AELE, 8.–9.9.1991, Helsinki des Wochentelex 38/91 vom 16. September 1991, dodis.ch/59690.↩
- 10
- Zur Textilproblematik und dem passiven Veredlungsverkehr vgl. die Stellungnahme des Schweizerischen Gemeinschaftsverbands Textil vom 24. Mai 1991, dodis.ch/58863.↩
- 11
- Der Interdepartementale Ausschuss hatte schon am 27. Mai 1991 ein Schreiben an den Bundesrat vorbereitet, in welchem er einen Abbruch der EWR-Verhandlungen zugunsten eines Beitrittsgesuchs der Schweiz zur EG empfahl, vgl. dodis.ch/58264. Diese Empfehlung wurde aufgrund des Widerstands einiger Mitglieder des Ausschusses schliesslich nicht an den Bundesrat übermittelt. Für die gesamte Diskussion über die Zweckmässigkeit dieser Empfehlung vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C1990. An der Sitzung vom 19. August 1991 beschloss der Ausschuss, eine überarbeitete Version dieser Empfehlung an den Bundesrat in Form eines Aussprachepapiers vorzulegen. Vgl. dazu dodis.ch/58315, das BR-Prot. Nr. 1623 vom 28. August 1991, dodis.ch/59300 sowie das gemeinsame Aussprachepapier des EDA und des EVD vom 23. August 1991, dodis.ch/59500. Dieses Aussprachepapier wurde als Grundlage für das Aussprachepapier des EDA und des EVD vom 18. September 1991, DDS 1991, Dok. 42, dodis.ch/57475, verwendet.↩
- 12
- Vgl. Anm. 5.↩
- 13
- An der Sitzung vom 16. Oktober 1991 behandelte der Bundesrat den EG-Beitritt sowie die Transitverhandlungen. Der EWR-Antrag wurde vom Bundesrat am Abend des 17. Oktober 1991 besprochen, vgl. dodis.ch/58327 sowie die BR-Beschlussprot. II der 32. Sitzung des Bundesrats vom 16. Oktober 1991, dodis.ch/57762 und der 14. ausserordentlichen Sitzung des Bundesrats vom 17. Oktober 1991, dodis.ch/60249. Der Bundesrat befasste sich am 19. Oktober 1991 noch einmal mit dieser Frage, vgl. das BR-Beschlussprot. II der 15. ausserordentlichen Sitzung des Bundesrats vom 18. und 19. Oktober 1991, DDS 1991, Dok. 48, dodis.ch/57671.↩
- 14
- Diese Diskussion fand nicht am 30. September 1991, sondern am 16. und 19. Oktober 1991 statt, vgl. das BR-Beschlussprot. II der 32. Sitzung des Bundesrats vom 16. Oktober 1991, dodis.ch/57762 sowie DDS 1991, Dok. 48, dodis.ch/57671. Zur Frage des EG-Beitritts der Schweiz vgl. ferner das BR-Prot. Nr. 2023 vom 19. Oktober 1991, DDS 1991, Dok. 42, dodis.ch/57475 sowie die thematische Zusammenstellung Beitrittsgesuch der Schweiz zur EG (1991–1993), dodis.ch/T1955.↩
- 15
- Vgl. das Aussprachepapier des EDA und des EVD vom 18. September 1991, DDS 1991, Dok. 42, dodis.ch/57475. Zur Frage eines Beitritts der Schweiz zur EG vgl. ferner die Argumente, die von der Arbeitsgruppe Eurovision ausgearbeitet wurden, DDS 1991, Dok. 31, dodis.ch/58250.↩
- 16
- Vgl. dazu das Protokoll der Sitzung des Interdepartementalen Ausschusses vom 10. September 1991, dodis.ch/58385.↩
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Negotiations EFTA–EEC on the EEA-Agreement (1989–1991)
Switzerland's Application for Accession to the EC (1991–1993)