Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 428
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001D#1000/1551#98* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(D)1000/1551 4 | |
Dossier title | Neutrale Haltung der Schweizerpresse, Allgemeines (1937–1946) | |
File reference archive | A.15.42.10 |
dodis.ch/46688
Der schweizerisch-deutsche Pressekonflikt ist durch die Haltung eines Teils der schweizerischen Presse in der sudetendeutschen Frage und durch die Reaktion, die sie bei der deutschen Presse hervorgerufen hat, in ein akutes Stadium getreten. Während bis in die jüngste Zeit die z.T. heftigen Ausfälle unserer Linkspresse von den deutschen Zeitungen grösstenteils ignoriert oder nur kurz erwähnt wurden und auch die Äusserungen der bürgerlichen Presse der Schweiz im ganzen genommen keine grosse Beachtung erfuhren, scheint sich in neuester Zeit das Blatt zu wenden. Nachdem die «Bodenseerundschau» bereits in einigen Artikeln eine scharfe Sprache gegen schweizerische Presseäusserungen geführt hatte, wird nun in Nr. 281 der «Münchner Neueste Nachrichten» gegen einige grosse Schweizerzeitungen in einer Weise gewettert, die Aufsehen erregen muss. Dass vor allem die «Nationalzeitung» aber auch die «Neue Zürcher Zeitung» und die «Basler Nachrichten» an diesem Gefühlsausbruch nicht ganz unschuldig sind, kann nicht wohl bestritten werden. Immerhin sind gewisse Ausfälle, namentlich gegenüber Herrn Oeri, ungewöhnlich derb, sodass die Vermutung, dass es sich bei dem Artikel um einen persönlichen Racheakt handle, viel Wahrscheinlichkeit besitzt. Bei dem Verfasser soll es sich um Herrn Oehler handeln, dessen Erinnerungen an Basel von starken Ressentiments erfüllt seien.
Wenn wir somit in der Berner Korrespondenz der «Münchner Neuesten Nachrichten» nicht ohne weiteres ein Signal zu einer Pressekampagne gegen die Schweiz erblicken möchten, so ist doch nicht zu verkennen, dass ihr Erscheinen etwas Befremden erweckt. Der Deutsche Gesandte hatte nämlich vor ungefähr drei Wochen bei dem Chef des Politischen Departements auf gewisse Ausfälle von Schweizerzeitungen hingewiesen, und daran anschliessend hat auch der deutsche Presseattaché2 unserer Abteilung eine Notiz mit Zeitungsbelegen übergeben und gleichzeitig erklärt, dass von deutscher Seite einmal mit grobem Geschütz geantwortet werden könnte, wenn die schweizerische Presse sich nicht einer grössern Objektivität befleisse: besonders ist dabei auch auf die Beeinflussung der schweizerischen Presse und Öffentlichkeit durch die «Havas »-Nachrichten der Schweizerischen Depeschenagentur hingewiesen worden. Den Vertretern der Deutschen Gesandschaft wurde die Antwort zuteil, dass das Departement, soweit es in seiner Macht stehe, es sich werde angelegen sein lassen, eine Änderung in der Haltung gewisser Presseorgane herbeizuführen. Doch musste betont werden, dass diese Zeitungen noch lange nicht die öffentliche Meinung der Schweiz darstellten.
Auf diese Unterredungen hin hatte der Herr Departementschef vor allem eine Besprechung mit führenden Presseleuten, nämlich dem Präsidenten des Vereins schweizerischer Zeitungsverleger und dem Präsidenten des Vereins der Schweizerpresse. Eine gemischte Kommission dieser beiden Vereinigungen erliess darauf an die gesamte Schweizerpresse ein Zirkular, das wir als Anlage hier beifügen3. Ferner wurde auf Veranlassung des Politischen Departements durch die Bundesanwaltschaft die Konsultative Pressekommission einberufen, welcher Herr Bundesrat Motta die ernste Situation in eindringlichen Worten auseinandersetzte. Es wurde von der Kommission beschlossen, dem Bundesrat ein zeitliches Verbot des «Journal des Nations» zu beantragen und ein zeitweises Verbot des «Travail» und der «Basler Arbeiterzeitung» in Erwägung zu ziehen. Der Bundesrat hat daraufhin das Erscheinen des «Journal des Nations» auf drei Monate untersagt. Von einem Verbot sozialdemokratischer Parteiorgane wurde einstweilen Umgang genommen, da ein solches im Hinblick auf innerpolitische Erwägungen, im besondern auf die bevorstehende Volksabstimmung über das Finanzprogramm, unglückliche Rückwirkungen hätte ausüben müssen. Hingegen hatte der Chef des Politischen Departements mit den Führern der sozialdemokratischen Partei eine Aussprache, in welcher von diesen die Notwendigkeit einer Mässigung in der Sprache ihrer Parteipresse nicht bestritten wurde. In diesem Zusammenhang darf auch die Antwort des Bundesrates auf eine kleine Anfrage Reinhard vermerkt werden, die wir zu Ihrer Dokumentierung ebenfalls hier beifügen.
Die Bemühungen des Departements, die Schweizerpresse zu einer grössern Disziplin zu erziehen, sind damit aber keineswegs abgeschlossen. Mit dem Präsidenten der Schweizerischen Depeschenagentur, Herrn Pochon, wurde der wenig objektive Meldedienst dieser Agentur eingehend erörtert, und Herr Pochon hat auch zugesichert, dass er sich in der Verwaltungsratssitzung für die Wünsche des Departements einsetzen werde. Übrigens haben auch Herr Oeri in den «Basler Nachrichten» und Herr Rigassi in der «Gazette de Lausanne» an gewissen Mängeln des Nachrichtendienstes der Schweizerischen Depeschenagentur Kritik geübt. Von Seiten der Schweizerischen Mittelpresse, mit deren Direktor wir ebenfalls Rücksprache genommen haben, werden wir in unsern Bestrebungen mit Verständnis und Nachdruck unterstützt (vgl. den beiliegenden Zeitungsartikel)4. Schliesslich soll noch die Konferenz der Auslandsredaktoren auf den 26.d.M. einberufen werden5. Herr Bundesrat Motta beabsichtigt, in der Konferenz der Presse die Pflicht zur Beobachtung der Neutralitätsgrundsätze in einlässlicher Begründung darzulegen und die Presseleute von der absoluten Notwendigkeit ihrer strikten Innehaltung zu überzeugen. Dass übrigens die Erkenntnis einer solchen Notwendigkeit in den Pressekreisen selber erwacht ist, geht daraus hervor, dass die obenerwähnte gemischte Pressekommission nunmehr darangeht, den in Frage kommenden Blättern, vor allem den sozialdemokratischen Parteiorganen, in einlässlichen Memoralien ihre Ausschreitungen zu katalogisieren und ihnen zu eröffnen, dass die Berufsverbände bei dieser Sachlage gegenüber eventuellen Erscheinungsverboten des Bundesrates nicht zu ihren Gunsten intervenieren könnten.
Es lag uns daran, Sie über alle diese Massnahmen, deren Auswirkung allerdings zu einem grossen Teil noch abgewartet werden muss, ausführlich zu unterrichten, damit Sie Ihrerseits in der Lage sind, der deutschen Regierung in voller Kenntnis unserer Vorkehren gegebenenfalls diejenigen Aufschlüsse zu erteilen, die Sie für gut finden. Es hat sich übrigens unverkennbar eine gewisse grössere Zurückhaltung und Besinnung, soweit wenigstens bürgerliche Zeitungen in Betracht kommen, bereits bemerkbar gemacht, und es wäre höchst bedauerlich, wenn diese verheissungsvollen Anfänge einer Besserung durch ungeschlachte Ausfälle deutscher Zeitungen wieder zunichte gemacht würden.
Wie wir erfahren, weilt der Presseattaché der Deutschen Gesandschaft gegenwärtig in Berlin, und es ist nicht ausgeschlossen, dass von den zuständigen amtlichen Stellen vielleicht über das weitere Verhalten der deutschen Presse gegenüber der Schweiz nunmehr Weisungen erteilt werden. Inwieweit die Anstrengungen des Politischen Departements Erfolg haben werden, dürfte zweifellos in nicht geringem Mass von der Beachtung und von dem Verständnis abhängen, das diese Bemühungen auf deutscher Seite finden.
Von Ihrem Schreiben vom 10. d. M. und dem beigefügten Schriftwechsel mit Herrn Emil Reiffer haben wir mit Interesse Kenntnis genommen. Wir danken Ihnen für Ihre Aufklärungsarbeit und stellen Ihnen anheim, auch unser Generalkonsulat in München, das in der Frage ebenfalls verschiedene Berichte uns hat zukommen lassen, auf dem laufenden zu halten.
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