Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
1. Allemagne
1.8. Questions politiques générales
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 11, doc. 51
volume linkBern 1989
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#119* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 63 | |
Dossier title | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 35 (1934–1934) |
dodis.ch/45972
Es soll mein Bestreben sein, Sie in der nächsten Zeit über die jüngsten schwerwiegenden Ereignisse in Deutschland, ihre Ursachen und noch schwer übersehbaren Folgen, nach Möglichkeit aufzuklären. Leicht wird es nicht sein; darüber gebe ich mir jetzt schon Rechenschaft.
Vorigen Samstag wurde ich verhältnismässig rasch ins Bild versetzt, weil die Vertreter der ausländischen Presse als erste aufgeboten wurden und der hiesige Berichterstatter der Basler-Nachrichten, Herr Chefredakteur Oeri, der eben bei mir war, sofort alarmierte. Es verging zwar über eine Stunde, bevor ich mich telephonisch mit Ihrem Hause in Verbindung setzen konnte. Am Sonntag Mittag hatte ich dann neuerdings Gelegenheit, durch Vermittlung des Chefs der Abteilung für Auswärtiges, Ihnen telephonisch weitere Nachrichten zugehen zu lassen.
In den letzten Tagen habe ich mehrere Versuche unternommen, mir durch das Auswärtige Amt die eine oder andere unter den zahllosen Informationen und Gerüchten, die herumgeboten wurden, bestätigen zu lassen, aber ohne namhaften Erfolg. Wie ich Ihnen gestern Abend drahtete, will man im Amt, auch an hoher Stelle, sozusagen von nichts wissen. Dies dürfte bei den meisten aufgeworfenen Fragen tatsächlich zutreffen. Es werden aber auch Vorgänge als unbekannt und unrichtig erklärt, die doch als erwiesen angesehen werden können.
Meine eingehendere Berichterstattung, auf die ich nicht länger verzichten möchte, stellt dennoch auf Meldungen ab, für die ich meist eine unbedingte Gewähr nicht übernehmen kann, und auf eigene Eindrücke und Überlegungen.
Hat eine eigentliche Verschwörung stattgefunden oder war sie im Begriffe, konkrete Formen anzunehmen? Beweise hierfür sind bisher keine gegeben worden. Welches sollte das gemeinsame Programm sein, auf das zwei Männer mit so grundverschiedenen Anschauungen wie Röhm und von Schleicher sich hätten einigen können? Auf diese Frage gibt das Auswärtige Amt wenigstens die vernünftige, obwohl auch negative Antwort: Unerklärlich.
Was man zu wissen glaubt, ist, dass der temperamentvolle und ehrsüchtige S A-Stabschef Röhm mit den Führern seiner nächsten Umgebung seit längerer Zeit verlangte, mit einem Teile ihrer Truppen in die Reichswehr so oder anders eingegliedert zu werden. Dabei hätte er wohl die Meinung gehabt, dass dann Röhm Reichswehrminister und seine Getreuen hohe Offiziere der Reichswehr geworden wären. Diesem immer stärker werdenden Drängen glaubte Hitler, trotz angeblich bestimmter Versprechungen seinerseits nicht nachgeben zu sollen. Hat nun das Verlangen der Röhm-Leute in der letzten Zeit Formen angenommen, die Hitler mit Treue- und Gehorsamschwur nicht mehr vereinbar erschienen? Vielleicht. Jedenfalls waren ihm und einigen seiner Vertrauten diese Brüder unbequem geworden und von da zum Entschlüsse, sich ihrer kurzer Hand zu entledigen, ist der Weg bei der nationalsozialistischen Führergesinnung nicht weit.
Was hat sodann der sich für unübertroffen schlau haltende General von Schleicher seinerseits getan? Die ihn gut kannten, hielten ihn für unfähig, das Intrigieren zu lassen, das ihm ein Lebensbedürfnis zu sein schien. Ich entsinne mich heute des harten Wortes, das ein früherer Reichsminister, der den Reichswehrminister Schleicher als Kollegen hatte, noch im vorigen Monate zu mir sprach: der verlogene Schleicher. Letzterem bin ich nur einmal in diesem Frühling begegnet. Er sah blühend aus und war in unserem Gespräche von ausgesprochener Jovialität. Als ich darüber seiner Frau eine Bemerkung machte, erklärte sie mir, ihr Mann sei in seinem Leben noch gar nie so fröhlich gewesen; er freue sich jeden Morgen, als freier und sorgenloser Mensch zu erwachen und habe nur den einen Wunsch, es zu bleiben. Sie wiederholte dies mit solchem Nachdrucke, dass es mir selber unwahrscheinlich vorkam.
Man kann sich also vorstellen, dass Schleicher Röhm, von dessen Wünschen und Plänen er natürlich wusste, hat ermuntern und aufstacheln lassen, möglicherweise in der etwas teuflichen Absicht, in die SA einen Keil zu treiben und die beiden Teile gegeneinander aufzuhetzen, um dann im gegebenen Augenblicke als der Ordnungsstifter aufzutreten.
Der Plan für eine konstruktive Zusammenarbeit dieser beiden Männer ist dagegen schwer denkbar. Hitler und die Seinen aber mögen die Absichten Schleichers durchschaut und deshalb den Entschluss gefasst haben, gleichzeitig nach beiden Seiten, nach rechts noch etwas weiter ausholend, loszuschlagen. Vielleicht wird darüber mit der Zeit Näheres bekannt werden.
Mit der fremden Macht oder sogar, wie’s zuerst hiess, den fremden Mächten, die da die Hand im Spiele haben sollen, sieht es vorderhand sehr geheimnisvoll aus. Es glaubt eigentlich niemand recht daran, trotzdem man viel davon redet. Von einer Besprechung im Auswärtigen Amte habe ich den Eindruck gewonnen, dass man dort gar nichts weiss und nicht viel mehr glaubt; höchstens könnten nach Frankreich ausgestreckte Fühlhörner in Frage kommen. Der Engländer lacht über das Komplott mit dem Ausland und behauptet, die Sache interessiere ihn und seine Regierung nicht im mindesten. Der Franzose dagegen zeigt sich darüber verärgert, weil man Frankreich verdächtigen könnte und sucht scheinbar noch Aufklärung. Aus nationalsozialistischen Kreisen höre ich sagen, dass es doch sehr natürlich wäre, wenn die Sowiets dafür Interesse bekundet hätten und Röhm ihr Geld willkommen gewesen wäre. Sie sehen, der Fall ist höchst unklar und fragwürdig.
Ich bin eigentlich erstaunt, von so vielen Seiten sowohl hier wie aus dem Auslande die Ansicht vertreten zu hören, dass Hitler und sein Regime gestärkt und gefestigt aus den beiden Revolutionstagen hervorgehen. Ich kann mich dieser Auffassung nicht ohne weiteres anschliessen, es sei denn, man denke nur an eine vorläufige und kurzfristige Konsolidierung. Die wirklich entscheidenden Schwierigkeiten der nationalsozialistischen Regierung haben sich nicht verändert, eher im Gegenteil. Die bedenkliche Finanz- und Handelslage, die Unsicherheiten der Arbeitsbeschaffung, die religiösen Streitigkeiten und vor allem die ungelösten aussenpolitischen Probleme bestehen unverändert weiter, und schliesslich wird auch hier wie anderwärts die allgemeine Wirtschaftslage entscheiden. Ich habe Ihnen dies mehrmals geschrieben, wie auch meine Überzeugung mitgeteilt, dass Hitler noch nicht, wie man es z. B. in Frankreich vielerorts annahm, gefährdet sei.2 Ich hatte Ihnen gleichzeitig meine Meinung zur Kenntnis gebracht, dass sich Hitler gegenwärtig noch ohne wesentlichen Schaden für ihn von jedem seiner Gefährten trennen könnte, wenn er es für erforderlich hielte. Ich hatte dabei ebensowohl Göring oder Goebbels wie Röhm oder irgendeinen ändern im Auge, ohne dass er notwendigerweise kurzerhand erschossen und geköpft zu werden brauchte. Hitler hat heute wie gestern die Mehrheit des Volkes und offenbar die Machtmittel hinter und für sich. Das kann und dürfte sich ändern, wenn es dem deutschen Volke in absehbarer Zeit nicht besser, sondern noch schlechter gehen sollte.
Die Stellung Hitler’s mag heute gefestigt erscheinen, wenn man zugeben will, dass er nunmehr einer unmittelbar drohenden Gefahr entledigt ist, die man aber gar nicht so eingeschätzt hatte. Wenn man also den amtlichen Erklärungen Glauben schenken soll, dass am Samstag und Sonntag Deutschland wieder einmal, wie nach dem Reichstagsbrande3, gerettet worden sei, so vernimmt man zu seinem etwelchen Erstaunen, dass die Hitler-Regierung viel gefährdeter war, als jedenfalls die meisten angenommen hatten. Aus dieser Überlegung gleich den Schluss zu ziehen, dass nun das derzeitige System gefestigter sei, als man vermutet hatte, scheint mir einer gewissen Logik zu entbehren.
Allerdings ist anzuerkennen, dass die Reichswehr, die bei den letzten Vorgängen vollkommen ausser Spiel geblieben ist, doch eher als hitlertreu anzusehen ist. Ihr Chef, Reichswehrminister von Blomberg, wird nicht müde, es auch nach aussen kundzugeben. Welches sind die Konzessionen, die der Reichskanzler unter Umständen zu machen bereit ist, ist eine Frage, eine unabgeklärte Frage für sich. Aber ich glaube nicht, dass die zwei bis drei hunderttausend Mann Reichswehr und Polizei auf die Dauer eine Regierung stützen würden, welche die Mehrheit des Volkes gegen sich hätte. Russische Zustände sind in Deutschland kaum denkbar. In personeller Hinsicht höre ich, ohne dafür volle Gewähr bieten zu dürfen, dass Hitler tatsächlich seine Position bei der Reichswehr gesichert habe. Blomberg, ein eher weicher Mann, folgt ihm wahrscheinlich blindlings.4 Der Chef der Heeresleitung, General von Fritsch, der ein anderer Charakter ist, soll mehr oder weniger beurlaubt sein. Man hatte sogar von seiner Verhaftung gesprochen. Dieses Gerücht hat sich als unrichtig erwiesen. Dagegen wäre jüngst der frühere Chef des Ministeramtes, der jetzige General von Reichenau, der Hitler ganz ergeben sei und der kürzlich zu einem Truppenkommando berufen worden war, im Reichswehrministerium wiederum eingezogen.
Ich unterbreche hier meinen Bericht, damit ich ihn heute Mittag an Sie abgehen lassen kann; weitere Mitteilungen werden folgen.
- 1
- Rapport politique: E 2300 Berlin, Archiv-Nr. 35.↩
- 2
- Cf. par exemple la lettre de Dinichert à Motta, du 15 mai:
[...] On m’affirme que l’opinion est répandue en France, jusqu’en haut lieu, que le régime hitlérien n’est pas loin de toucher à sa fin. L’avis contraire et fondé, à mon avis, de son ambassade n’arriverait pas à prévaloir partout contre certaines indications d’agents plus ou moins occultes auxquels on prêterait à Paris une oreille complaisante. On a de la peine à se représenter sur quoi de telles informations peuvent se baser pour devenir convaincantes. Certes, les difficultés actuelles et prochaines de l’Allemagne sont grandes; elles pourraient même bien aller en augmentant. Mais, pour le moment, disons pour un an ou deux, le régime paraît vraiment avoir les moyens de tenir tête à tout danger sérieux. C’est, avant tout, la situation économique qui, dans les temps prochains, décidera de son sort. Or le gouvernement actuel se montre absolument décidé à vouloir lutter par tous les moyens contre le désarroi dans l’ordre économique et social. Sans doute, là aussi, pourra-t-il être amené à prendre, peut-être du jour au lendemain, des décisions de la plus grande portée. L’aile gauche du parti est toujours vivante et, excitée par les difficultés croissantes de l’existence, elle serait capable de lever rapidement la tête et de tenter de prendre la direction du mouvement. Mais, si elle voulait dépasser certaines limites, le chancelier trouverait vraisemblablement auprès de la Reichswehr et de la police l’appui nécessaire pour maintenir l’ordre social. C’est pourquoi la Reichswehr est l’objet de l’attention particulière de beaucoup de gens, surtout parmi les éléments d’ordre. Les avis, toutefois, ne sont pas unanimes. Pour le corps des officiers, il ne semble pas y avoir de doute bien que sa confiance en son chef, le ministre, serait ébranlée. Pour les hommes, le cas est moins clair. Mais l’avis qui prévaut est qu’ils suivraient leurs officiers, surtout s’il s’agissait de prendre position contre les éléments les plus douteux de l’armée brune. Tout cela, je le répète, ne paraît d’ailleurs pas très actuel. Mais ce sont des questions que nous avons le devoir de suivre au jour le jour, en raison de leurs répercussions, même internationales, possibles.[...] (E 2300Berlin, Archiv-Nr. 35).↩
- 3
- Cf. DDS vol. 10, no 241, dodis.ch/45783.↩
- 4
- A l’issue d’une entrevue avec W. von Blomberg, P. Dinichert note à son propos le 20 février 1934:
[...] Da allgemein angenommen wird, dass die Beziehungen zwischen Reichskanzler und Reichswehrminister ausgesprochen vertrauensvoll sind, habe ich den Anlass wahrgenommen, um mir das mittelbar bestätigen zu lassen. Und es stimmt so. General von Blomberg sprach sich mit wärmster, überzeugender Begeisterung über Hitler aus. – Ich bin doch bereit, jeden Augenblick für diesen Mann zu sterben, nicht etwa bildlich, wie man das zu sagen pflegt, – betonte er, – sondern wirklich zu sterben. – Generaloberst von Blomberg erzählte mir dann noch, wie es bei seiner Berufung in die Regierung zugegangen sei. Er habe sich bekanntlich am 30. Januar 1933 als militärischer Sachverständiger in Genf an der Abrüstungskonferenz befunden. Telephonisch ging ihm der Vorschlag des eben neubestellten Kanzlers zu. Bis dahin habe er Hitler nie gehört noch gesprochen. Er habe damals das Bedürfnis nicht empfunden, an nationalsozialistische Versammlungen zu gehen. Er fühlte sich ausschliesslich als Soldat und wollte mit Politik nichts zu tun haben. Die Entscheidung, die er in Genf in kürzester Zeit zu treffen hatte, sei unter diesen Umständen die schwerwiegendste gewesen. Er habe sich aber rasch für Annahme entschlossen, weil er glaubte, seinem Vaterlande nützlich sein zu können. Tags darauf war er in Berlin, begab sich sofort zum Kanzler und bat diesen, ihm eine Stunde Unterredung zu gewähren, da die beiden Männer sich ja nicht kannten. – Hitler entsprach sofort dem geäusserten Wunsche, und nach einer Stunde sei der neue Reichswehrminister davon überzeugt gewesen, dass Hitler der Mann sei, der allein Deutschland aus seinen Nöten erretten könne. Daran habe Blomberg seither nie mehr gezweifelt (E 2300 Berlin, Archiv- Nr. 35).↩
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