Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. DIE SCHWEIZ UND DER VÖLKERBUND
1. Abrüstung und Waffenhandel
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 216
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2001C#1000/1535#100* | |
Dossier title | Généralités (1925–1926) | |
File reference archive | B.56.13.2 |
dodis.ch/45233
In Beantwortung Ihrer Schreiben vom 6. und 26. August 19262 betreffend Völkerbundsfragen beehren wir uns, Ihnen folgende Darlegungen zu unterbreiten:
1. Abrüstung.
Es ist ausserordentlich schwierig, aus dem uns vorliegenden Material ein klares Bild des dermaligen Standes der Abrüstungsfrage zu gewinnen. Es mag das schon dadurch bedingt sein, dass eine praktische Lösung der Abrüstungsfrage sich als äusserst schwierig erweist. Man gewinnt den Eindruck, dass je eingehender die Organe des Völkerbundes sich mit der Frage befassen, die Schwierigkeiten um so höher sich auftürmen. Dazu kommt für die besondern Verhältnisse der Schweiz noch hinzu, dass es allen fremdländischen Sachverständigen ausserordentlich schwer fallt, das Wesen unseres Milizsystems zu erfassen.
Ein wichtiger Punkt scheint immerhin nach den bisher vorliegenden Berichten der Commission préparatoire und ihrer Subkommissionen festzustehen: Am 26. Mai 1926 hat die Commission préparatoire dem Völkerbundsrat einen Bericht über die in der ersten Session der Commission durchgeführten Arbeiten erstattet3. Dieser Bericht enthält namentlich Angaben darüber, in welcher Weise das Studium der der Commission préparatoire unterbreiteten Fragen organisiert worden sei. Die Frage Ha lautet:
«Est-il possible de limiter les armements de guerre éventuels d’un pays, ou bien les mesures de désarmement ne doivent-elles viser que les armements de paix?»
Zu dieser Frage nun bemerkt die Commission préparatoire, dass nach ihrem Dafürhalten es nicht möglich ist, die eventuellen Kriegsrüstungen eines Volkes zu beschränken, und sie fährt wörtlich weiter:
«Elle affirme, au contraire, la possibilité de limiter les forces de terre, de mer ou aériennes entretenues en permanence en temps de paix par les divers pays ou pouvant être utilisées immédiatement sans mesures préalables de mobilisation.
Ce principe ne préjuge, d’ailleurs, pas des conditions de cette limitation telles qu’elles résulteront de l’examen des autres questions, et notamment de la question V.» -
Die Frage V handelt von den Grundsätzen, nach welchen das Verhältnis zwischen den den einzelnen Ländern zu bewilligenden Rüstungen festgesetzt werden könnte, unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahl, der Ressourcen, der geographischen Situation, usw.
Die Subkommission A für die militärischen Fragen hat sodann in ihrer Antwort zur Frage I auf Seite 11 ihres Berichtes vom 12. Juni 1926 folgendes ausgeführt:
«Le système basé sur le service obligatoire présente des caractères très variables suivant la durée du service. Lorsque cette durée est réduite au strict minimum nécessaire à une instruction élémentaire qui n’est plus ensuite perfectionnée que par des tirs, cours ou manœuvres échelonnés (système des milices) il ne comprend aucun effectif utilisable sans mesure de mobilisation, les hommes étant soit dans leurs foyers, soit en train de recevoir les premiers rudiments d’instruction.»
Daraus würde sich für die Schweiz ergeben, dass allfällig von einer Abrüstungskonferenz zu beschlies sende Massnahmen über die Truppenstärke sie nicht betreffen würden, da nach den oben angeführten Aktenstücken wenigstens zurzeit bei den Organen des Völkerbundes die Meinung obzuwalten scheint, dass von der Abrüstung nur die ohne Mobilisation zu kriegerischer Verwendung bereitstehenden Kräfte betroffen werden sollen und dass beim Milizsystem derartig verwendbare Kräfte überhaupt nicht vorhanden seien.
Demgemäss könnten für die Schweiz nur solche Abrüstungsmassnahmen in Betracht fallen, welche sich auf das Kriegsmaterial oder auf die Ausgaben für das Heerwesen beziehen. Was das Kriegsmaterial anbetrifft, so ist die Schweiz im Vergleich zu ändern Staaten jedenfalls von vorneherein sehr schwach damit versehen, und es würde schon ein sehr grosser Schritt zur Abrüstung vorgenommen, wenn andere Staaten auf das Niveau der materiellen Kriegsvorbereitung der Schweiz zurückkehren würden.
Was dagegen die Kosten anlangt, so ist bekanntlich das Milizsystem, so wie es in der Schweiz ausgebaut ist, verhältnismässig recht teuer. Es rührt das einmal daher, dass die Schweiz ihren Milizsoldaten einen gegenüber ändern Staaten unverhältnismässig hohen Sold bezahlt. Wir erinnern nur daran, dass z.B. der Schweizer Soldat für einen einzigen Diensttag mehr Sold bezieht, als einem französischen Soldaten für einen ganzen 13-tägigen Wiederholungskurs ausgerichtet würde. Der Unterhalt des Kriegsmaterials sodann liegt in der Schweiz ganz wesentlich einem hoch bezahlten Zivilpersonal ob, während diese Arbeit in ändern Ländern mit stehenden Armeen den niedrig besoldeten Soldaten übertragen ist. Das gleiche gilt z.T. sogar für die Erstellung des Kriegsmaterials. Die Milizarmee, in der die Stäbe und Truppeneinheiten nicht ständig im Dienste sind, verlangt ausserdem einen erheblich stärkeren Beamtenkörper für die Verwaltung des Wehrwesens, als das bei einer stehenden Armee der Fall ist. Sollte also in der Folge eine Lösung gesucht werden, nach der die Abrüstung durch zahlenmässige Festsetzung der Militärbudgets der einzelnen Länder bewirkt werden sollte, so könnte die Schweiz von einer derartigen Abrüstungsmassregel sehr stark berührt werden. Immerhin ergibt sich aus einem sehr interessanten Bericht des Sekretariats der Commission préparatoire de la Conférence du désarmement - Commission mixte - vom 28. Juni 1926, dass man sich über die enormen Schwierigkeiten, den Umfang der effektiven Rüstungen nach den budgetmässigen Ausgaben zu vergleichen und zu bestimmen, sehr wohl bewusst ist. Dieser Bericht hebt zum Teil gerade die Punkte hervor, von denen wir oben gesprochen haben, z.B. die Differenzen in den Soldansätzen der verschiedenen Länder. Er weist ferner auf die verschiedene Kaufkraft der Währungen hin und stellt fest, dass auf dem Weg der Budgetlimitierung Abrüstungsmassnahmen jedenfalls erst erfolgen könnten, wenn eine Standardisierung aller Militärbudgets geschaffen wäre. So weit wir heute in der Lage sind, die Vorarbeiten für eine allfällige Abrüstung zu beurteilen, glauben wir nach den vorstehenden Darlegungen zur Annahme berechtigt zu sein, dass die Schweiz kaum davon berührt würde. Dieses Resultat stimmt mit der Auffassung überein, welche die schweizerischen Behörden bisher schon vertreten haben, nämlich dass, wenn alle Staaten ihre militärischen Rüstungen auf den Schweiz. Standard zurückführen würden, tatsächlich eine weitgehende Abrüstung eintreten müsste. Wir glauben, dass es z. Zt. nicht nötig ist, in den Gang der Arbeiten der Commission préparatoire aktiv einzugreifen. 2. Was das «Annuaire militaire» anlangt, so ist dieses für unsere Kenntnis fremder Armeen recht wertvoll. Unter diesem Gesichtspunkt können wir also sein weiteres Erscheinen nur begrüssen. Die Angaben über das schweizerische Wehrwesen sodann entsprechen insbesondere in der letzten Ausgabe im grossen ganzen den tatsächlichen Verhältnissen. Auch von diesem Gesichtspunkte aus ist für uns kein Grund zu Einwendungen vorhanden. Dagegen möchten wir auch hier hervorheben, dass es ausserordentlich gefährlich ist, auf Grund der Angaben des Jahrbuches Vergleiche zwischen den einzelnen Wehrsystemen ziehen zu wollen. Diese Gefahr dürfte in ganz besonderer Weise für die Schweiz vorliegen, weil auf der einen Seite ihre Militärausgaben verhältnismässig hoch sind und weil andererseits, wie oben bereits hervorgehoben, dem Ausländer das Wesen unseres Milizsystems ausserordentlich schwer verständlich ist. Diese Gefahr kann immerhin keinen Grund bilden, um Einwendungen gegen das weitere Erscheinen des «Annuaire» zu erheben. 3. Sofern Ihr Departement es für notwendig erachtet, dass ein Vertreter des Militärdepartements an der auf morgen Nachmittag vorgesehenen Konferenz teilnimmt, so steht hiefür unser Departementssekretär zur Verfügung. Er wird sich auf seinem Bureau bereithalten, wo er telephonisch jederzeit erreichbar ist.