Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 6, doc. 334
volume linkBern 1981
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#101* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 54 | |
Dossier title | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 18 (1915–1917) | |
File reference archive | 019 |
dodis.ch/43609
Was ich in meinem letzten Berichte vom 26. Juli2 über die Wirkung der Rede Carsons vorausgesetzt habe, ist buchstäblich eingetroffen. Seine Wendung, dass man mit Deutschland erst unterhandeln werde, wenn es über den Rhein zurückgedrängt sei, und die nachher bekannt gewordenen Äusserungen Ribots über Eisass-Lothringen haben die deutsche sozialdemokratische Partei zur Fortsetzung des allerschärfsten Widerstandes angefacht. Der Vorwärts erklärt in seinem Leitartikel vom 29. Juli 1917, dass die Haltung des französischen Ministerpräsidenten zu dem, was der Reichskanzler als seine eigene Absicht verkündet habe, in krassem Gegensatz stehe. Die Enthüllungen aus den Geheimsitzungen der französischen Kammer lassen keinen Zweifel darüber bestehen, dass Frankreich heute einen uferlosen Eroberungskrieg gegen Deutschland führe; die Gier der französischen Chauvinisten nach kerndeutschem Lande setze ihr «Rechtsgefühl» in ein helles Licht. Ganz wie die ändern linksrheinischen Gebiete, nach denen Frankreich seine Hand ausstrecke, sei auch Elsass-Lothringen ein kerndeutsches Land. Wenn es auch Frankreich heute gelänge, den Besitz dieser Länderbeute zu erhalten, so würde sich in einem spätem Zeitpunkte durch die Gewalt der deutschen Revanche, die keine Sozialdemokratie aufzuhalten imstande wäre, das Schicksal Frankreichs bis zu Katastrophe vollziehen. So der Vorwärts.
Noch weiter, bis zur direkten Ablehnung der Scheidemannschen Friedenspolitik, geht das sozialdemokratische Organ Hamburger Echo, das seine Partei zum Zusammengehen mit der Regierung auffordert und sagt: «Der Druck auf die Regierung darf mit der gleichen Kraft nicht anhalten. Die Regierung weiss, wir wissen, und das Ausland weiss, dass mit unserer Macht zu rechnen ist. Wenn der Druck der letzten Wochen auf die Regierung anhielte, ohne dass - wie bisher - die feindlichen Völker und Sozialisten auf ihre Regierungen den entsprechenden Druck ausüben, so ist die unausbleibliche Folge nicht, dass man dem Frieden nützt, sondern dass man dem Vaterlande schadet. Schon jetzt kann man nachteilige Wirkungen unserer einseitigen Friedenspolitik auf unser Land erkennen. Das war nicht die Absicht. Bis auf weiteres müssen wir in dieser Beziehung neben die Regierung treten.»
Auch der Zentralvorstand der evangelischen Arbeiterschaft Deutschlands erliess einen eindringlichen Aufruf zum Zusammen- und Durchhalten.
Es ist nicht zu verkennen, dass diese Stimmung, zu welcher die von Michaelis den Pressevertretern gemachten Mitteilungen wesentlich beitrugen, dessen Stellung mächtigt befestigt haben, so dass er es sich erlauben konnte, für das Reich und für Preussen Ministerlisten zu präsentieren, die nur in sehr geringem Umfange die Postulate befriedigen, die am 19. Juli von der Reichstagsmehrheit aufgestellt worden sind; er hat sich auch geweigert, Helfferich, der im Reichstage sehr geringe Sympathien besitzt, fallenzulassen.
Sogar der Vorwärts gibt sein Urteil über die neuen Minister sehr sanft dahin ab: «Die sozialdemokratische Partei kann den durch die neuen Ernennungen geschaffenen Zustand nur als Übergangsstadium betrachten. Als solcher kann er erträglich sein.»
Das hauptsächlichste Interesse dreht sich um den neuen Staatssekretär des Auswärtigen Amtes von Kühlmann, der von der konservativen Presse als Mann der Verständigung mit England und als früherer Gegner des Unterseebootkrieges scharf bekämpft wird, dem aber die übrigen Parteien im ganzen einen freundlichen Empfang bereiteten.
Die hiesigen Vertreter der Neutralen, soweit sie den neuen Aussenminister kennen, betrachten den Tausch mit Zimmermann mit etwas gemischten Gefühlen; denn Kühlmann scheint Eigenschaften zu besitzen, die ihn nicht immer angenehm machen sollen.
Was ich im übrigen unterm 26. Juli über die Bedeutung bzw. Tiefe der jüngsten Krise sagte, bewahrheitet sich, besonders angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse an der West- und Ostfront immer mehr. Ausser gelegentlichen Rückzugsgefechten in linksstehenden Blättern ist es wieder sehr still geworden; insbesondere wird Erzberger hauptsächlich seit seiner Äusserung zu Baumberger in Zürich, auch von angesehenen Zentrumblättern immer mehr fallengelassen.
Es ist nicht zu verkennen, dass seit einiger Zeit zwischen Deutschland und Österreich, besonders auf deutscher Seite, eine gewisse Gereiztheit Platz gegriffen hat. Man fühlt, seit Czernin Aussenminister geworden ist, einen Kampf zwischen ihm und den hiesigen Spitzen um die Leitung der Politik der Zentralmächte heraus. Man macht ihm zum Vorwurf, dass er zu lebhaft das Friedensbedürfnis offenbar werden lasse.
Bezeichnend sind in diesem Zusammenhange die Worte, welche Michaelis auf dem Bahnhofe in Dresden aussprach, wo er sagte: «Ich trete meine Reise zu unsern Bundesgenossen nach Wien an, sie ist wichtig.»
Man glaubt oder hofft hier, dass die Erfolge an der Ostfront den Österreichern den Rücken wieder etwas stärken werden.
Vor ungefähr zehn Tagen hatte ich einen längern Besuch meines bulgarischen Kollegen, Rizov, der hier als ungemein kluger und besonders mit den russischen Verhältnissen sehr vertrauter Diplomat angesehen wird.
Ich möchte Ihnen daher einige seiner Bemerkungen nicht vorenthalten. Er sagte: «Es ist nicht zu verkennen, aber auch begreiflich, dass in Deutschland das Militär die Oberhand besitzt. Hier gibt es einige Genies und einige hundert grosse Talente. Über solche Köpfe verfügt zur Zeit weder die Regierung noch das Parlament. Insbesondere fehlt hier ein Mann, der die ändern mit sich fortreisst und dadurch die Leitung in die Hand bekommt.» Über die während unserer Unterredung tagende Konferenz der Alliierten meinte er, man sage allerdings, es werden dort die Verhältnisse auf dem Balkan behandelt; das sei wohl unzutreffend; denn hiezu wäre der Beizug der Spitzen der Heere und der Flotten nicht notwendig gewesen. Die Beratungen drehen sich in Tat und Wahrheit um die sehr ernsten Begebenheiten in Russland, wo die grosse Gefahr bestehe, dass Hindenburg sich in den Besitz Bessarabiens setze, womit er das wichtigste Getreide- und zugleich Kohlengebiet Russlands in seine Gewalt bekommen würde. Sein Vormarsch fördere auch die Abtrennung und Selbständigmachung der Ukraine. Man werde Kerenski das Scheitern der russischen Offensive zur Last legen, weil er die Verhältnisse hätte kennen müssen. Frankreich und England haben, wie er sicher wisse, ihre Offensive erst etwa in Monatsfrist beginnen wollen, weil man bis dahin mit der Einnahme Lembergs gerechnet und gehofft habe, dass dann die Deutschen gezwungen seien, aus dem Westen Truppen dorthin zu verlegen. Die Alliierten seien durch die Anfangserfolge Kerenskis getäuscht worden und haben nun zur Entlastung Russlands ihre Offensive beginnen müssen, bevor ihre Vorbereitungen vollendet gewesen seien. Deshalb werde sie wieder misslingen. Russland müsse Frieden schliessen, wenn es nicht ganz auseinanderfallen wolle; Amerika biete den Alliierten aber für Russland keinen Ersatz; denn es könne die jährlich zwei Millionen neuer Soldaten, die Russland geliefert habe, nicht aufbringen. Er meinte: «Wir können Kerenski danken; denn seine Offensive wird den Frieden beschleunigen.» Von Bulgariens wirtschaftlichem Aufschwung ist er überzeugt; denn sein Volk sei nüchtern und arbeitsam. Es werde auch nicht nach der Einverleibung von Gebieten trachten, die nicht von Bulgaren bewohnt seien; denn dies würde nur den Keim innerer Reibungen in sich tragen. Was aber bulgarischer Nationalität sei, müsse bulgarisch werden, und sodann sei für Bulgarien ein Angrenzen an Österreich Lebensbedingung.
Zum Schlüsse erwähne ich noch, dass die hiesige Schweizerkolonie, wovon der Gesandte am Abend des 1. August zirka dreihundert Mitglieder als Gäste empfangen durfte, unsern nationalen Feiertag in gehobener, patriotischer Stimmung begangen hat.
- 1
- Rapport politique: E 2300 Berlin, Archiv-Nr. 18.↩
- 2
- A l’issue de sa première audience officielle avec le nouveau Chancelier, Michaelis, Robert Haab avaitfait quelques commentaires sur la réaction allemande au discours du ministre britannique: Es kann nicht geleugnet werden, dass der neue Reichskanzler sein Amt unter sehr günstigen Auspizien angetreten hat. Für ihn wirken der immer grössere Dimensionen annehmende Erfolg im Osten und sodann die Rede des englischen Ministers Carson, der mit Deutschland erst über den Frieden unterhandeln will, wenn es über den Rhein zurückgedrängt worden ist. Gegen eine solche Zumutung bäumt sich der radikalste Sozialdemokrat gerade so auf, wie der ostelbische Junker. Wenn man diese beiden divergierenden Enden zusammenschweissen und die Bewegung, die sich in den vergangenen Wochen geltend machte, wieder hemmen wollte, konnte man es nicht geschickter anfangen, als durch einen solchen Ausspruch.↩
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