Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 2, doc. 74
volume linkBern 1985
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2#1000/44#466* | |
Old classification | CH-BAR E 2(-)1000/44 86 | |
Dossier title | Luxemburgerfrage, 1867 (1867–1867) | |
File reference archive | B.265 |
dodis.ch/41607
Ich meldete Ihnen lezten Montag per Telegramm2 die neue Phase, in welche die Luxemburgerfrage in Folge der Mittheilungen, die Moustier den Kammern gemacht hat, getreten ist. Der Entscheid hiezu erfolgte nach einer an den Kaiser gerichteten Depesche v. Benedetti in der Nacht vom Sonntag u. Golz erhielt ein chiffrirtes Telegramm, als ich ihn am Montag Vormittag verliess. Am gleichen Vormittag trat der Ministerrath zusammen, u. da wurde die Eröffnung, die Moustier zu machen hatte, festgestellt. Was ich Ihnen als sehr unwahrscheinlich berichtete, dass nämlich Frankreich sich für Berathung der Mächte, welche die 1839er Verträge garantirten, erklären werde, ist nun zur offiziellen Thatsache geworden. Aber ich fügte im gleichen Rapport vom 8ten April3 hinzu: «Wenn auch der Ausbruch des Krieges für einmal unterbleibe, so werde der Friede ein sehr prekärer seyn; u. empfahl Ihnen zugleich dafür zu sorgen, dass die Schweiz auf alle Eventualitäten gehörig gerüstet u. insbesondere, dass die Armee mit Hinterladungsgewehren, so viel wie möglich versehen werde.» Neue Erkundigungen an ganz sichrer, ganz zuverlässiger Quelle, die ich aber zu verschweigen mich verpflichtet habe, autorisiren mich, Ihnen das Gesagte heute in allen Theilen zu bekräftigen. Die Berathung der Mächte, sei es im Correspondenzwege, sei es in einer Conferenz, ist ein Mittel Zeit zu gewinnen. Aber der Krieg zwischen Frankreich u. Deutschland ist hier an massgebender Stelle, als eine ausgemachte Sache betrachtet; u. könnte höchstens durch unvorhergesehene Gestaltung gewisser Allianzen noch abgewendet werden, was man aber nicht für wahrscheinlich hält. Inzwischen wird hier nichts versäumt, um die Rüstungen zu vervollständigen. Die Chassepot-Gewehre sollen schon in sehr grosser Zahl fertig seyn. Die Uebungen nach dem neuen Exercitium, das sie fordern, werden eifrig betrieben. Betreffend den Zeitpunkt, wo der Krieg ausbrechen soll, so glaubt man durchaus nicht, dass diess bis zum nächsten Frühjahr dauern könne; sondern schon im Spätsommer werde höchst wahrscheinlich die Campagne u. zwar mit aller Macht eröffnet werden, zu Land u. zur See. Von gleichen Quellen vernehme ich dann gestern ebenfalls, dass man die Sozialistischen Manifestationen in Mühlhausen etc. entschieden desavouiren werde, u. der Umstand, dass ich ein solches désaveu diesen Morgen wirklich im Moniteur lesen konnte – s. Moniteur von heute lOten April – ist ein neuer Beleg, wie zuverlässig die Quelle ist, welcher ich meine Mittheilungen über die Kriegsfrage entnehme. Es ist bei einer Versammlung von den höchsten Vertretern des Kaisers aus dem Civil- u. Militärstande (nicht im offiziellen Conseil des Ministres!) auch von der Schweiz die Rede gewesen. Ja es wurden Zweifel geäussert, ob man wirklich ganz sicher auf eine energische Vertheidigung der Schweizergrenze gegenüber Deutschland werde zählen können. Wäre diess nicht der Fall, so würde vermuthlich unsere militärischen Positionen, welche Frankreich für eine Vertheidigung gegen Deutschland für besonders wichtig ansieht, zum Gegenstand der militärischen Operationen der französisch. Armee gemacht werden! Daraus darf man sich kein Hehl machen. Die kriegerische Vertheidigung unsrer Neutralität kann allein hindern, dass nicht die Schweiz ein Kriegsschauplatz wird. Die Franzosen sind in ihrem Urtheile noch von den Vorgängen des Jahres 1815 influenzirt. Ich bedaure es. Aber es ist Thatsache. Ich habe natürlich nicht ermangelt, bei jedem Anlass mich in dem Sinn zu äussern: die Schweiz werde mit aller ihr zu Gebot stehenden Macht nach jeder Seite hin energisch & loyal die Neutralität vertheidigen. Das sei nach meiner Überzeugung die feste entschlossene Stimmung der Behörden, das auch die Stimmung des Schweizervolkes. Es wird diese meine persönliche Äusserung hier wohl auch an massgebender Stelle bekannt werden. Ja ich hielt es für in unsern höchsten Interessen liegend, waltenden Zweifeln gleich von Anfang an entgegenzutreten, noch ehe die militärischen Operationspläne, die in Berathung sind, festgestellt werden. Ist lezteres einmal geschehen, so findet man weit schwerer Gehör. Ich habe zwar nicht den mindesten Zweifel, dass meine als persönlich ausgedrükte Überzeugung auch diejenige des h. Bundesrathes & der Bundesversammlung seyn werde. Aber die Lage ist so ernst, dass es mir doch erwünscht seyn würde, wenn auch von Ihrer Seite mir Konfidentielles berichtet würde, wie Sie die Situation u. speziell die Politik auffassen, welche die Schweiz von sich aus treu u. fest ohne Markten gegen Frankreich wie gegen Deutschland innehalten werde. Ich kann dann noch mit mehr Autorität den waltenden Zweifeln entgegentreten. Wie Sie sehen, ich theile Ihnen – wie es Pflicht gebietet – ohne allen Rükhalt mit, was ich immer über die Situation erfahre. Es ist unserer Stellung nur nüzlich, wenn ich von Zeit zu Zeit erfahre, was etwa auch Ihnen zur Kenntniss kommen kann.
So wird in neuester Zeit hier das Gerücht verbreitet, Preussen habe der Schweiz eine Defensiv- u. Offensivallianz angetragen, ohne dass man aber dabei sagt, was die Schweiz hierauf geantwortet habe! Solche Dinge erweken hier Misstrauen u. es ist daher gut, wenn ich auf Ihre Mittheilungen gestüzt sagen kann, entweder: es ist reine Erdichtung. Oder aber, die Schweiz würde nie ein solches Bündniss eingehen, weil sie ja dadurch ihre völkerrechtliche Stellung compromittiren würde. Lezten Sonntag fragte mich ein sehr angesehener Senator so: «Nicht wahr, wenn es losgeht, so können wir auf die Schweiz zählen.» Ich antwortete: «Ja auf entschiedeneWertheidigung der schweizerisch. Neutralität kann Frankreich zählen. Mehr kann u. soll es nicht erwarten! Wer unsere Neutralität verlezt, ist unser Feind, u. wird als solcher bekämpft werden; sei es, dass der Deutsche, od. sey es der Franzose durch Verletzung unsrer Neutralität uns zuerst zwingt, sein Feind zu werden.» Es sind diess freilich nur Privatgespräche, aber schon ein allzubedenkliches Schweigen auf solche Fragen würde hier Misstrauen wecken.
Ich empfehle neuerdings, die neue Bewaffnung doch ja mit Entschlossenheit u. Raschheit durchzuführen. Ich hoffe, man sei bei uns verfahren, wie Frankreich es gethan hat. Es prüft immer noch neue sich darbietende Inventionen, um zum Besten zu gelangen, hat aber dermalen nicht unterlassen, fort u. fort massenhaft Chassepot-Gewehre anzuschaffen. Man sagte mir gestern, 180’000 Stük seyen fertig u. die Zahl nehme in rascher Progression wöchentlich zu. So hoffe ich, habe auch der Bundesrath dafür gesorgt, dass schon jezt eine grosse Zahl Millhart-Amsler Gewehre den Schweizer Truppen zur Verfügung gestellt werden könne. Sollte es nicht der Fall seyn, so ist die Frage neuerdings in Erwägung zu ziehen: ob nicht eine ansehnliche Zahl schon fertiger guter Hinterladungsgewehre in Amerika od. wo man solche zu finden glaubt, anzukaufen sey. Es würde auf unsere Truppen einen höchst fatalen Eindruk machen, wenn sie nach der einen od. ändern Seite hin gegenüber Hinterladern nur mit dem alten Ordonnanz-Gewehr sich zu vertheidigen hätten. An das «Caveant consules! Ne quid respublica detrimenti capiat» darf man bei so drohender Situation wohl erinnern. Ich habe Ihnen schon in einem der lezten Rapporte gesagt, «Frankreich zähle ganz besonders auf gewisse Überlegenheit der Artillerie.» Dabei ist nicht bloss an die canons rayés zu denken, die ja auch Preussen hat. Man versicherte mich, es seien noch weitere Erfindungen, die mit Erfolg werden benuzt werden, die man aber auf das strengste geheimhalte. Für gewisse Positionen habe Frankreich auch ganz kleine stählerne ziemlich lange u. weittragende Kanonen, die nur von zwei Mann getragen werden können u. eine Art von Kartätschengeschosse auf bedeutende Entfernungen werfen. Sie sollen weit mehr wirken u. weit leichter transportabel seyn als unsre Gebirgsbatterien. Aber auch hierüber herrscht das grösste Geheimniss, u. ich verdanke diese Mittheilung nur besonders freundschaftlichen Beziehungen.
Dass meine Mittheilungen über die Situation u. die Kriegsgefahr richtig sind, mögen Sie auch der Haltung der Finanzwelt entnehmen, indem die Mittheilungen, welche Moustier in den Kammern machte, nicht von ferne den beruhigenden Eindruk machten, den man von denselben erwartet hatte. Es ist natürlich auch möglich, dass die Situation sich ändern kann, je nachdem etwa die Haltung der übrigen Grossmächte sich gestalten wird. Aber jezt ist sie so, wie ich Sie Ihnen schildere. Sie wissen, ich gehöre nicht zu denen, die leichthin Lärm u. Besorgniss hervorrufen. Ich bin mir der ganzen Verantwortlichkeit klar bewusst, wenn ich so schreibe wie vorgestern u. heute wieder. Ich kann & darf es nwrthun, weil ich der vollen Zuverlässigkeit meiner renseignements ganz sicher bin.
Man darf nicht versäumen, unsere Truppen mit den Übungen der neuen Hinterladungsgewehre rechtzeitig vertraut zu machen, indem es mit Gefahren verbunden sei, diess zu unterlassen.
Es kommt uns sehr viel darauf an, ob Preussen eben so sicher erfährt, was hier unter allen Umständen nicht bloss wegen Luxemburgs, sondern wegen dergrossen Machtentwiklung Deutschlands, nebst den Verhältnissen im Innern, im Plane liegt. Wäre diess der Fall, so wäre dann sehr wohl möglich, dass die Kriegsparthei in Berlin, von der ich schon im lezten Rapporte spreche, den Sieg davon trüge, u. in diesem Falle könnte der Krieg noch früher losbrechen, als ich eben angedeutet habe.
So weit für heute. Ich habe Ihnen nun offen, wie es mir die Pflicht gebietet, die Situation noch näher bezeichnet, wie ich solche nach leztem Wissen & Gewissen auffasse, nichts anderes im Auge haltend als die Intressen des theuren Vaterlandes, das möglicherweise diessmal in den Fall kommen könnte, die Neutralität mit den Waffen, nicht mehr bloss mit der Feder vertheidigen zu müssen. Diese Gefahr liegt weit näher als im lezten Kriege zwischen Italien u. Frankreich einerseits, u. Ostreich anderseits; aus dem ganz einfachen Grunde, weil das Schweizergebiet für die eine wie für die andere Macht in einem Kriege zwischen Deutschland & Frankreich militärisch eine ganz andere Bedeutung u. je nachdem es von einem od. ändern Heere zuerst besezt würde, auch ganz andere Folgen hätte.
So lange ich von Ihnen nicht andere Weisung erhalte, werde ich mich in gleichem Sinne äussern wie bisher. Wollen Sie mir einen Brief indirekte zukommen lassen, so könnte es auch durch Vermittlung des Commissariates geschehen. Ich empfehle neuerdings die grösste Diskretion, indem mir sonst die Quelle, aus der ich schöpfe, sich verschliessen könnte. Sagen Sie also namentlich auch nichts hiervon gegenüber dem französischen Geschäftsträger.