Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 26, doc. 23
volume linkZürich/Locarno/Genève 2018
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E-01#1987/78#409* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)-01/1987/78 101 | |
Dossier title | Palästina-Büro in Genf, PLO-Mission (1971–1975) | |
File reference archive | B.25.60.12 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E-01#1987/78#3555* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)-01/1987/78 624 | |
Dossier title | Besuch von BR Graber in Israel, 11.9.1973: Handakten BR Graber (1973–1975) | |
File reference archive | B.15.21.(1) • Additional component: Israel |
dodis.ch/39251
Notiz des stv. Chefs des politischen Diensts Ost des Politischen Departements, A. R. Hohl1
PALÄSTINENSISCHE VERTRETUNG IN GENF. BESUCH DR. ABOU OMAR
I. Dr. Abou Omar, Mitglied des Revolutionsrates der Fatah, sprach heute beim Unterzeichneten in Begleitung von Herrn Barakat vor. Es handelt sich bei Omar um eine führende Persönlichkeit der palästinensischen Befreiungsbewegung. Er spricht fliessend Englisch und trägt seine Thesen äusserst gewandt in freier Rede vor. Omar ist nicht identisch mit dem seinerzeitigen Verbindungsmann2 des Departements bei den ersten Diskussionen3 betreffend eine «OLP-Vertretung» in Genf. Omar hielt fest, dass er offiziell von der Fatah-Führung (Arafat) beauftragt sei, uns folgendes vorzutragen:
1. Die Fatah-Führung bedauert die Attentate von Kloten4, Würenlingen5 und Zerka6 zutiefst. Sie liefen den politischen Interessen der palästinensischen Befreiungsorganisation, die unsere Neutralität respektiere, direkt zuwider. Nach Ansicht von Omar arbeiten alle Terroristenanschläge im Stile der Attentate von Zerka, Lod, München7 oder Khartoum8 vorab den Israeli in die Hände, ohne den politischen Zielen der Palästinenser zu nützen. Viele seiner Kollegen in der «Fatah» dächten so – aber nicht alle! Die Terroristen kümmerten sich indessen nicht um Politik, zwischenstaatliche und menschliche Beziehungen, die Neutralität eines Landes usw. Sie seien feurige Patrioten, die ihr Leben aufs Spiel setzten und denen deshalb das Leben der andern auch wenig gelte.
2. Die Fatah bewundere unsere echte – das heisst nicht einseitig orientierte – Neutralität. Man sei an ihrer Respektierung interessiert. Sie mache die Schweiz zum attraktiven internationalen Anziehungspunkt. Die Komplimente Omars für eine «Neutralität ohne Schlagseite» dürften z. T. auf den Besuch des Departementschefs in Kairo9 zurückzuführen sein.
3. Omar lobt dann unseren Pragmatismus, der es schliesslich gestattet habe, einen Vertreter der OLP10 mit der Tarnkappe «membre de la Mission du Yémen» in Genf unterzubringen. Das sei ein guter Anfang gewesen. Heute wünsche die Fatah in aller Form ihren Wunsch vorzutragen, ihrem Vertreter einen offiziellen Status11 zu verleihen. Man möchte diese Vertretung alsdann als «Fenster auf Europa» ausbauen, mit anfänglich vielleicht fünf, später mehr Mitarbeitern.
Unser Interesse an der Sache lässt sich in den Augen Omars wie folgt begründen: Wenn die Fatah in der Schweiz etwas «Schützenswertes» besitze – eben eine solche Vetretung – so werde sie Anschläge von Terroristengruppen bei uns zwar nicht unbedingt von Anfang an verhindern, durch Repressionen gegen die Täter aber allmählich die Lokalisierung des Terrors von unserem Lande weglenken können12. Denn die Fatah kenne alle Täter von Terroranschlägen, auch den Bombenleger von Genf (jordanische Mission).
Omar deutet an, wie gross unser Interesse daran, dass sich die Fatah für unsere eigene Sicherheit verwende, sein könnte. Der Tatendrang der Verzweifelten sei nicht einzudämmen. Vorderhand seien Flugzeuge, diplomatische Vertretungen usw. die Opfer. Später seien es vielleicht Öltanker, Pipelines … und die Energieversorgung Europas werde in Frage gestellt13. Die Saudiaraber haben dies nach Omar begriffen. Die Täter von Khartoum hätten mit Racheakten der Saudiaraber gerechnet, die indessen ausblieben. So entfiel ein von den Terroristen gesuchter Vorwand, um die Ölproduktion in Saudiarabien zu gefährden. Omar führte das Beispiel offenbar in der Absicht an, uns zu einem ähnlich emotionslosen Kalkül anzuspornen.
Omar ist sich bewusst, dass eine OLP-Vertretung in der Schweiz auf Gegner stiesse, vielleicht auch von Sprengladungen in die Luft gejagt würde. Aber das wären nur bekannte Kinderkrankheiten solcher Unternehmungen!
Sobald wir dazu bereit seien, beabsichtige die Fatah eine offizielle Delegation zur Aushandlung einer befriedigenden Lösung nach Bern zu entsenden …
4. Omar zitiert noch andere «Realisten», darunter AbbaEban. Dieser habe in einer seiner Schriften erklärt, dass Israel bereit sei, das Gebiet am Westufer des Jordans abzutreten, und eine «arabische Oberhoheit» über einen aus West- und Ostufer gebildeten Gebietsstreifen am Jordan anzuerkennen. Kurz darauf habe König Hussein seinen nach ihm benannten Plan lanciert. Eban habe aber mit der «arabischen Oberhoheit» die Palästinenser gemeint, nicht den jordanischen König. Ausschlaggebend dafür sei dabei für Eban sicher das Interesse gewesen, die gemässigten Palästinenser so weit zu befriedigen, dass sie sich ihrerseits gegen die Extremisten im eigenen Lager wendeten und diese unschädlich machten.
5. Beim Verlassen des Büros bemerkte Omar, ein solches Aussenministerium ohne Polizeischutz und mit einem friedlichen Gemüsemarkt ante portas erträumten sich die Palästinenser.
II. Der Unterzeichnete beschränkte seine Replik auf die Rekapitulierung der Umstände, die seinerzeit eine grosszügigere Lösung für die OLP-Vertretung verhindert hatten. Er ergänzte dies durch Hinweise auf unsere öffentliche Meinung, auf die Stimmung im Parlament usw., von der sich die Politik des Bundesrates nicht einfach loslösen könne. Unser Departement sei an der Weiterführung guter Beziehungen interessiert, für Entscheide in der Zulassungsfrage (Genfer Büro usw.) indessen nicht zuständig.
Das Interesse am Ausbau der Vertretung in der Schweiz dürfte mit der Zerschlagung einer starken Infrastruktur der Palästinenser in der BRD nach dem Münchner Attentat zusammenhängen. Auch die Italiener hatten damals allen Arabern gegenüber eine sehr restriktive Einreisepolitik eingeführt. In Frankreich scheinen die Aktivitäten des dortigen OLP-Vertreters14, der durch ein Attentat im vergangenen Jahr ums Leben kam, ebenfalls auf Schwierigkeiten zu stossen.
- 3
- Vgl. dazu die Notiz von S. Meili vom Januar 1971, dodis.ch/36335; das Telegramm von M. Gelzer an die schweizerischen Botschaften in Tel Aviv und Amman vom 12. August 1971, dodis.ch/39514; die Notiz von S. Meili vom 18. November 1971, dodis.ch/36332; das BR-Prot. Nr. 284 vom 16. Februar 1972, dodis.ch/36321 und die Notiz von A. R. Hohl vom 1. Juni 1972, dodis.ch/36291.↩
- 4
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 130, dodis.ch/33710; Dok. 173, dodis.ch/33275 und Dok. 177, dodis.ch/33291.↩
- 5
- Vgl. dazu DDS, Bd. 25, Dok. 8, dodis.ch/35440; Dok. 11, dodis.ch/35442 und Dok. 12, dodis.ch/35468.↩
- 6
- Vgl. dazu DDS, Bd. 25, Dok. 37, dodis.ch/35415; Dok. 39, dodis.ch/35419 und Dok. 45, dodis.ch/35434.↩
- 7
- Vgl. dazu DDS, Bd. 25, Dok. 163, dodis.ch/35767, Anm. 5.↩
- 8
- Zum Attentat auf Vertreter des diplomatischen Corps in Khartum vom 1. März 1973 vgl. die Politischen Berichte Nr. 2 und 3 von H. Béglé vom 8. März 1973, dodis.ch/38292 und vom 9. März 1973, dodis.ch/38293.↩
- 9
- Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 14, dodis.ch/39250.↩
- 10
- D. Barakat.↩
- 11
- Vgl. dazu die Notiz von H. Hoffmann vom 30. April 1975, dodis.ch/39525 und das BR-Prot. vom 25. Juni 1975, dodis.ch/39528.↩
- 12
- Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 187, dodis.ch/38640. Für eine gegenteilige Ermahnung des Politischen Departements durch die PLO vgl. die Notiz von A. R. Hohl vom 7. März 1973, dodis.ch/38644. Zur Frage der Bekämpfung des Terrorismus vgl. DDS, Bd. 26, Dok. 78, dodis.ch/39501.↩
- 13
- Zur Ölkrise vgl. DDS, Bd. 26, Dok. 49, dodis.ch/39686, Anm. 4.↩
- 14
- M. Hamshari.↩
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Terrorism Near and Middle East Representation of the PLO in Switzerland (1975–)