San Francisco-Konferenz. Beziehungen Schweiz-UdSSR. Vereinte Nationen: Genf als Sitz. Neutralität.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 16, doc. 15
volume linkZürich/Locarno/Genève 1997
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2801#1967/77#93* | |
Old classification | CH-BAR E 2801(-)1967/77 4 | |
Dossier title | Weltfriedensorganisation (1945–1945) | |
File reference archive | 06 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001-04#1000/124#90* | |
Old classification | CH-BAR E 2001-04(-)1000/124 4 | |
Dossier title | Généralités (1945–1945) | |
File reference archive | F.14.40 |
dodis.ch/132
MEMORANDUM FÜR HERRN MINISTER BRUGGMANN
Ich benützte meinen Aufenthalt in San Franciscovom 26. Mai bis 3. Juni, mit möglichst vielen meiner Freunde an der Sicherheitskonferenz der Vereinigten Nationen Fühlung zu nehmen, um deren Auffassung über den Gang der Konferenz kennen zu lernen. Von den Leuten aus dem Staatsdepartement sah ich unter anderen Mr. Hickerson, Mr. Achilles, Mr. H. Cumming, Mr. Thompson, Mr. Wallner, Mr. Kotschnig, Mr. Morin, Professor Quincy-Wright. Mr. Sandifer und Mr. Gerig erreichte ich nur über das Telephon. Meine Freunde baten mich auch, an einem Cocktail der amerikanischen Delegation teilzunehmen, wo ich natürlich noch viele andere Bekannte traf.
Bei den Franzosen sah ich besonders meinen alten Freund Guérin de Beaumont, französischer Generalkonsul in New York.
Im Verlaufe verschiedener Gespräche, die ich speziell mit Llewellyn E. Thompson und Mr. Wallner hatte, wurden auch Fragen schweizerischen Belanges berührt. Ich halte die Meinungsäusserungen meiner Vertrauensleute von genügendem Interesse, um sie hier schriftlich niederzulegen.
Schweizerisch – russische Beziehungen.
Llewellyn Thompson, der die Schweiz gut kennt (er war während mehreren Jahren auf dem amerikanischen Konsulat in Genf) und der erst vor einigen Monaten nach 4-jährigem Aufenthalt in Moskau ins Staatsdepartement zurückkehrte, gab mir offen zu verstehen, dass nach seiner Auffassung – und ich bin überzeugt, dass er die Auffassung anderer Experten über Russland im Staatsdepartement wiedergibt – schweizerischerseits bei der Anbahnung der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Russland Fehler gemacht worden seien3. Ohne mir Namen zu nennen, erklärte Thompson, dass zweifellos die vom Bundesrat beauftragten schweizerischen Persönlichkeiten4, die letztes Jahr in London die Aufnahme der Beziehungen mit Russland hätten in die Wege leiten sollen, den Russen nicht genehm gewesen seien. So wie er die russischen Verhältnisse kenne, würden die Russen negativ reagieren, sobald sie von den schweizerischen Unterhändlern den Eindruck der Russenfeindlichkeit gewonnen hätten. Der russische Informationsdienst sei ein ausgezeichneter. Es genüge, dass die schweizerischen Vertrauensleute früher oder in London sich unvorsichtigerweise abschätzig oder feindlich gegen-über Sowjetrussland geäussert hätten, oder dass sie in notorisch russen-feindlichen Kreisen verkehrten, um sie in den Augen der Russen zu «erledigen».
Für die negative Einstellung der Russen mögen, nach Auffassung Thompsons, abgesehen von einem Ressentiment wegen der Haltung, die die schweizerische Delegation seinerzeit in Genf bei der Aufnahme Russlands in den Völkerbund eingenommen habe5, noch andere Elemente mitspielen. Thompson erwähnte z. B. die angeblich schlechte Behandlung von russischen Internierten6.
Er fragte mich, ob es stimme, dass der Sohn Stalins in der Schweiz interniert sei, wie die Presse gemeldet habe? Es sei möglich, dass gewisse Informationen über seine Behandlung oder Nichtfreilassung etc. Stalin verärgert haben.
Sodann soll angeblich (die Genauigkeit dieses Berichtes konnte Thompson jedoch nicht überprüfen) ein aide-de-camp von Stalin am Anfang des deutschrussischen Krieges von den Deutschen gefangen genommen worden sein und sich nachher in die Schweiz geflüchtet haben. Dort sei er wegen seiner Tätigkeit zugunsten Russlands von der schweizerischen Polizei verhaftet und nicht gut behandelt worden sein. Mit Hilfe der Untergrundbewegung sei dieser Russe später durch ein Nachbarland aus der Schweiz nach Russland entkommen. Es sei möglich, dass ein derartiger Vorfall bei Entscheiden Stalins eine Rolle spiele. Thompson fragte mich, ob ich diesen Fall kenne, was ich verneinte.
Mr. Wallnererwähnte in verschiedenen Gesprächen ebenfalls die Behandlung der Russen in der Schweiz. Das Staatsdepartement scheint durch die Gesandtschaft in Bern über bestehende Schwierigkeiten und die russischen Vorwürfe gegen die Schweizerische Regierung auf dem Laufenden gehalten zu werden. Er glaubt, dass die Berichte, welche Moskau über die Behandlung ihrer Staatsangehörigen zugehen, die Russen verbittert haben. Mr. Wallner möchte wissen, wie weit die Anschuldigungen stimmen. Ich verneinte kategorisch, dass den Russen eine schlechtere Behandlung zuteil werde, als den Internierten anderer Nationen. Es handle sich wahrscheinlich um disziplinarische Fälle, wenn Russen konsigniert oder bestraft worden seien. Übrigens seien ja auch bei den amerikanischen Internierten hin und wieder Klagen laut geworden, die jedoch unbegründet waren7.
Bei späterer Gelegenheit bestätigte mir jedoch Herr Imhoof, Korrespondent der NZZ, dass bei der Behandlung der Russen in der Schweiz nicht alles klappe, und dass grobe Fehler gemacht worden seien. Die Russen sollen tatsächlich schlechter behandelt werden, als Angehörige anderer Nationen. Anfänglich habe man die Russen an der deutsch-schweizerischen Grenze überhaupt zurückgewiesen, oder den Deutschen wieder ausgeliefert, bis schliesslich Stadtpräsident Bringolf von Schaffhausen interveniert sei. Man hätte die Russen dann in die Schweiz hereingelassen, aber sie anfänglich wie Gefangene oder Häftlinge behandelt. Die Unterkunft der Russen sei schlechter gewesen, als die anderer Internierter. Die Überwachung sei oft von ganz unzuverlässigen Elementen besorgt worden, die kein Verständnis für die Flüchtlinge aufgebracht hätten. Der jetzige Minister, Dr. Zellweger, hätte unzählige administrative Beschwerden gegen die Bewachungsorgane zugunsten der Russen führen müssen, bis die Zustände einigermassen besser geworden seien.
Was die Beziehungen Russlands zu den Westmächten anbetrifft, berichten Wallner und Thompson, dass tatsächlich zwischen den USA und der Sowjetunion gewisse Meinungsverschiedenheiten beständen. Die Russen seien von einer grossen Furcht besessen, von den Westmächten isoliert zu werden. Umgekehrt seien die Amerikaner über die Methoden der Russen, gewisse Konzessionen zu erhalten, ziemlich aufgebracht. In vielen Fällen wären die Amerikaner durchaus bereit, den Russen weitgehend in ihren Forderungen entgegenzukommen, wenn sie nur gewillt wären, die Probleme am Verhandlungstisch zu besprechen. Das eigenmächtige Vorgehen und die Methoden der «faits accomplis» dagegen beunruhigen das Staatsdepartement in hohem Grade.
Die Einstellung Russlands zu der neuen Weltorganisation sei jedoch eine positive, d. h. Russland habe an der Konferenz immer Zeugnis vom Willen zur Mitarbeit und der Mitverantwortung abgelegt. Die russische Delegation hätte sich allerdings nach Weisung Moskaus in den meisten Fragen unnachgiebig gezeigt, wo die Konferenz von den Dumbarton Oaks Vorschlägen und den Yalta-Beschlüssen abweichen wollte. Moskau habe aber schliesslich im Interesse des Erfolges der Konferenz und dem Zustandekommen einer Sicherheitsorganisation immer wieder nachgegeben. Thompson glaubt, dass Russland unter allen Umständen eine neue Isolierung vermeiden möchte und lieber in einer, vielleicht die russischen Absichten nicht ganz befriedigenden Organisation, bleiben will, als sich ausserhalb der Sicherheitsorganisation zu stellen.
Diskussion um Genf als Sitz der neuen Sicherheitsorganisation.
Verschiedene meiner Freunde im Staatsdepartement ersuchten mich um Aufklärung darüber, ob es stimme, dass sich die Schweizerische Regierung beim Sekretariat der UNCIO8 dafür bemühe, den Sitz der neuen Organisation nach Genf zu bekommen. Ich erklärte, dass ich nichts von einer derartigen Demarche wisse und dass, wenn eine solche gemacht worden sei, die Gesandtschaft damit nichts zu tun hätte.
Mr. Wallner und andere erklären, dass der Präsident des Genfer Staatsrates, M. Perréard, dem Präsidenten des Internationalen Gerichtshofes Guerrero, zuhanden des Generalsekretariates der Konferenz einen Brief9 mitgegeben habe, worin dieser die Vorteile Genfs als Sitz der neuen Organisation niederlegte. Der Brief, der angeblich offiziellen Charakter hätte, sei von Guerrero einem Mitglied der amerikanischen Delegation (entweder Herrn Sandifer oder Herrn Gerig) übergeben worden. Sie hätten ihn dann einfach an das Sekretariat weitergeleitet.
Der Vorschlag der Neutralisierung der Völkerbundesgebäude in Genf und eines Teils des Pays de Gex scheint, soviel ich feststellen konnte, in San Francisco nicht grosse Begeisterung hervorgerufen zu haben. Die Franzosen stehen dem Plane eher kalt und gleichgültig gegenüber.
Nach Erklärung Thompsons komme Genf als Sitz der neuen Organisation nicht in Frage, da die Russen glattweg ablehnen, nach Genf zurückzukehren. Über den Sitz des zukünftigen Sekretariats sei nichts beschlossen worden. Der Rat der neuen Organisation werde zunächst einmal für einige Jahre seine Sitzungen an verschiedenen Orten abhalten, bis man sich schliesslich auf einen permanenten Sitz einigen könne. Thompson meint, dass die Schweiz sich nicht allzu sehr um den politischen Sitz der neuen Organisation streiten sollte, da die nächsten Jahre für die Organisation ziemlich schwierige sein werden.
Die Erklärungen Guérin de Beaumont, Mitglied der französischen Delegation, über die Diskussionen im Komitee «Charter and Principals» über den französischen Antrag der Unvereinbar[keits]erklärung der Neutralität mit der neuen Organisation sind in meinem Schreiben aus San Francisco vom 9. Juni 1945 niedergelegt. Ich schrieb damals folgendes:
«Ich machte de Beaumont auf die Reaktion aufmerksam, die dieser französische Antrag in der Presse in der Schweiz auslöste, und zeigte ihm die mir am 25. Mai durch Herrn Nordmann zugestellte Meldung des «Intelligence Broadcast»10, der sich speziell auf die «Tribunede Genève» bezog. Darnach soll, wie Sie wissen, dieser Antrag in schweizerischen offiziellen Kreisen nicht überrascht, jedoch einen peinlichen Eindruck gemacht haben, weil er von unserem Nachbarland Frankreich an der Konferenz vorgebracht worden sei. Die «Tribunede Genève» berichtete irrtümlich von dem Ausschluss der Schweiz von der neuen Organisation. Der Zufall wollte es, dass Guérin de Beaumont selbst der Referent des französischen Antrages in seinem Komitee war und mir deshalb authentisch mitteilen konnte, was dort vor sich ging. Er versicherte mir, dass der Antrag in keiner Weise gegen die Schweiz gerichtet gewesen sei. Wohl sei die Schweiz, als das einzige traditionell neutrale Land, in den Beratungen des Komitees erwähnt worden, er habe bei der Vorbringung des französischen Antrages aber ausdrücklich betont, dass es sich hier um eine prinzipielle Frage handle und er die Schweiz in keiner Weise im Auge habe. Im Gegenteil habe er sich in sehr anerkennender Weise über unser Land geäussert. Nachdem der französische Zusatzantrag von ihm begründet worden sei, habe er in Übereinstimmung mit der französischen Delegation dem Komitee empfohlen, davon Kenntnis zu nehmen, den Antrag über die Ausschliessung der Neutralen jedoch nicht zur Abstimmung zu bringen. Der französischen Delegation sei es lediglich darum zu tun gewesen, dass ihr «amendment» im Protokoll der Konferenz erwähnt werde. Das Komitee habe dann einstimmig beschlossen, von einer Abstimmung über den Antrag abzusehen. Laut Guérin de Beaumont wäre der Antrag sehr wahrscheinlich, wenn Frankreich darauf bestanden hätte, von der Mehrheit des Komitees angenommen und die Unvereinbarkeit der Neutralität mit der neuen Organisation im Charter erwähnt worden. Streng vertraulich teilte er mir mit, dass verschiedene südamerikanische Staaten, die sich heute sehr international gebärden wollen, sowie Belgien und sehr wahrscheinlich Holland und einige andere dem Antrag zugestimmt hätten. Dagegen sei es absolut unrichtig, dass – wie gewisse Zeitungen (NewYork Herald Tribune) berichtet haben – Frankreich auf Antrieb der Russen gehandelt hätte. Im Gegenteil hätte Russland dem französischen Antrag nicht zugestimmt. Der russische Vertreter hätte sogar besonderes Vergnügen gezeigt, als der französische Delegierte den Antrag nicht zur Abstimmung vorbringen wollte. Damit wollte Russland allerdings nicht etwa der Schweiz gegenüber Wohlwollen zeigen, sondern die russische Ablehnung sei dadurch zu erklären, dass die Russen zu nichts zuzustimmen berechtigt seien, was nicht bereits in den «Dumbarton Oaks»-Vorschlägen niedergelegt ist. Der russische Vertreter hätte zunächst wieder Moskau um Stellungnahme ersuchen müssen.
Der in gewissen Kreisen entstandene Eindruck, dass Frankreich den Antrag gegen die Schweiz gerichtet hätte, war de Beaumont höchstpeinlich. Er war sofort bereit, mit Mr. J. Paul-Boncour zu besprechen, wie dieses Missverständnis wieder gutgemacht werden könnte. Ich schlug ihm vor, dass Paul-Boncour unsere Schweizerjournalisten empfangen sollte, um ihnen gegenüber eine beruhigende Erklärung abzugeben. Dies geschah dann auch sofort. Herr Bosshard und Herr Imhoof kabelten entsprechend an ihre Zeitung. Am folgenden Tage traf ich dann auch den französischen Finanz- und Volkswirtschaftsminister René Pleven, der sich mir gegenüber gewissermassen entschuldigte, dass ein derartiges Missverständnis in der Presse aufkam. Er erklärte mir, dass Frankreich gegenüber unserem Lande, dem es besonders während des Krieges sehr viel zu verdanken gehabt habe, die herzlichsten Gefühle hege.»
- 2
- (Kopie): E 2801/1967/77/4.↩
- 3
- Zum misslungenen Versuch, die diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion aufzunehmen vgl. DDS, Bd. 15, Thematisches Verzeichnis: II.24.2 Union Soviétique – Reprise des relations diplomatiques.↩
- 4
- Es handelt sich um C. Rezzonico und P. Ruegger.↩
- 5
- Zur Stellung der Schweiz zur Aufnahme der Sowjetunion im Völkerbund vgl. DDS, Bd. 11, Thematisches Verzeichnis: I.2. La Suisse et l’admission de l’Union soviétique à la SdN.↩
- 6
- Vgl. DDS, Bd. 16, Dok. 51, dodis.ch/53 und DDS, Bd. 15, Thematisches Verzeichnis: II.24.3. Union soviétique – Internés soviétiques. Siehe zudem E 2001 (E) 1/101.↩
- 7
- Zur Behandlung amerikanischer Internierten siehe E 2001 (D) 3/315.↩
- 8
- Die United Nations Conference on International Organisation (UNCIO) fand in San Francisco vom 25. April bis zum 26. Juni 1945 statt.↩
- 9
- Dem Brief von F. Perréard an J. G. Guerrero war eine Note sur la possibilité d’exterritorialiser les propriétés sur lesquelles se trouvent la SdN et le BIT beigelegt. Vgl. E 2001 (D) 8/7.↩
- 10
- Nicht ermittelt.↩
Relations to other documents
http://dodis.ch/315 | is the completion to | http://dodis.ch/132 |
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Russia (Politics) Neutrality policy League of Nations Geneva's international role Questions relating to the seat of international organisations