Pinochets Putsch. Das gewaltsame Ende der «vía chilena al socialismo»

Chile befand sich seit den späten 1960er Jahren in einem angespannten Demokratisierungsprozess, wie auch aus der Berichterstattung des Schweizer Botschafters in Santiago hervorgeht (dodis.ch/33920). Am 4. September 1970 gewann Salvador Allende die Volkswahlen und wurde am 24. Oktober als Präsident bestätigt. Nach Ansicht des Botschafters verdankte der Kandidat seinen Sieg einem «schmutzigen Geschäft» unter den linken Parteien (dodis.ch/66500). 

Das Experiment Allende

Während der beinahe dreijährigen Präsidentschaft Allendes, des ersten demokratisch gewählten Präsidenten mit einem marxistisch inspirierten Programm, versuchte Chile einen «neuen Weg zum Sozialismus» aufzuzeigen. Dies erfolgte durch die zunehmende Chilenisierung der Wirtschaft. Ausländischen Grossunternehmen drohte die Verstaatlichung. Auch für Nestlé bestand gemäss Einschätzungen in Bern «ein real bestehendes Risiko» (dodis.ch/36557).

Strenge Gläubiger 

Durch den Druck der internationalen Gläubiger, seine Schulden gegenüber dem Ausland zu begleichen, befand sich Chile bald «in grössten Schwierigkeiten» (dodis.ch/36452). Aus Schweizer Sicht war es die linksgeführte Politik, die das Land in seine katastrophale Lage gestürzt hatte. Folglich schloss sich die Schweiz im Pariser Klub «wesentlich beeinflusst durch die Hauptgläubigerländer USA, Bundesrepublik Deutschland und Grossbritannien» dem Beschluss an, der vorsah, die Umschuldung mit einer rigiden Sparkur zu paaren (dodis.ch/36548).

Strategie der Spannung 

Während ein Teil der Bevölkerung bedeutende soziale Fortschritte verzeichnen konnte, erlebte die chilenische Wirtschaftselite dagegen einen enormen Machtverlust. Die Gewalteskalation – teilweise unterstützt von der CIA – führte zu extremen Spannungen im Land. Die «Konvulsionen, unter denen die chilenische Hauptstadt gelitten hatte», manifestierten sich am 29. Juni 1973 in einem ersten Umsturzversuch (dodis.ch/66949). 

Der Putsch vom 11. September 

Als Reaktion auf diese Entwicklungen rief die Regierung den Notstand aus. Ab diesem Zeitpunkt spitzte sich die Lage immer weiter zu. Am 11. September 1973 erklärte eine von Augusto Pinochet angeführte Gruppe von Generälen, dass sie die Kontrolle über das Land übernehmen würden, um einen Bürgerkrieg zu verhindern. Dem Staatsstreich, der Allendes Selbstmord zur Folge hatte, folgten bald grausame Repressionen gegen weite Teile der Bevölkerung (dodis.ch/38247). Der Bundesrat lehnte dennoch jegliche Verurteilungen des Putschs mit der Begründung ab, dass «die Schweiz keine Regierungen, sondern nur Staaten anerkennt» (dodis.ch/66950). 

Botschafter Masset 

Wie aus der Feder des schweizerischen Aussenministers, Bundesrat Pierre Graber, zu entnehmen ist, erreichte die feindselige Haltung des Schweizer Botschafters in Santiago, Charles Masset, gegenüber der Regierung Allende ihren Höhepunkt in dessen Berichterstattung über den Putsch (dodis.ch/38247). Geblendet vom eigenen Antikommunismus, blieb der Botschafter in dieser Zeit eine zentrale und zugleich problematische Figur in den chilenisch-schweizerischen Beziehungen. Er sah sich mit einem «Fortschreiten des revolutionären Prozesses, der auf eine marxistische Diktatur abzielt», konfrontiert und diskreditierte die chilenische Politik in jedem seiner Berichte an Bern (dodis.ch/38246).

Ein Volk im Exil

Entgegen den Beteuerungen der Generäle blieb die Junta nach dem Umsturz an der Macht. Die systematische Repression jeglichen Widerstands gegen die Militärdiktatur erzeugte einen Massenexodus der chilenischen Bevölkerung. Um sein bescheidenes humanitäres Engagement für diejenigen Chileninnen und Chilenen zu rechtfertigen, die sich in die schweizerische Botschaft geflüchtet hatten, führte Masset aus, dass «die Anwesenheit von Asylsuchenden das Leben des Missionschefs und mehr noch dasjenige seiner Frau erschwert» hätten (dodis.ch/38252). In der Schweiz mobilisierten währenddessen NGOs, die Zivilgesellschaft sowie Persönlichkeiten wie der Schriftsteller Max Frisch für die Aufnahme der chilenischen Geflüchteten (dodis.ch/C2560). 

Ausländische Interessen 

General Pinochets Junta war auf internationaler Ebene mit weniger Hürden konfrontiert als seinerzeit die Regierung Allende. Auch die Haltung der Schweiz folgte diesem Trend und gewährte Chile günstigere Umschuldungsbedingungen (dodis.ch/38276). Ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre erlebten die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen einen regelrechten Boom, der bis zum Ende der Diktatur anhielt – denn es boten sich, wie die schweizerische Botschaft schrieb, «hervorragende Investitionsmöglichkeiten» (dodis.ch/51266).

Mehr zum Putsch in Chile: dodis.ch/C2544
Mehr zur Frage der chilenischen Flüchtlinge: dodis.ch/C2560