Wiederaufnahme der Beziehungen zum Vatikan

«Im Sinne einer Optimierung der schweizerischen Interessenvertretung gegenüber dem Vatikan schlagen wir Ihnen vor, befristet bis 1992 einen Botschafter in Sondermission beim Heiligen Stuhl zu ernennen und dem Chef der Politischen Abteilung I den Titel eines Sonderbotschafters zu übertragen» (dodis.ch/57567).

«Dieser einfach formulierte Antrag des EDA, welchem der Bundesrat vor genau 30 Jahren, am 30. Oktober 1991, zustimmte, markiert eine durchaus epochale Veränderung in den diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Vatikan», sagt der Direktor der Forschungsstelle Dodis, Sacha Zala. «Zum ersten Mal ernannte die Schweiz einen diplomatischen Vertreter gegenüber dem Heiligen Stuhl.» Vorangegangen war diesem Schritt eine lange und zeitweise belastete Beziehungsgeschichte.

Vom Vorreiter zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen

Bereits 1586 wurde in Luzern die ständige Nuntiatur, die diplomatische Vertretung des Vatikans, errichtet. Damit war der apostolische Nuntius – nach dem französischen Ambassador, der bereits seit 1522 in Solothurn residierte – der zweite diplomatische Vertreter überhaupt in der Schweiz. Ausser dem fünfjährigen Unterbruch während der Helvetischen Republik blieb diese Form der diplomatischen Beziehungen in ihren Grundzügen konsistent.

Doch als im Zuge des Kulturkampfes der apostolische Vikar von Genf ausgewiesen wurde und Papst Pius IX. die Schweiz in seiner Enzyklika vom November 1873 scharf kritisierte, sah der Bundesrat ein, dass, nachdem «der Papst in auffälligster Weise gegen die schweizerischen Behörden und ihre Entschliessungen schwere und wiederholte Anklagen ausgesprochen hat, […] eine ständige diplomatische Vertretung des heiligen Stuhles in der Schweiz nutzlos geworden ist.» Er beschloss deshalb im Dezember 1873, die Beziehungen abzubrechen. (dodis.ch/42009)  

Die Wiederaufnahme der einseitigen Beziehungen

Beinahe ein halbes Jahrhundert unterhielt die Schweiz keine offiziellen Beziehungen zum Vatikan. Erst mit dem Ersten Weltkrieg fanden sich die neutrale Schweiz und der Kirchenstaat in humanitären Fragen zusammen. Mit der aus dieser Interessenkonvergenz resultierenden Zusammenarbeit bei der Internierung kranker und verwundeter Kriegsgefangener (dodis.ch/43395), näherten sich die beiden Parteien auch politisch wieder an.

So beschloss der Bundesrat im Juni 1920 die diplomatischen Beziehungen wieder aufzunehmen, jedoch unter der «ausdrücklichen Bedingung, dass die Schweiz, da sie in der Vergangenheit keine Reziprozität praktiziert habe, diese auch in Zukunft nicht praktizieren könne» (dodis.ch/44597 und dodis.ch/44567). Ausserdem mahnte der Bundesrat den päpstlichen Gesandten, «dass er ein etwas schwieriges Terrain betrete und gut tun werde, keine Politik des Eingreifens in unsere innern Angelegenheiten zu treiben und durch grosse Zurückhaltung alles zu vermeiden, was zu Misshelligkeiten zwischen Katholiken und Protestanten oder unter den Katholiken selbst Anlass geben könnte» (dodis.ch/44598).

Eine Annäherung an zweiseitige Beziehungen

Der Vatikan ist also seit 1920 wieder mit einem apostolischen Nuntius in der Schweiz offiziell vertreten. An der Einseitigkeit in den Beziehungen wurde auch nach dem Zweiten Weltkrieg streng festgehalten aus Angst «in einigen Gebieten unseres Landes konfessionelle Kämpfe zu provozieren» (dodis.ch/6680 und dodis.ch/6681). Erst 1963 zeichnete sich ein Meinungsumschwung ab (dodis.ch/18831). Für die Landesregierung war jedoch eine Totalrevision der Bundesverfassung und damit einhergehend die Beseitigung der konfessionellen Ausnahmeartikel (Jesuitenverbot) prioritär, weshalb bis zur Akkreditierung eines diplomatischen Vertreters beim Heiligen Stuhl «noch geraume Zeit vergehen wird», wie Bundesrat Willy Spühler 1968 vor der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats versicherte (dodis.ch/32151).

Normalisierung der Beziehungen

Spühlers Prognose erwies sich als richtig. Es sollte in der Tat bis 1987 dauern, bis der Bundesrat zum ersten Mal als Gremium eine «etappenweise Normalisierung» der Beziehungen in Erwägung zog (dodis.ch/57616). Dabei gab bereits die Begrifflichkeit Anlass zu Unstimmigkeiten. So beschwerte sich der Nuntius 1988 darüber, «dass immer wieder von der ‹Normalisierung› der Beziehungen gesprochen wird», dabei bestünden durchaus «normale diplomatische Beziehungen, die allerdings durch die Errichtung einer schweizerischen Botschaft ‹perfektionniert› werden könnten» (dodis.ch/58648). Dies hinderte den Nuntius jedoch nicht daran, zwei Jahre später den einseitigen Charakter der Beziehungen als «absurd und überholt» zu bezeichnen (dodis.ch/58647).

Der entscheidende Schub löste schliesslich anfangs der 1990er Jahre die «Affäre Haas» aus. Die Zwistigkeiten um die Ernennung des umstrittenen erzkonservativen Wolfgang Haas zum Bischof von Chur zeigte deutlich die Folgen auf, wenn «die schweizerische Wirklichkeit nur in der Perzeption des Nuntius nach Rom gemeldet wird» (dodis.ch/57567). Das EDA prüfte eingehend verschiedene Varianten (dodis.ch/56234) und unterbreitete schliesslich dem Bundesrat den Antrag, einen seiner Chefbeamten, den Reformierten Jenö Staehelin, zum befristeten Botschafter in Sondermission zu ernennen (dodis.ch/57567).

Im Jahr 2004 beschloss der Bundesrat eine Anpassung, indem neu ein Schweizer Botschafter im Ausland bei der Kurie seitenakkreditiert wurde und am 1. Oktober 2021 – knapp 31 Jahre nach der erstmaligen Ernennung eines Botschafters in Sondermission – beschloss der Bundesrat die Errichtung einer Schweizer Botschaft beim Heiligen Stuhl. «Die historische Belastung aus dem Konflikt zwischen liberalem Bundesstaat und Ultramontanismus wirkt insofern nach, als dass die diplomatischen Beziehungen bis heute nicht unumstritten und von steter Vorsicht geprägt sind», resümiert Dodis-Direktor Sacha Zala.