dodis.ch/56245Der schweizerische Botschafter in Teheran, Greber, an das EDA1

Wiedereinführung der Visumspflicht für offizielle iranische Pässe

Dringend und vertraulich

a) Vorladung aufs Aussenministerium (24. Dez.)

Ich wurde auf den 24. Dez. von Generaldirektor Assefi (A.) ins AM gebeten. Er erkundigte sich, ob sich in der oben erwähnten Angelegenheit etwas Neues ergeben habe. Ich verneinte die Frage und wies darauf hin, dass es sich um einen Entscheid der Regierung2 handle, der nach so kurzer Zeit wohl kaum geändert werden könne.3

A[ssefi] führte weiter aus: Diese Angelegenheit trübt die Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Das Wichtige dabei sind nicht die Visa. Viele europäische Länder haben eine entsprechende Visapflicht. Das Problem ist dies: Der Entscheid bedeutet, dass die islamische Republik Iran mit dem Mordfall Radjavi4 zu tun gehabt hat. Ihr Ansehen wird dadurch betroffen. Es liegt jedoch kein Gerichtsurteil vor. Vor einem Entscheid des Bundesrates hätte mit Teheran gesprochen werden müssen. Die iranische Regierung weiss nicht, wer der Mörder war, sie ist interessiert zu wissen, wer es war.

Die schweizerischen Untersuchungen beziehen sich auf Dienstpässe. In den Entscheid wurden jedoch auch die Diplomatenpässe eingeschlossen. Warum diese Verallgemeinerung? Auch falls Missbrauch von Dienstpässen, bräuchte es nicht sofort einen solchen Entscheid.

Die iranische Regierung ersucht um eine Verschiebung der Inkraftsetzung des Entscheides, damit die Angelegenheit zwischen den beiden Seiten besprochen und geprüft werden kann, ob es einen anderen Weg gibt, das Problem zu lösen. Iran hat dazu Vorschläge. Es strebt an, eine zweiseitige Erklärung abzugeben. Ein Aufschiebungsentscheid müsste nicht publiziert werden.

Teheran ist bereit, dem Rechtshilfegesuch im Fall Radjavi zuhanden der schweizerischen Regierung Folge zu geben. Es hat jedoch eine Schwierigkeit: Es will nicht, dass seine Antwort den Modjaheddin oder Freunden von diesen zur Verfügung gestellt wird. Es handelt sich bei ihnen um eine terroristische Gruppe, die schon viele getötet hat. Sie haben wahrscheinlich selber Radjavi getötet. Die iranische Regierung möchte daher eine entsprechende Zusicherung der Schweiz.

b) Telefonanruf Assefi’s am 25. Dez.

Anfangs Nachmittag rief mich Assefi an. Eingangs erklärte er, da Weihnachten sei und sehr viel Neuschnee gefallen sei, verzichte er, mich entsprechend seinen Instruktionen nochmals ins AM zu bitten. Er teile mir daher telefonisch Folgendes mit: Auf höchster Ebene («high ranking leadership») ist man über die Visa-Angelegenheit tief besorgt («concern»). Wenn diese nicht befriedigend gelöst werden kann, wird dies negative Wirkungen auf allen Gebieten in unseren bilateralen Beziehungen haben. Er bat mich, sofort nach meiner Rückkehr (6. ev. 8. Januar) mit ihm Kontakt aufzunehmen.

A[ssefi] äusserte sich nicht, welche Autorität hier gemeint ist. Nach der Formulierung muss sie höher sein als der Aussenminister. Es kann die höchste Autorität, der Revolutionsführer (Khamenei), gemeint sein. Für ihn wird gewöhnlich der Ausdruck «leader» verwendet. Auch der Präsident (Rafsanjani) käme in Frage.

c) Beurteilung

Die Ausführungen A[ssefi]’s zeigen deutlich, dass hier nicht so sehr die Visa-Frage im Vordergrund steht, sondern die in den Augen Teheran’s präjudizierende Verknüpfung mit dem Mordfall Radjavi und deren Konsequenzen für das internationale Ansehen Irans. M. E. misst die hiesige Regierung dieser Angelegenheit grosse Bedeutung bei. Falls sie mit der Schweiz keine befriedigende Lösung erreicht, ist mit einer schwerwiegenden Störung der bilateralen Beziehungen zu rechnen. Davon muss unser Mandat IranUSA5 nicht notwendigerweise betroffen werden, obwohl nicht zu vermeiden sein wird, dass auch dieses in Mitleidenschaft gezogen wird.

Nach meiner Übersicht der Dinge könnte die iranische Regierung auf folgende Punkte einwirken:

  • 1. Swissair strebt schon seit einiger Zeit einen zweiten Flug nach Teheran an. Im Moment sieht es so aus, dass sie diese Bewilligung für April 1991 erhält. Für entsprechende Verhandlungen wird sich eine Delegation Ende Januar hierher begeben. Iran könnte diesen zweiten Flug ablehnen.6
  • Iran hat zur Zeit das Präsidium der G-24 im IMF inne. Es ist Mitglied des Komitees, das sich mit dem Beitrittsgesuch der Schweiz befasst.7 Welche Wirkungsmöglichkeiten Teheran in diesem Rahmen hätte, müsste bei den zuständigen Stellen abgeklärt werden.
  • 3. Die Handelsbilanz zwischen den beiden Ländern weist einen hohen Überschuss zugunsten der Schweiz aus. Teheran könnte die Ausfuhren schweizerischer Firmen stark behindern oder ausschalten.8
  • 4. Teheran könnte überdies den Reiseverkehr mit normalen sowie mit Diplomatenpässen erschweren.
  • 5. Schwierigkeiten können uns auch aus der Angelegenheit Jamali9 entstehen, nachdem dieser in die Hände der Polizei fiel. Einer mündlichen Befragung des Kanzleichefs10 im Aussenministerium11 folgte nun auch eine diplomatische Note,12 die Auskunft verlangt.

d) Lösungsmöglichkeiten

Sofern der Bundesrat auf eine Wiedererwägung eingehen will, möchte ich dazu Folgendes bemerken: Aus den Ausführungen A[ssefi]’s kann man schliessen, dass Teheran wahrscheinlich mit der Befreiung der Diplomatenpässe beruhigt werden könnte. Für diese könnte ev. verlangt werden, dass uns gemeldet wird, welche Diplomatenpässe zur Einreise in die Schweiz vorgesehen sind. Damit übernähme das Aussenministerium praktisch die gleiche Verantwortung, wie wenn es uns mit einer diplomatischen Note um Visaerteilungen ersucht. Sicherheitsmässig wäre wohl kaum ein Unterschied, da wir ja im Falle von Visagesuchen mit diplomatischen Noten auch nicht mehr prüfen können. Um den administrativen Aufwand in der Schweiz in Grenzen zu halten, könnten allenfalls bestimmte Grenzübergange vorgesehen werden (z. B. Genf, Zürich, Basel). Die Begründung gegenüber Iran könnte die sein, dass dadurch uns und ihnen ermöglicht wird, allfällige Missbräuche zu entdecken.

Eine Aufschiebung der Inkraftsetzung hätte folgende Vorteile:

  • – Entschärft die Lage und gibt die Möglichkeit zum Gespräch, das Teheran verlangt.
  • – Würde ev. gestatten, in der Zwischenzeit unsere IMF-Beitrittsfrage zu lösen.13
  • – V. a. würde es uns die Möglichkeit geben, zu sehen, was Teheran aus dem Rechtshilfegesuch im Falle Rajavi macht. Es stände unter diesen Umständen mehr unter Druck zur Kooperation.

e) Dringlichkeit

Die iranische Regierung erwartet eine Reaktion unsererseits im Zeitpunkt meiner Rückkehr nach Teheran (6., ev. 8.1.91), was jedoch nicht heisst, dass die Antwort über mich erfolgen muss. Ich werde ab 28.12. in Fribourg (Tel. 037/24 97 37) erreichbar sein. Selbstverständlich halte ich mich für eine Besprechung zur Verfügung.

1
CH-BAR#E2010A#1999/250#4556* (B.15.21). Das Fernschreiben Nr. 347 wurde vom schweizerischen Botschafter in Teheran, Anton Greber, verfasst und am 27. Dezember 1990 um 10 Uhr versendet. Es richtete sich an den Direktor der Politischen Direktion des EDA, Staatssekretär Klaus Jacobi, den Chef der Politischen Abteilung II, Botschafter Pierre-Yves Simonin, den diplomatischen Sekretär des Departementsvorstehers, Pierre Combernous sowie die Völkerrechtsdirektion, den Protokolldienst, den Finanz- und Wirtschaftsdienst des EDA, das EJPD sowie an den schweizerischen Botschafter in Washington, Edouard Brunner. Es wurde in Bern am 28. Dezember 1990 um 13 Uhr empfangen.
2
BR-Prot. Nr. 2673 vom 10. Dezember 1990, dodis.ch/56323.
3
Vgl. dazu dodis.ch/56750.
4
Der Jurist Kazem Rajavi befand sich bereits zu Zeiten des Pahlevi-Regimes als politischer Flüchtling und Student in der Schweiz, vgl. dazu dodis.ch/36624. Nach der iranischen Revolution war er für kurze Zeit als Vertreter des Irans bei der UNO in Genf tätig, demissionierte als Diplomat allerdings bald aus Protest gegen die Ausrichtung des neuen Regimes. Ab 1982 weilte er wiederum als politischer Flüchtling in der Schweiz und betätigte sich als Menschenrechtsaktivist. Am 24. April 1990 wurde er auf der Rückfahrt von Genf in seinem Wohnort Coppet erschossen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Waadt nahm ein Verfahren auf, wobei rasch viele Indizien dafür vorlagen, dass die Täterschaft mit offiziellen iranischen Diplomatenpässen operiert hatte und die Schweiz umgehend verlassen konnte. Das Verfahren zog sich über mehrere Jahre hin, ohne dass schliesslich ein Urteil gefällt wurde, vgl. dazu die Zusammenstellung dodis.ch/C1814.
5
Zum Stand der Vertretung der US-amerikanischen Interessen im Iran durch die Schweiz vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C1817.
6
Vgl. dazu den Wochentelex 34/90 vom 20. August 1990, dodis.ch/55154, S. 15–17. Der zweite Swissair-Flug nach Teheran wurde von der iranischen Luftfahrtbehörde am 15. Mai 1991 genehmigt, vgl. dazu das Dossier CH-BAR#E2023A-01#2005/37#3294* (o.652.21.Iran).
7
Vgl. dazu DDS 1990, Dok. 1, dodis.ch/54926 sowie die thematische Zusammenstellung Beitritt der Schweiz zu den Bretton-Woods-Institutionen (1989–1993), dodis.ch/T1721.
8
Zu den bilateralen Handelsbeziehungen vgl. dodis.ch/56587.
9
Nach seiner Rückschaffung in den Iran hielt sich der iranische Staatsangehörige Ali Reza Djamali während ca. acht Monaten in der Kanzlei der schweizerischen Botschaft in Teheran auf. Nach der Ablehung seines Asylgesuchs durch den Delegierten für Flüchtlingswesen musste er am 1. November 1990 das Botschaftsgelände verlassen, vgl. dazu das Dossier CH-BAR#E2200.141-03#2000/233#31* (131.4).
10
Hans Stalder.
11
Vgl. dazu dodis.ch/56749.
12
Für die Note des iranischen Aussenministeriums an die schweizerische Botschaft in Teheran vom 18. Dezember 1990 vgl. das Dossier CH-BAR#E2200.141-03#2000/233#31* (131.4).
13
Vgl. dazu DDS 1990, Dok. 1, dodis.ch/54926 und Dok. 13, dodis.ch/54922.