Ein Beitritt der Schweiz zum Erstasylabkommen der EG wird grundsätzlich von allen vertretenen Stellen befürwortet.2 Es besteht ein integrations- und ein asylpolitisches Interesse. Diese Haltung wird in direkten Zusammenhang gestellt zu den Auswirkungen für die Schweiz im Hinblick auf die kommende Freizügigkeit, die Vereinfachung der Zollkontrollen an den Grenzen und das Abkommen über Aussengrenzen der EG.3 Allerdings sind vorgängig wichtige zentrale Fragen zu klären. Die Pflichten und Rechte für uns müssen klar erkennbar sein. Grundvoraussetzung ist auch, dass die Schweiz ein Mitbestimmungsrecht hat.
Das Erstasylabkommen ist nicht Teil der Verhandlungen im Zusammenhang mit dem EWR. Die Möglichkeit, ausserhalb des EWR mit der EG zusammenzuarbeiten, sollte voll genutzt werden.4
Entgegen des Wortlautes des Abkommenstextes, wonach nur EG-Mitglieder sich dem Übereinkommen anschliessen können (Art. 21), handelt es sich politisch gesehen um eine offene Konvention.5 Im Schlussprotokoll der Unterzeichnung des Abkommens wurde festgehalten, dass auch Drittstaaten dem Abkommen beitreten können.
Das Erstasylabkommen der EG entfaltet eine bessere Wirkkraft als das vom Europarat vorgesehene6 und ist daher vorzuziehen. Während jenes des Europarates kein Gremium für die praktische Umsetzung von Konventionen enthält, sieht Artikel 18 des EG-Erstasylabkommens die Einsetzung eines Ausschusses vor, der für die technische, juristische und administrative Anwendung verantwortlich ist.
Es ist jedoch festzuhalten, dass mit dem Inkrafttreten des Erstasylabkommens die praktische Durchführung noch nicht gewährleistet ist. Auch innerhalb der EG sind sich noch nicht alle Staaten einig. Die praktischen Voraussetzungen für einen reibungslosen Ablauf (wie z. B. Identifikation durch Fingerabdrücke) müssen noch geschaffen werden.
Bedingt ein Beitritt zum Erstasylabkommen auch einen Beitritt zum Schengener Abkommen?7 Welches sind die Zusammenhänge?
Das Schengener Abkommen besteht aus drei Teilen:
Da innerhalb der Gesamt-EG noch keine Einigung in Bezug auf die Anwendung des Schengener Abkommens besteht, wird es in Einzelabkommen konkretisiert, um so wenigstens punktuell zum Ziel zu gelangen. Neben dem Erstasylabkommen bestehen auch Bestrebungen für eine Vereinbarung über die Grenzkontrollen, wobei der Grundsatz noch offen ist, ob es sich um eine offene oder geschlossene Konvention handeln wird. Schweizerischerseits ist das Bundesamt für Ausländerfragen damit befasst.
Die Schweiz verhält sich in vielen Belangen bereits jetzt kooperativ mit der EG. Als Beispiel sei die Anpassung der Visapolitik (kürzliche Einführung der Visumpflicht für Angehörige aus den Maghrebstaaten)8 erwähnt. Dieses parallele Mitziehen mit der EG stösst aber auf Grenzen. Die Frage eines Beitritts zum Erstasylabkommen stellt sich ganz besonders in den Bereichen der Amtshilfe und des Datenaustausches.
Die von den betroffenen Bundesämtern geäusserten Fragen, Anliegen und Vorbehalte betreffen vor allem
Grosse Bedenken werden geäussert hinsichtlich des geplanten Ausschusses. Wie weit werden seine Kompetenzen gehen? Ist der Ausschuss befugt, neue Gesetze oder Gesetzesänderungen in den einzelnen Mitgliedstaaten zu veranlassen? Gestützt auf Erfahrungen mit anderen EG-Vereinbarungen scheint jedoch das im Erstasylabkommen erwähnte Gremium nicht über diese Autonomie zu verfügen.
Es herrscht Einigkeit darüber, dass die Schweiz nicht im Alleingang sondern gemeinsam mit den EFTA- und anderen interessierten Staaten Verhandlungen mit der EG für einen Beitritt zum Erstasylabkommen aufnehmen soll.10
Nachdem das Bundesamt für Flüchtlinge direkt von Auswirkungen eines solchen Abkommens betroffen ist und die Einwanderungskompetenz generell beim EJPD liegt, wird das BFF11 die Federführung für dieses Geschäft übernehmen in enger Zusammenarbeit mit dem Koordinator für internationale Flüchtlingspolitik12 und unterstützt von allen anderen interessierten Bundesstellen, speziell vom Integrationsbüro.
Am 28. November findet in Genf eine erste exploratorische Sitzung13 statt mit einer Gruppe interessierter Nicht-EG-Staaten, die sich im Rahmen der Informellen Zwischenstaatlichen Konsultationen für Asyl- und Flüchtlingsfragen in Europa und Nordamerika gebildet hat. Initiator ist Schweden, das auch den Vorsitz innehat. Die Schweiz wird an dieser Sitzung vertreten sein durch das Bundesamt für Flüchtlinge (G. Zürcher) und den Koordinator für internationale Flüchtlingspolitik (Botschafter R. Weiersmüller). Diese entscheiden über allfällige weitere Teilnehmer.
Mit einer Notiz informiert das BFF Herrn Bundespräsident Koller zuhanden des asylpolitischen Ausschusses des Bundesrates (Bundesräte Felber und Delamuraz) über die Aufnahme der Abklärungsarbeiten in den betroffenen Bundesstellen.
Termin für die Ablieferung der bundesinternen Stellungnahmen: Ende Dezember 1990. Gestützt auf diese Angaben unterbreitet das BFF dem Bundesrat einen Antrag um Erteilung des Verhandlungsmandats.14
Am 5./6. Dezember treffen sich in Rom die für die Immigration und TREVI zuständigen Minister der EG. Die Schweiz sowie weitere Nicht-EG-Staaten wurden ebenfalls eingeladen. Dort könnten die ersten Kontakte mit der EG, resp. deren Ad-hoc-Gruppe Immigration geknüpft werden.15