dodis.ch/54922Gespräche des Vorstehers des EFD, Bundesrat Stich, in Washington1

Zusammenfassung der Gespräche von Bundesrat O. Stich mit Michel Camdessus (geschäftsführender Direktor, IMF), Barber Conable (Präsident, Weltbank), Alan Greenspan (Vorsitzender des Fed) und Nicholas Brady (Schatzsekretär)

Vorbemerkung

Die Argumentation von BR Stich wird in den folgenden Gesprächsnotizen nicht wiedergegeben, da diese bekannt ist. Ausgehend von der hohen Quote, welche die Schweiz berechtigt sei zu erwarten, unterstrich BR Stich immer wieder die Überlegungen, welche die schweizerische Regierung veranlassen, auf einen Exekutivdirektorensitz zu bestehen.2

Gespräch mit Michel Camdessus (begleitet von Richard Erb, stv. geschäftsführender Direktor, und Massimo Russo, Direktor Europa)3

Herr Camdessus gibt zu verstehen, dass er sich der Bedeutung des Finanzplatzes Schweiz voll bewusst sei und die Schweiz eine dieser Bedeutung ensprechende Quote zugesprochen erhalten sollte. Er habe grundsätzlich zwei Interessenspole zu berücksichtigen:

  • – einerseits sollte der Fonds über möglichst viel Kapital verfügen und somit alles unternehmen, damit die Schweiz eine hohe Quote zugesprochen erhält;
  • – andererseits müsse das bestehende Gleichgewicht im Rahmen der Quotenverteilung nicht gestört werden. Die IMF-Mitglieder werden den Fall Schweiz in dieser Hinsicht genaustens studieren.

Gegenwärtig ist es dem Fonds unmöglich, irgendwelche Prognosen über die Chancen der Erfüllung des Begehrens der schweizerischen Regierung nach einer zusätzlichen Stimmrechtsgruppe und einem eigenen Exekutivdirektor zu stellen. Es wäre auch kontraproduktiv, wenn er dazu aussagen würde, denn die Mitgliedländer würden dies als eine Einmischung in ihren Kompetenzbereich empfinden.

BR Stich weist auf den nicht kleinen Einfluss hin, den der Fonds bei der Berechnung der Ausgangsquote spielen kann, worauf Camdessus bekräftigt, dass die Analysen des Fonds die Wirtschaftskraft der Schweiz voll berücksichtigen werde. Ferner werde sich unser gutes Zeugnis in wirtschafts- und währungspolitischer Hinsicht positiv auswirken. Er findet auch, dass BR Stich gut beraten wäre, nicht nur mit den G-10 Ländern zu sprechen, sondern auch den Kontakt zu wichtigen Entwicklungsländern zu suchen,4 denn diese würden anlässlich der Beratungen im Exekutivrat eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Schliesslich meint Camdessus, je schneller der Bundesrat seinen offiziellen Mitgliedschaftsantrag stelle, desto besser. Mit Befriedigung nimmt er zur Kenntnis, dass dies bereits im Frühsommer der Fall sein könnte.5

Auf die Frage von BR Stich, wie weit die Arbeiten zur Eingliederung der Tschechoslowakei und Bulgarien unter die Fondsmitglieder fortgeschritten seien, antwortet Camdessus, dass die Bestrebungen dazu bestens liefen. Bereits sei eine Mission aus der Tschechoslowakei zurückgekehrt6 und Bulgarien werde demnächst vom IMF-Spezialisten besucht werden. Er erwarte, dass die Tschechoslowakei und Bulgarien an den Jahrestagungen bereits als Vollmitglied aufgenommen werden könnten. Er rechnet ferner damit, dass Namibia ebenfalls bald, wenn auch später als die beiden andern Ländern, Mitglied des Fonds werden wird.

Gespräch mit B. Conable (Begleitet von Ernest Stern, Senior Vice President)

Herr Conable macht von anfang an klar, dass die Schweiz in der Weltbankgruppe sehr willkommen sei und ihre bisherige Abwesenheit einer Anomalie gleichkomme, insbesondere wenn man berücksichtige, wie eng die Schweiz auf praktisch allen Gebieten bereits eng mit seiner Institution (Weltbank, IDA, IFC, MIGA) zusammenarbeite.7 Für ihn sei es klar, dass die Schweiz einer «significant representation» bedarf: «The Worldbank welcomes Switzerland under almost any term». Die Strategie, die G-10 Länder zu besuchen, findet Conable grundsätzlich richtig. Conable weist auch auf die nicht existierende Homogenität der mittel- und osteuropäischen Staaten hin, was bei der Eingliederung in eine bestehende bzw. Schaffung einer neuen Stimmrechtsgruppe berücksichtigt werden müsse.

Auf entsprechende Fragen von Stern erklärt BR Stich den intern schweizerischen Prozedurablauf, inkl. mögliches Referendum. Er macht auch klar, dass die Schweiz nicht etwa eine eigene Stimmrechtsgruppe alleine für sich verlange, sondern wünsche, den Exekutivdirektor in einer neuen Gruppe stellen zu können.

Stern weist darauf hin, dass die Frage des Exekutivdirektors bei den Amerikanern Schwierigkeiten auslösen könnte, denn die USA würden eher für eine Verkleinerung als eine Erhöhung der europäischen Sitze am Tisch der Exekutivdirektoren plädieren. Herr Lusser bestätigt, dass die amerikanische Regierung eine entscheidene Rolle spielen werde, was Conable zur Bemerkung veranlasst, er habe etwelche Mühe zu verstehen, welche Schwierigkeiten uns das Treasury bereiten könnte.

Gespräch mit A. Greenspan (begleitet von Staff Director Edwin Truman)

Herr Greenspan ist sich der wichtigen Rolle der Schweiz im Rahmen der G-10 und des internationalen Wirtschafts- und Währungssystems bewusst. Wie Conable empfindet er das bisherige Abseitsstehen der Schweiz als Anomalie, und er ist erfreut, dass die schweizerische Regierung diese zu korrigieren gedenke. Hingegen glaubt er zu wissen, dass unser Wunsch nach Erhöhung der Sitzzahl der Exekutivdirektoren der amerikanischen Regierung Schwierigkeiten bereite, und er frägt sich, ob nicht eine andere praktikablere Lösung ins Visier genommen werden sollte.

BR Stich weist nachdrücklich darauf hin, dass unser Begehren nach einem 23. Sitz vermutlich weit weniger Probleme schaffe als uns in eine bestehende Gruppe integrieren zu wollen.8 Die uns zustehende hohe Quote (über 2 Mia SZR) würde bestehende Gruppen kopflastig machen und deren jetzige Exekutivdirektoren möglicherweise verdrängen. Er unterstreicht die unabhängige Geld- und Währungspolitik der Schweiz und macht klar, dass unser Land diese Politik in einer eigenen Gruppe weit besser fortführen könne als in einer der bestehenden europäischen Gruppen. Dies sollte auch den amerikanischen Interessen dienen.

Greenspan sichert BR Stich zu, dass die Haltung der amerikanischen Regierung zu unserem Begehren nicht leichtfertig getroffen werden wird. Er werde sich persönlich mit Schatzsekretär Brady und seiner Kollegen im Rahmen der G-7 und G-10 unterhalten. Für die Schweiz spreche neben den von BR Stich genannten Argumenten ihr «unlimited goodwill», den sie zweifellos zu Recht geniesse.

Gespräch mit David Mulford (Unterstaatssekretär), begleitet von den Herren Bestani und Mackour

(Staatssekretär Brady an Grippe erkrankt)

Bundesrat Stich erläutert umfassend das Anliegen der Schweiz und streicht die Argumente heraus, die aus US-Sicht für eine Mitgliedschaft der Schweiz mit Exekutivdirektor sprechen.

Mulford stellt zwei Fragen: Ist der Beitritt der Schweiz untrennbar mit der Forderung nach einem Exekutivdirektor verbunden? Welche Quote stellen wir uns vor?

Bundesrat Stich: Quote grösser als 2 Milliarden SZR. Der Exekutivdirektor ist für uns eine sine qua non-Bedingung, einmal aus innenpolitischen Gründen, aber auch weil wir sonst schlechter gestellt würden als die andern G-10-Länder.

Mulford begrüsst unser Vorhaben, betont die engen Beziehungen zur Schweiz und zeigt Verständnis für unseren Standpunkt: schliesslich wären wir ja ein grosses Land, wenn man die Alpen plattwalzen würde. Er stellt Übereinstimmung in wirtschaftspolitischer Hinsicht fest und schätzt unser Bemühen um Vermittlung in schwierigen internationalen Fragen wie letzthin bei der EBR. Die Schweiz wäre eine Stärkung des IMF. Allerdings wirft unser Verlangen äusserst komplexe Fragen auf. Erinnert sei an die zähflüssige Quotenverhandlung, die durch unser Begehren noch beeinflusst werden könnte. Ein empfindlicher Punkt für die USA ist die Zahl der europäischen Sitze im Board. Die USA würde eine Lösung unseres Problems ohne zusätzlichen europäischen Sitz vorziehen. Angesichts des entstehenden Binnenmarktes in der EG sollte das eine oder andere EG-Land seinen Sitz aufgeben. Der Abtausch eines EG-Sitzes im Board gegen einen europäischen Nicht-EG-Sitz wäre für die USA interessant. Leider gibt niemand freiwillig etwas auf. Im übrigen ist für die Frage eines Schweizer Beitritts nicht der Treasury allein zuständig; vielmehr ist es auch eine aussenpolitische Frage, die wir entsprechend in der Administration diskutieren werden. Mulford schlägt vor, wir sollten Staatssekretär Brady an der Frühlingstagung des IMF im Mai unsere Aufwartung machen.9 Die USA wird bis dahin ihre Position konsolidieren. Wie ernst ist es übrigens mit der Bereitschaft der Schweiz, eine Ländergruppe mit den Osteuropäern zu bilden?

Bundesrat Stich bekräftigt, dass wir diese Frage intensiv prüfen, jedoch noch keine Kontakte aufgenommen haben. Wir sehen in einem zusätzlichen Sitz zusammen mit Neumitgliedern die beste Möglichkeit, unser Ziel zu erreichen, ohne das Gleichgewicht im IMF zu stören. Wir wollen keine EG-Ländergruppe sprengen, schon nur deshalb nicht, weil wir dann gezwungen wären, EG-Positionen zu vertreten. Dies liefe unserem, aber auch den Interessen der USA zuwider.

Präsident Lusser unterstreicht, dass wir eine EG-unabhängige Gruppe bilden möchten. Wir wollen für die ganze Welt offen bleiben, ob es gelingt, ist praktisch eine Frage der uns offerierten Quote.10

Mulford erkundigt sich nach unseren Vorstellungen bezüglich Quote und der japanischen Reaktion auf unser Begehren.11 Die Festlegung unserer Quote müsste mit der generellen Quotenerhöhung im IMF verknüpft werden.

Bundesrat Stich und Präsident Lusser situieren unsere Quotenvorstellungen im Bereich der Belgier (2,31 Prozent) und Holländer (2,51 Prozent). Unser Beitritt hätte quantitativ einen minimen Einfluss auf die relative Höhe der Quoten der Mitgliedländer und wäre deshalb für die generelle Quotenerhöhungsdiskussion kaum relevant.

Mulford verspricht eine solide Prüfung unseres Anliegens. Die Bedenken der USA wegen der Vergrösserung des Board bleiben zwar bestehen, aber «you have some appeal to us and strong arguments for your case».

Präsident Lusser betont, dass wir zu einem starken Gläubiger des Fonds würden; einige Länder würden auf den Schweizerfranken ziehen, und wir wären deshalb zur Führung unserer Geldpolitik auf frühzeitige und umfassende Informationen aus dem Board angewiesen, was unseren Wunsch nach einem Exekutivdirektor untermauert.

Bestani: Wurde im Zusammenhang mit unserem eventuellen Beitritt nicht bereits die Frage eines alternierenden Sitzes diskutiert?

Bundesrat Stich verneint. Wir beabsichtigen nicht, in eine EG-Ländergruppe einzutreten. Die Gruppe würde zu gross und mit alternierendem Direktor wäre unsere Position im G-10 nicht adäquat wiedergegeben. Wir wären dankbar, wenn wir Staatssekretär Brady im Mai sehen könnten,12 wir möchten eine gewisse Garantie erhalten, dass unser Anliegen nicht ins Leere stösst.

1
CH-BAR#E2010A#1999/250#1818* (C.41.103.2(12)). Diese Notiz wurde vom mit den wirtschaftlichen Angelegenheiten betrauten Mitarbeiter der schweizerischen Botschaft in Washington, Minister Jean-Daniel Gerber, verfasst und ging an die Politische Abteilung I, den Finanz- und Wirtschaftsdienst sowie die Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe des EDA, an den Direktor des Bundesamts für Aussenwirtschaft des EVD, Staatssekretär Franz Blankart, die Delegierten des Bundesrats für Handelsverträge Mario Corti, David de Pury und Pierre-Louis Girard, an den Vizedirektor Daniel Kaeser, den Sektionschef Währung und Wirtschaft, Hans Ith, Fritz Zurbrügg von der Finanzverwaltung sowie an das Generalsekretariat des EFD.
2
Für die Vorbereitung der USA-Reise von Bundesrat Stich vgl. DDS 1990, Dok. 1, dodis.ch/54926 und Dok. 6, dodis.ch/55139; das BR-Prot. Nr. 2417 vom 20. Dezember 1989, dodis.ch/55676; das Protokoll vom 27. Februar 1990 der Sitzung der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats vom 15. Februar 1990, dodis.ch/56114, Teilprotokoll 2, Punkt 3 sowie die vorbereitende Notiz von Minister Gerber vom 23. März 1990, dodis.ch/55129.
3
Vgl. auch die Notiz von Sektionschef Ith vom 23. März 1990 über den Besuch des geschäftsführenden Direktors des IWF Michel Camdessus in Bern vom 13. März 1990, dodis.ch/56164.
4
Zu den Gesprächen mit Ländern der Zehnergruppe vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C1732. Zu Kontakten mit Brasilien vgl. DDS 1990, Dok. 26, dodis.ch/56121; mit Indien dodis.ch/54921 und mit Ägypten dodis.ch/55883. Für einen Überblick über die exploratorischen Gespräche zur Frage des Beitritts der Schweiz zu den Bretton-Woods-Institutionen vgl. den Bericht des Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank (SNB), Markus Lusser, an Bundesrat Stich, dodis.ch/56942.
5
Der Bundesrat beschloss am 16. Mai 1990 dem IWF einen offiziellen Mitgliedschaftsantrag zu stellen, vgl. dodis.ch/55966. Vgl. dazu auch dodis.ch/54915.
6
Der IWF startete noch im Dezember 1990 eine Zahlungsbilanzhilfe an die Tschechoslowakei, an der sich die Schweiz mit 30 Mio. USD beteiligte, vgl. dazu dodis.ch/55852.
7
Zum Stand der Beziehungen zwischen der Schweiz und der Weltbankgruppe vgl. dodis.ch/55131 und dodis.ch/56538.
8
Zur Frage der Erhöhung der bestehenden Anzahl von 22 Mitgliedern im Exekutivdirektorium des IWF in Folge des Beitritts neuer Mitgliedsländer vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C1732.
9
Vgl. den Wochentelex 20/90 vom 14. Mai 1990, dodis.ch/55119, Punkt 2.
10
Für das Interesse der SNB und deren Argumente für einen IWF-Beitritt vgl. das Aide-mémoire vom 30. August 1990, dodis.ch/56960.
11
Für die Finanzbeziehungen zu Japan vgl. DDS 1990, Dok. 27, dodis.ch/54862.
12
Vgl. Anm. 9.