dodis.ch/54851Gespräch des Vorstehers des EDA, Bundesrat Felber, mit dem Vizepräsidenten des African National Congress, Mandela, vom 8. Juni 19901

Besuch von Nelson Mandela

Im Verlauf seiner sechswöchigen – bis Mitte Juli dauernden – Reise durch Europa, Nordamerika und Afrika, besuchte Nelson Mandela ebenfalls die Schweiz und wurde am 8. Juni 1990 in Bern von BR Felber zu einem Arbeitsgespräch empfangen. Mandela konnte somit verhältnismässig frühzeitig der Einladung zum Besuch der Schweiz entsprechen, welche ihm kurz nach seiner Haftentlassung ausgesprochen worden war. Mandela äusserte im Verlaufe des Gesprächs, dass er bei anderer Gelegenheit die Schweiz und seine Bewohner näher kennenlernen möchte.

Aus Genf kommend, wo er vor dem Weltkirchenrat und vor der Internationalen Arbeitsorganisation gesprochen hatte (ein Treffen mit IKRK-Präsident Sommaruga sagte Mandela wegen Ermüdung kurzfristig ab), traf Mandela in Begleitung seiner Gattin mit Verspätung im Belpmoos ein, wo sie von BR Felber begrüsst wurden.

Zu Beginn der offiziellen Gespräche hiess BR Felber Mandela herzlich wilkommen, dankte ihm für den Besuch und zollte dem südafrikanischen Schwarzenführer Respekt für die durchgestandenen Leiden in langjähriger Gefangschaft. BR Felber begrüsste die Veränderungen in Südafrika als hoffnungsvolles Zeichen für die Zukunft. Getreu ihrer Politik habe sich die Schweiz stets für die Einhaltung der Menschenrechte in Südafrika eingesetzt und habe die Rassentrennung verurteilt. BR Felber ging ausführlich auf die (in den letzten Jahren) stattgefundenen Kontakte mit dem ANC ein2 und hob insbesondere die direkte oder indirekte Unterstützug des ANC im Rahmen der Positiven Massnahmen3 hervor. Die Schweiz sei auch weiterhin bereit, u. a. die wirtschaftlichen Kontakte mit dem ANC zu fördern. BR Felber vermerkte auch die Interventionen zugunsten bestimmter Gefangener in Südafrika (für deren Freilassung oder Begnadigung im Falle von Todesurteilen).4

Mandela zeigte sich seinerseits geehrt durch die Einladung. Die Schweiz habe in der Vergangenheit bewiesen, dass sie dem Frieden verpflichtet sei. Er dankte für die schweizerische Hilfe und Unterstützung an die Bevölkerung von Südafrika und für die Bemühungen zugunsten seiner Befreiung sowie diejenige anderer ANC-Mitglieder. Alle diese Unterstützungen hätten ihm geholfen, in der Vergangenheit durchzuhalten und Schwierigkeiten zu meistern. Er hoffe und danke für weitere Unterstützungen von ANC-Anliegen.

Tatsächlich hätten in Südafrika Veränderungen stattgefunden, stellte Mandela fest. Er akzeptiere und begrüsse sie auch. Der ANC anerkenne Präsident de Klerk’s wichtige Rolle. Letzterer hätte mutige Schritte getan und eine neue Richtung eingeschlagen. De Klerk habe die ehrliche Absicht, eine Lösung und Frieden zu suchen.5

Im letzten Treffen, führte Mandela weiter aus, wurden der Regierung die Hindernisse zu eigentlichen Verhandlungen klargestellt: Rückkehr der Exilierten, Befreiung der politischen Gefangenen, Beendigung von politischen Prozessen, Aufhebung des Ausnahmezustandes und Beseitigung von unterdrückenden Gesetzen. Der ANC habe diese Forderungen in der Folge von einem eigens dafür geschaffenen Komitee überwachen lassen. Ein entsprechender Bericht vom 21. Mai 19906 liege vor. Es gehe nun darum, diesbezügliche Zusagen auch tatsächlich von der Regierung verwirklichen zu lassen. Die teilweise Aufhebung des Ausnahmezustandes (in der Provinz Natal bleibt das Notrecht im Moment noch in Kraft) und die Befreiung von politischen Gefangenen trügen ohne Zweifel zu einer besseren Atmosphäre bei.

Das Hauptanliegen des ANC bleibe trotz all diesen Veränderungen bestehen und müsse erfüllt werden: das «One man – one vote» Prinzip; (ginge es nach dem Willen der Opposition, so würde zuerst eine gemischte Übergangsregierung die Macht übernehmen und eine gemäss dem «one man – one vote» Prinzip gewählte Konstituante würde hierauf eine neue Verfassung zentralistischen, unitären Zuschnitts annehmen). Eine auf diesem System aufgebaute Verfassung, so Mandela, garantiere die Rechte der weissen Minderheit. Der ANC hoffe, dass die Schweiz diesen von ihm gewählten Weg unterstütze, ein Weg, welcher von den bereits besuchten Ländern akzeptiert würde.

Mandela vertrat daraufhin vehement die Ansicht, der internationale Druck auf Südafrika dürfe jetzt nicht gelockert werden; nur durch Druck könne die Rassentrennung vollständig beseitigt werden. Die Schweiz solle ihre Position bezüglich Sanktionen überdenken und ändern und sich anderen europäischen Ländern anschliessen. Mandela fügte bei, dass die Aufrechterhaltung der Sanktionen von den afrikanischen Staaten, den Frontstaaten, der OAU und den Commonwealth-Ländern – mit einer Ausnahme – sowie von der Blockfreienbewegung befürwortet werden. Präsident Mugabe (Präsident der OAU)7 habe die EG schriftlich um Aufrechterhaltung der Sanktionen gebeten. Die beiden Gewerkschaften COSATU und NACTU erachteten Sanktionen als nötig. Er wisse, dass die Schweiz sich in der Frage der Sanktionen auf die Neutralitätspolitik stütze und die Schweiz glaube, Sanktionen würden den Schwarzen schaden.8 Es läge aber an den Schwarzen Südafrikas zu entscheiden, mit welchen Mitteln das Ziel der vollständigen Abschaffung der Rassentrennung erreicht werden könne: und dies seien Sanktionen. Die schwarze Bevölkerung sei auch bereit, den Preis wie Arbeitslosigkeit und weiterhin schlechtes Erziehungswesen dafür zu bezahlen. Mandela fügte bei «there is no easy way to liberation».

Die schweizerischen Handelsbeziehungen mit Südafrika, so Mandela, hätten zugenommen9 und südafrikanische Multinationals – wahrscheinlich in Anspielung auf die neue Zentrale der südafrikanischen Firma de Beers in der Schweiz10– hätten sich in der Schweiz angesiedelt. Auch dies trüge dazu bei, die Regierung Südafrikas davon abzuhalten, die Apartheid vollständig abzuschaffen.

Auf seiner Reise werde Mandela alle Staaten bitten, die Antiapartheid-Kräfte in Südafrika zu unterstützen. Es gäbe aber keine Lösung des Problems, ohne dass der ANC an diesem Prozess beteiligt sei. Die Mehrzahl der Homelands arbeiteten gemäss Mandela in irgend einer Form mit dem ANC zusammen. Buthelezi (Chef-Minister des Homeland Kwazulu) sei der einzige, welcher sich gegen den ANC gestellt habe – und dieser würde offenbar von der Schweiz unterstützt. Die Unruhen in Natal seien auf die Zersplitterung der Meinungen betreffend Unterstützung für ANC oder für Buthelezi zurückzuführen.11 Durchgeführte Rallies hätten aber auch dort eine krasse Mehrheit für die Anliegen des ANC an den Tag gelegt. Die Schweiz solle, so Mandela, Buthelezi nicht mehr unterstützen.

Schliesslich verwies Mandela auf den Umstand, dass die Regierung offenbar die Kontrolle über die Sicherheitsorgane (Polizei und Armee) verloren habe. Urplötzlich seien Elemente aufgetaucht, die zu einer Polarisierung dieser gefährlichen Situation beigetragen hätten. Mandela befürchte die Schaffung von paramilitärischen Gruppen – ein weiterer Grund seines Appells an die internationale Gemeinschaft, Sanktionen aufrechtzuerhalten.

BR Felber nahm Kenntnis von den Ausführungen Mandelas. In einem Punkt müsse er aber widersprechen, sagte er. Die Schweiz unterstütze Buthelezi nicht. Seines Wissens täten dies einzelne schweizerische Unternehmen.12 Die Schweiz teile voll und ganz das Prinzip der Einheit. Er würde selbstverständlich den Bundesrat über dieses Gespräch unterrichten, auch was die Frage der Sanktionen betreffe. BR Felber ging nicht weiter auf die Frage der Sanktionenpolitik der Schweiz ein, wohl im Bewusstsein, dass der Hauptpfeiler unsere Politik in Südafrika u. a. bezweckt, den Dialog zwischen der Regierung und der Opposition zu fördern. Dieser Umstand dürfte Mandela wohlbekannt sein. BR Felber erklärte, dass die (Handels) Beziehungen mit Südafrika keineswegs so gut seien, wie von Mandela angenommen. Der Plafond des Handelsaustausches z. B. sei nicht erreicht. Waffenverkäufe fänden keine statt. BR Felber wisse, dass grosse Teile des Schweizervolkes die Anliegen für schwarze Bevölkerung unterstützten und sich in dieser Angelegenheit sehr sensibel zeigen. Der Bundesrat würde u. a. mit Hilfe der schweizerischen Botschaft in Pretoria die kommenden Ereignisse in Südafrika, aber insbesondere auch was die Demobilisierung der Rebellen in den Frontstaaten betreffe, sehr genau verfolgen und sich entsprechend verhalten.

Bei dem anschliessend geführten separaten Gespräch wurde BR Felber gebeten, die sehr heikle Rückkehr der Exilierten durch finanzielle Hilfe zu unterstützen.13 Dieser Aspekt bereitet dem ANC offensichtlich grosse Sorge.

Alle schweizerischen Teilnehmer an diesem Gespräch waren beeindruckt von der Persönlichkeit Mandelas, von seiner Ausstrahlung, von seiner Vitalität und von seiner trotz jahrelanger Haft pragmatischen und unverbitterten Vorgehensweise, wie er eine Lösung der Probleme in Südafrika anzustreben bereit ist. Man ist geneigt zu glauben, dass seine im Verlauf des vorgenannten Gesprächs gemachte Bemerkung, in Südafrika dürfe es weder Gewinner noch Verlierer geben, nicht bloss ein Lippenbekenntnis war.

1
CH-BAR#E2010A#1999/250#386* (A.22.14.07.03). Diese Notiz wurde höchstwahrscheinlich von André Brandel verfasst, der in der Politischen Abteilung II des EDA stv. für Südafrika zuständig war. Der Text wurde als Punkt 2 im Wochentelex 24/90 vom 11. Juni 1990 versendet, auszugsweise bereits als Punkt 1 (rapides), vgl. dodis.ch/55101. Seitens des African National Congress (ANC) nahmen, nebst Nelson Mandela, auch dessen Gattin Winnie Madikizela-Mandela, der Direktor für internationale Angelegenheiten Thabo Mbeki, der Treasurer General Thomas Titus Nkobi, Liaison Officer Trevor Abrahams sowie Ismail Meer am Gespräch im von Wattenwyl-Haus in Bern teil. Bundesrat René Felber wurde begleitet von seinen persönlichen Mitarbeitenden Margrith Hanselmann und Pierre Combernous sowie von Henri-Philippe Cart von der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe, dem Presse- und Informationschef Michel Pache, sowie François Chappuis und André Brandel von der Politischen Abteilung II des EDA sowie von Othmar Wyss vom Bundesamt für Aussenwirtschaft des EVD.
2
Vgl. dazu die Zusammenstellung dodis.ch/C1776.
3
Zum Programm der positiven Massnahmen vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C1770.
4
Vgl. dazu die Zusammenstellung dodis.ch/C1771.
5
Zum Besuch des Staatspräsidenten von Südafrika, Frederik Willem de Klerk, vom 22. Mai 1990 in Bern vgl. dodis.ch/54799.
6
Final Report of the Working Group on political offences.
7
Zum Zeitpunkt dieses Gesprächs war Hosni Mubarak Vorsitzender der OAU. Vgl. dazu auch den Politischen Bericht Nr. 16 von André von Graffenried vom 23. August 1989, dodis.ch/55665.
8
Zur Haltung der Schweiz zu den Sanktionen gegenüber Südafrika vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C1768.
9
Die 1986 gemeinsam vom EDA und EVD eingesetzte Arbeitsgruppe Südafrika, welche periodisch über die Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und Südafrika berichtete, kam zu einem anderen Ergebnis, vgl. dazu dodis.ch/56570 und dodis.ch/54800.
10
Vgl. dazu dodis.ch/56798.
11
Vgl. dazu den Politischen Bericht Nr. 8 der schweizerischen Botschaft in Pretoria vom 22. August 1990, dodis.ch/55340.
12
Vgl. dazu dodis.ch/56801.
13
Vgl. dazu dodis.ch/54801. Am 12. September 1990 gewährte der Bundesrat einen Zusatzkredit von 10 Mio. CHF für das Programm zur Unterstützung der Rückkehr der Exilierten nach Südafrika. Im Antrag des EDA wurde ausdrücklich auf das Ansuchen Mandelas Bezug genommen, vgl. das BR-Prot. Nr. 1828 vom 12. September 1990, dodis.ch/54534.