Wir bezeugen hier in Paris ein epochales Ereignis. Was wir vor einem Jahr noch nicht zu erhoffen wagten, wird heute Wirklichkeit. Die Teilung unseres Kontinents fällt der Vergangenheit anheim. Was die Völker jahrzehntelang herbeiwünschten, beginnt: eine Ära der Zusammenarbeit zwischen Ost und West, mit dem Ziel, ein neues, geeintes, Europa zu errichten.2
Während Jahren verkörperte kein anderes Land die schmerzhafte Trennung unseres Kontinents so sehr wie unser Nachbar Deutschland. Früher ein Symbol der Trennung, ist es heute zum sichtbarsten Zeichen der Einigung Europas geworden.
Herr Bundeskanzler, im Namen des Schweizer Volkes wünsche ich Ihrem Land eine segensreiche Zukunft.3
Das Wort Europa erweckt heute zurecht wieder Hoffnung. Allzu häufig wurde diese jedoch enttäuscht, ja schlug in Verzweiflung um. Unser neues Europa tut gut, sich auf seine grossartigen kulturellen Traditionen zu besinnen. Es anerkennt als höchsten Wert die Würde des Menschen. Auf sie ist alles zugeordnet: Menschenrechte und Grundfreiheiten, die jedem Individuum unveräusserlich von Natur aus zukommen; der Rechtsstaat, der das Zusammenleben der Menschen in unsern Ländern regelt; die pluralistische Demokratie, welche den Volkswillen am besten zum Ausdruck bringt; die Wirtschaftsfreiheit, welche Prosperität verschafft, und die soziale Gerechtigkeit, die für die schwächeren Mitglieder der Gesellschaft sorgt.
Ein solches Europa, das sich der Ursprünge der Demokratie in Athen entsinnt, das auf dem römischen Rechtsdenken aufbaut, das sich der christlichen Auffassung der Menschenwürde verpflichtet fühlt, das an die Tradition der Aufklärung und die amerikanische Verfassung ebenso anknüpft wie an die französische Erklärung der Menschenrechte – ist ein solches Europa vom Atlantik bis zum Ural nur ein Wunschtraum oder wirklich machbar? Wir meinen, die Chance, all dies zu verwiklichen, ist heute grösser denn je. Wir alle, in West-, Mittel- und Osteuropa, in der Sowjetunion, in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Kanada, wir alle wollen diese Vorstellungen von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat, von Marktwirtschaft, von Sicherheit und Frieden in die Tat umsetzen. Gewiss, es gibt noch beträchtliche Unterschiede zwischen uns. Das dürfen und wollen wir nicht vergessen. Sie werden uns auf Jahre hinaus beschäftigen. Aber – und das ist das Neue – wir stimmten noch nie so stark in unserer Grundausrichtung überein. Darauf wollen wir aufbauen. Gemeinsam wollen wir das Begonnene fortsetzen und uns auch neuen Prioritäten wie der wirtschaftlichen Unterstützung der Staaten Mittel- und Osteuropas sowie dem Umweltschutz zuwenden.
Vorab aus diesen Gründen ist der Gipfel von Paris ein so erfreuliches Ereignis. Er bringt vieles zum Ausdruck: Den unerschütterlichen Freiheitswillen der Völker Mittel- und Osteuropas; die Weltsicht der Gründungsväter des Helsinki-Prozesses – und den Mut jener, die sich wie der verstorbene Andrej Sacharow stets unerschrocken für die Einhaltung der KSZE-Verpflichtungen einsetzten.
Die KSZE hat viele ihrer Aufgaben gut erfüllt. In der militärischen Sicherheit, in der Wirtschaft und bei den Menschenrechten liegen wertvolle Verträge und Dokumente vor. Ich möchte nur die beiden Verhandlungen im Bereich der militärischen Sicherheit erwähnen. Wir erreichten substantielle Fortschritte bei den Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Massnahmen.4 Und den 22 Mitgliedstaaten der beiden militärischen Bündnisse, welche im Rahmen der KSZE einen bahnbrechenden Vertrag über die Begrenzung der konventionellen Streitkräfte in Europa aushandelten und heute Morgen unterzeichneten, gratuliere ich zu ihrem Erfolg.5 Ihr Vertragswerk stärkt die Sicherheit aller europäischer Staaten. Ich begrüsse es, dass beide Verhandlungen nach dem Gipfel fortgesetzt werden. Nach dem nächsten KSZE-Folgetreffen in Helsinki im Jahr 1992 sollten wir dann die Verhandlungen in einem einzigen Forum aufnehmen, um gemeinsam unsere Sicherheit zu erhöhen und die Stabilität zu festigen.
Die KSZE hat ihre Aufgaben teilweise so erfüllt, dass sie ihr Engagement allmählich zugunsten anderer Organisationen abbauen kann. Sie hob etwa die Menschenrechtsstandards auf ein solches Niveau an, dass mehrere Staaten wie neuestens Ungarn nun in der Lage sind, dem Europarat beizutreten und dessen strenge Normen zu übernehmen.
Die Schlussakte von Helsinki war in einem Klima der Konfrontation verhandelt worden.6 Sie hat viele ihrer Ziele erreicht. Heute müssen wir uns auch neuen Problemkreisen zuwenden, welche unsere Mitbürger beunruhigen und die Sicherheit gefährden: Ich denke an Umweltschutz in all seinen Formen,7 an das Ungleichgewicht zwischen Nord und Süd, welches eine zunehmend stärkere Migrationswelle verursacht.8 Schliesslich denke ich an die Interdependenz zwischen unserer Sicherheit und Krisen in angrenzenden Gebieten, wie sie gerade durch die Golfkrise in Erinnerung gerufen wird.9 Ich denke aber vernehmlich auch an zwei Bereiche, denen die Schweiz grosse Bedeutung beimisst und die hier in Paris einen kräftigen politischen Impuls erhalten sollten.
Zuerst: die nationalen Minderheiten, eines der wichtigsten politischen Themen der Zukunft. Die Minderheiten haben mit ihrem kulturellen Erbe und ihren grossen Leistungen die meisten unserer Staaten bereichert. Doch vielerorts sind ihre Entfaltungsmöglichkeiten beschnitten. Ausserdem brechen Minderheitenprobleme mit ungeahnter Wucht innerhalb von Staaten und zwischen Staaten auf, seit der Druck totalitärer Regimes gewichen ist. Diese Konflikte könnten die Existenz junger Demokratien ebenso gefährden wie die regionale Stabilität. Damit stellen sich schwierige neue Aufgaben. Das neue Europa, das wir gemeinsam aufbauen wollen, muss Platz für alle haben. Minderheiten sollten keine Last sein. Sie sind eine Bereicherung, wenn Mehrheiten und Minderheiten aufeinander zugehen und Probleme partnerschaftlich lösen. Manche Staaten, so hoffe ich, machten diese Erfahrung. Mein Land beispielweise lebt von Minderheiten, es ist geprägt vom Zusammenleben vier verschiedener Sprachen und Kulturen. Ja, die gegenseitige Bereicherung verschiedener Kulturen macht die eigentliche Stärke der Schweiz aus.
Demokratien müssen Lösungen finden, die demokratischer Staaten würdig sind. Ich bin glücklich, dass wir hier auf dem Gipfel beschliessen, im nächsten Sommer ein Treffen über nationale Minderheiten in der Schweiz durchzuführen.10 Damit geben wir ein deutliches Signal. Jedermann soll verstehen, dass wir uns der neuen Problemlage bewusst sind; und alle Minderheiten sollen vernehmen, dass wir uns ernsthaft um gangbare Lösungen bemühen.
Ein Europa der Toleranz braucht noch etwas anderes: einen festen Rahmen für die friedliche Beilegung von Streitfällen. Wir alle sind uns einig, dass man Konflikte nicht mit Gewalt lösen darf. Doch Konflikte, wer wüsste dies nicht aus eigener Erfahrung, werden immer wieder entstehen. Deshalb müssen wir unter uns die Verpflichtung eingehen, Streitfälle friedlich zu lösen. Und unsere Experten müssen eine entsprechende Methode ausarbeiten, wonach eine Partei die Hilfe eines Dritten zur Streiterledigung beiziehen kann, wenn die Kontrahenten selbst zu keiner einvernehmlichen Lösung gelangen oder sich auf keinen anderen Weg zur friedlichen Konfliktlösung einigen können. Dürfen wir dieses Wagnis etwa nicht eingehen? Haben wir noch nicht genügend Vertrauen zueinander? Die Antwort kann nur lauten: Wir müssen damit beginnen, und zwar rasch, in zwei Monaten mit dem Expertentreffen in Malta.11
Die Zeiten ändern sich, die Probleme ändern sich, und die politischen Institutionen sind dem Gesetz des Wandels gleichfalls unterworfen. Europa ist im Umbruch. Es strebt nach mehr Einheit.
Bei der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung spielt die Europäische Gemeinschaft eine überaus wichtige Rolle. Sie ist zu einem entscheidenen Faktor im Leben Europas geworden. Zusammen mit den andern EFTA-Staaten bemüht sich mein Land, in Verhandlungen mit der EG einen gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum zu erstellen.13 Wir haben alles Interesse daran, dass diese Stufe der Vereinheitlichung gelingt. Sie wird sich auf ganz Europa positiv auswirken.
Bei den Menschenrechten und der Kultur hat der Europarat Wichtiges zu bieten. Wir haben ein Interesse daran, seine Erfahrungen vermehrt zu nutzen und ihn zu stärken. Denn wir sollten nie vergessen, dass Europa mehr noch als einen geographischen, einen kulturellen Begriff umschliesst.
Die KSZE schliesslich war bis anhin lediglich eine Konferenz. Sie verfügte über keine Institutionen. Das neue Europa, zusammen mit den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada, will sich in Zukunft vermehrt zu Gesprächen, Beratungen und einheitlichen Beschlüssen treffen. Um diese Aufgaben bewältigen zu können, bedarf die KSZE eines Sekretariates, eines Konfliktverhütungszentrums und eines Büros für freie Wahlen. Wir wollen diese Institutionen sinnvoll Schritt für Schritt aufbauen und im Lichte der Erfahrung auf dem Folgetreffen in Helsinki prüfen, wie sie sich bewährt haben. Bis zum Jahr 1992 sollte auch die parlamentarische KSZE-Versammlung Gestalt annehmen. Wir würden es begrüssen, wenn dies auf der Grundlage der parlamentarischen Versammlung des Europarates geschähe.
Monsieur le Président,
Ce sommet ne devrait pas constituer uniquement un événement solennel. Il devra influer sur nos travaux ces prochaines années. Nous voulons saisir cette occasion historique de donner une nouvelle dimension à la coopération en Europe. Il y a un an, le Président Gorbatchev proposait de tenir ce sommet.14 Cette initiative a porté ses fruits. Je le remercie.
Je tiens aussi à remercier le Président Bush qui a œuvré à sa concrétisation et ainsi renforcé les liens entre les États-Unis d’Amérique et notre continent. Enfin, j’aimerais exprimer ma gratitude à notre hôte, le Président Mitterand, et au peuple français, ainsi qu’au secrétaire exécutif de ce sommet15 rendu possible grâce à une parfaite organisation dans une ville qui incarne de manière exemplaire la grandeur de l’Europe.