1. Sind in der Folge des Besuches der litauischen Ministerpräsidentin Prunskiene in Bern am 30.11. (info hebdo rapide vom 3.12.)2 daran, unsere Beziehungen zu den drei baltischen Republiken einer Prüfung zu unterziehen. Sehen voraussichtlich vor, Anfang Jahres eine Delegation aus der Schweiz in die Republiken zu senden, nachdem wir nun in der Folge verschiedener Besuche in der Schweiz ein, naturgemäss vorläufiges, Bild gewonnen haben.
Bitten Euch, wenn möglich bis zum 10.1., um Berichterstattung über Haltung Eures Gastlandes allgemein und speziell zu den in den folgenden Paras aufgeworfenen Fragen.
2. Die schweizerische Haltung gegenüber dem Unabhängigkeitsbestreben der drei baltischen Republiken lässt sich primär an Hand der Beantwortung parlamentarischer Anfragen3 darstellen. Die letzte davon, Interpellation Kuhn vom 4.10.90, wurde vom BR mit Datum vom 21.11. beantwortet,4 wir lassen Euch den Text mit Fax zugehen. Auf einen kurzen Nenner gebracht und wohl ähnlich der Haltung vergleichbarer Länder, anerkennt die Schweiz grundsätzlich die Berechtigung des Anspruchs auf Unabhängigkeit, sieht aber die Elemente zu deren Anerkennung noch nicht als gegeben und wünscht, dass eine Lösung in Verhandlungen zwischen Zentralgewalt in Moskau und Republiksverantwortlichen gefunden werden kann. Vor diesem nicht unbedingt berauschenden Hintergrund erscheinen immerhin eine Vielzahl von Begegnungen (unten 3.) und Ansätzen zur praktischen Zusammenarbeit (unten 4.) möglich. Es interessiert uns in erster Linie, wie weit Euer Gastland mit Bezug auf diese zwei Punkte zu gehen gewillt ist.
3. Begegnungen: Aus Litauen sind die wichtigsten politischen Persönlichkeiten – in chronologischer Reihenfolge: Stv. Premierminister und Chef der unabhängigen Kommunisten A. Brasauskas (11.5.90),5 Präsident Landsbergis (10.8.),6 Ministerpräsidentin Prunskiene (30.11.) – bereits in Bern auf Ebene Bundesrat empfangen worden. Aus Lettland und Estland waren je ein Abgeordneter im obersten Unionsowjet und im Republiksparlament in Bern (Empfang durch Botschafter J. Staehelin/G. Ducrey).7 Alle diese Begegnungen kamen auf private Initiative (schweizerische Unterstützungsvereine etc.) zustande, ohne dass eine offizielle Einladung vorlag. Aus Estland wird im Februar eine Delegation von Lokalbehörden (Tallinn) erwartet, die entsprechenden Kosten könnten von uns übernommen werden. Schliesslich hat Minister Speck (Botschaft Moskau) Anfang Monat eine Informations- und Kontaktreise in Litauen unternommen.8
Welche Begegnungen haben stattgefunden, sind insbesondere offizielle Delegationen Eures Gastlandes in die Republiken gereist?
4. Zusammenarbeit: In der Absichtserklärung, die der Departementschef anlässlich seines Besuches in Moskau am 30.11 + 1.12. unterschrieben hat, wird zur Durchführung von Programmen und Projekten bilateraler Unterstützung u. a. gesagt, dass diese «Institutionen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene» anvertraut werden kann.9 Gestützt darauf und auf verschiedene Gespräche im Umfeld dieser Absichtserklärung ist eine direkte, primär auf Einzelprojekte bezogene Zusammenarbeit mit den drei Republiken künftig möglich. Wir sehen eine solche zunächst in der Form von Pilotprojekten in den Bereichen politische Kultur, Ausbildung und allgemeine Austausche. Bescheidene Mittel dafür stehen bereits heute zur Verfügung. Daneben ist humanitäre Hilfe grundsätzlich und nach Bedarfsnachweis immer möglich, sei dies in Form logistischer oder anderweitiger Unterstützung privater schweizerischer Initiativen oder als Direkthilfe. Frau Prunskiene sagte uns allerdings, dass diesen Winter Nahrungsmittelhilfe in allen drei Republiken voraussichtlich nicht, gegebenenfalls aber medizinische Hilfsgüter notwendig würden.
Gibt es eine solche direkte Zusammenarbeit? Wurde sie von Seiten Eures Gastlandes direkt mit Republiksverantwortlichen in die Wege geleitet?
5. Vertretungen: Insbesondere von litauischer Seite wurden wir bereits mehrere Male gefragt, ob ein Informations- und Verbindungsbüro in Genf möglich wäre. Die schweizerische Haltung dazu ist klar: Dies ist ohne weiteres möglich, solange eine solche Vertretung nicht offizielle Funktionen übernimmt.
Gibt es in Eurem Gastland Vertretungen, was existiert/ist geplant an Vertretungen in den drei Republiken?