dodis.ch/50063Der Rechtsberater des Politischen Departements, R. Bindschedler, an Nationalrat H. Hubacher1

Staatsvertragsreferendum: Initiative der Nationalen Aktion

Wir kommen zurück auf Ihr Schreiben vom 19. Januar 19772 und können Ihnen dazu folgendes mitteilen:

Die wichtigsten Gründe gegen die Initiative der Nationalen Aktion sind in der Botschaft des Bundesrates vom 23. Oktober 1974 in Kapitel 43 (BBl 1974 II S. 1151 – 1153)3 aufgeführt. Dabei richtet sich die Kritik sowohl gegen das rückwirkende Referendum für bereits in Kraft stehende Verträge als auch gegen das generelle fakultative Referendum für alle zukünftigen Verträge. Das Wesentliche finden Sie in dem beiliegenden, damals an die Presse verteilten Rohstoff4 zusammengefasst.

Gegen welche bestimmten Verträge das Referendum ergriffen werden soll, kann nur vermutet werden. In der Tat hat die Nationale Aktion immer wieder zu verstehen gegeben, sie ziele mit dem rückwirkenden Referendum «nur» auf einen oder zwei Verträge ab, wobei das Einwanderungsabkommen mit Italien vom 10.8.19645 und dasjenige mit Spanien vom 2. März 19616 gemeint sind.

Ob es allerdings, sollte die Initiative wider allen Erwartens angenommen werden7, bei diesen wenigen Verträgen bleiben wird, vermag mit Sicherheit niemand zu sagen. Wir haben etwelche Zweifel. Entscheidend dürfte letzten Endes sein, für welche Dinge die öffentliche Meinung sensibilisiert sein wird. Hiezu einen Gradmesser zu finden, ist unmöglich. Gerade diese, die Initiative kennzeichnende Unsicherheit bedeutet für die schweizerische Aussenpolitik eine grosse Belastung.

Immerhin – ohne Prophet sein zu wollen – könnten wir uns neben den Einwanderungsabkommen ein Referendum vorstellen gegen Doppelbesteuerungs- oder Entschädigungsabkommen, dann auch gegen Vereinbarungen mit Staaten wie Israel, Südafrika, oder der DDR. Zu denken wäre schliesslich auch an die europäische Menschenrechtskonvention, welche in letzter Zeit wegen der Unvereinbarkeit mit unserem Militärstrafrecht wiederholt kritisiert worden ist8.

Was ein solches Referendum – genau genommen handelt es sich um eine Volksinitiative auf Kündigung eines Staatsvertrages – für unser Land und unsere Aussenbeziehungen bedeuten würde, lässt sich leicht vorstellen: die anfangs vielleicht noch sachliche Kritik an einem Vertrag würde bald in eine gefühlsbetonte Polemik gegen bestimmte Staaten oder Regimes ausarten9. Die Folge davon wären offizielle Demarchen und Proteste sowie eine merkliche Abkühlung des aussenpolitischen Klimas, die bis zum Einfrieren bestehender Kontakte oder zum Abbruch laufender Vertragsverhandlungen gehen könnte. Die Kündigung des Vertrages würde es schliesslich mit sich bringen, dass als Retorsionsmassnahme höchst wahrscheinlich auch uns gegenüber Verträge gekündigt würden, und zwar Verträge, an deren Bestehen unser Land ein vitales Interesse hat.

Wir hoffen, Ihnen mit diesen Angaben gedient zu haben und versichern Sie, Herr Nationalrat, unserer vorzüglichen Hochachtung.

1
Schreiben: (Kopie): CH-BAR#E2001E-01#1988/16#479* (B.14.20.(01)).
2
Schreiben von H. Hubacher an das Politische Departement vom 19. Januar 1977, dodis.ch/52934.
3
Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Neuordnung des Staatsvertragsreferendums vom 23. Oktober 1974, BBl, 1974, II, S. 1133–1176.
4
Presserohstoff des Politischen Departements vom 23. Oktober 1974, CH-BAR#E2001E-01#1987/78#324* (B.14.20.(1)).
5
Abkommen zwischen der Schweiz und Italien über die Auswanderung italienischer Arbeitskräfte nach der Schweiz vom 10. August 1964, AS, 1964, S. 399–410. Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 37, dodis.ch/30798; Dok. 48, dodis.ch/30799, bes. Anm. 2; Dok. 53, dodis.ch/30796 und Dok. 54, dodis.ch/30797.
6
Abkommen zwischen der Schweiz und Spanien über die Anwerbung spanischer Arbeitskräfte und deren Beschäftigung in der Schweiz vom 2. März 1961, AS, 1961, S. 982–988. Vgl. dazu DDS, Bd. 22, Dok. 155, dodis.ch/30019 und DDS, Bd. 24, Dok. 10, dodis.ch/32342.
7
Die Abstimmung über die Volksinitiative Gegen die Beschränkung des Stimmrechts bei Staatsverträgen mit dem Ausland fand am 13. März 1977 statt. Sie wurde mit 70.5% Nein-Stimmen und von sämtlichen Ständen abgelehnt. Der Gegenentwurf des Bundesrats zur Neuordnung des Staatsvertragsreferendums wurde mit 61% Ja-Stimmen und von 18 5/2 Ständen angenommen. Vgl. BBl, II, S. 197–205.
8
Vgl. dazu DDS, Bd. 27, Dok. 61, dodis.ch/48720.
9
Zum Thema der öffentlichen Meinung und Aussenpolitik vgl. das Protokoll der Sitzung vom 19. November 1977 der Arbeitsgruppe Historische Standortbestimmung, dodis.ch/34219.