Heute Mittwoch, 18.4. sucht mich der Botschafter der DDR (B[ibow]2) auf mit folgendem Anliegen:
1. Er übergibt die «Gemeinsame Erklärung aller Fraktionen der Volkskammer» vom 12.4.1990 (Beilage3). Bei der aus den Medien in den Hauptpunkten ja bekannten Erklärung handelt es sich, in den Worten von B [ibow] , um eine Generalabrechnung mit der bisher von der DDR verleugneten unseligen Vergangenheit der Deutschen, sowie späterer unrühmlicher DDR-Aktionen. Offizielle Entschuldigungen werden das jüdische Volk und Israel, an die Sowjetunion, an die CFSR (wegen der Niederschlagung des Prager Frühlings) gerichtet und die Unverletzlichkeit der gegenwärtigen polnischen Westgrenze festgestellt.
2. B[ibow] unterstreicht weiter das Interesse der neuen Regierung an bilateralen Beziehungen mit der Schweiz. Er erkundigt sich nach einem möglichen Termin des grundsätzlich bereits festgelegten Besuches von Staatssekretär Jacobi4 in Berlin. Der Unterzeichnete bestätigt dieses Interesse und schlägt Juli 1990 vor5.
Der Ball liegt nun auf Seiten der DDR, welche mit einem konkreten Datumsvorschlag aufwarten will, sobald die Person des Gastgebers, des künftigen Nr. 2 im A[ussenministerium] bekannt ist. Laut B[ibow] wird der derzeitige interimistische Inhaber, Fleck, sehr wahrscheinlich abgelöst (Nier6 wurde bereits vor einiger Zeit in Pension geschickt) und durch einen Politiker der DSU (CSU der DDR) ersetzt. Der sozialdemokratische neue AM Meckel7 habe sich bereits dahingehend geäussert, dass er mit einem DSU-Mann leben könne.
3. Schliesslich kommt B[ibow] auf die Visafrage zu sprechen. Die praktischen Schwierigkeiten zur Bewältigung schweizerischer Visagesuche würden an seiner Botschaft immer grösser. (Ein schweizerisches Visagesuch muss via ein Reiseunternehmen eingereicht werden und gelangt nach 4–8 Wochen und Bewilligungsverfahren interner DDR-Behörden (laut B[ibow] u. a. zur Sicherung der Unterkunft) an die hiesige Botschaft zur Ausstellung) Direktvisaausstellung könne er, B[ibow], nur in Ausnahmefällen gestatten. Ich weise B[ibow] auf die Diskrepanz hin im Fristenzug (DDR 4–8 Wochen, schweizerische Visa für DDR-Bürger höchstens 24 Stunden); B[ibow] habe dieses Problem bereits mit Berlin aufgenommen und werde dies nun wieder tun, um von seinen Behörden erweiterten Spielraum für Direktvisaausstellung zu erhalten.
Grundsätzlich, darin sind sich B[ibow] und der Unterzeichnete einig, kann das Problem aber nur durch Abschaffung des Visazwangs gelöst werden. B[ibow] erklärt die Bereitschaft der DDR-Regierung, durch eine formlose, mündliche und gegenseitige Erklärung den Visazwang probeweise mit unmittelbarer Wirkung aufzuheben. Nach Ablauf der Probefrist könne die Aufhebung vertraglich abgesichert werden. Die DDR sei z.B. mit Österreich so vorgegangen.