dodis.ch/48679Der schweizerische Botschafter in Moskau, R. Faessler, an die Politische Direktion des Politischen Departements1

Haltung der sowjetischen Stellen gegenüber unserem Land

Vertraulich

Nachdem die letzten Spionagefälle2 in der Schweiz, in welche Sowjetbürger verwickelt waren, bekannt geworden sind, hatte sich anfänglich in der Haltung der sowjetischen Stellen gegenüber unserem Land und auch mir persönlich gegenüber nichts geändert. Im Gegenteil, es war eine ausgesprochene Höflichkeit und fast Herzlichkeit zu bemerken.

Langsam wird aber — wie wir dies in den letzten Wochen erfahren haben — die Schraube zugedreht und es ist zu befürchten, dass wir in eine Periode des «kalten Krieges» treten.

Verschiedene Vorkommnisse bestätigen mich in dieser Auffassung. Ich möchte nur einige Beispiele erwähnen.

Die Tagung der Gemischten Kommission3, die hier in Moskau stattfinden sollte, wird immer wieder verschoben und es ist uns bis jetzt nicht gelungen, ein Datum festzusetzen. Zuerst hiess es, der sowjetische Vorsitzende4 der Kommission weile in den Ferien, nachher war er krank und daraufhin begab er sich nach Schweden, um die schwedisch-sowjetische Kommission zu präsidieren.

Die gleichen Schwierigkeiten zeigen sich hinsichtlich der Festsetzung eines Termins für das schon lange vorgesehene Treffen zwischen einer schweizerischen und einer sowjetischen Delegation betreffend Entschädigungsfragen5. Auch hier wird immer wieder ausweichend geantwortet.

Ebenso sind die Konsularfälle nicht leichter geworden. Als Beispiele nenne ich Ihnen

  • - Ablehnung der Berufung unseres Landsmannes Schaffner6,
  • - Rückweisung des Gnadengesuchs Häfelin7,
  • - zweimal Ausreiseverweigerung für die ehemalige russische Staatsbürgerin Zellweger8,
  • - Ablehnung eines Konsularbesuchs bei Häfelin (der Besuch war mündlich bereits bewilligt, wurde jedoch durch eine Note9 annulliert).

Die Beziehungen zwischen uns und den verschiedenen Wirtschaftsministerien, Staatskomitees und der Handelskammer sind weiterhin gut. Man hört aber, dass die Geschäfte für unsere Schweizerindustrie schwieriger geworden sind und dies offenbar nicht nur wegen Preis- und Qualitätsfragen10. So hat z. B. Sulzer letzte Woche einen wichtigen Auftrag zu Gunsten einer deutschen Firma verloren.

P. S. Heute ist aufgrund unserer Intervention der Konsularbesuch bei W. Häfelin bewilligt worden. Ferner wurde auch ein Datum für die Verhandlungen mit unserer Delegation betreffend Entschädigungsforderungen11 angesetzt. Moskau, 2.11.1976.

1
Schreiben: CH-BAR#E2001E-01#1988/16#5295* (B.15.11.(02)). Visiert von A. Hegner und C. Caratsch. Kopie an L. Rochat und E. Diez.
2
Vgl. dazu die Notiz von K. O. Wyss vom 13. April 1976, dodis.ch/50907 sowie Doss. CH-BAR#E2001E-01#1988/16#5291* (A.44.21). Zur Jeanmaire-Affäre vgl. DDS, Bd. 27, Dok. 47, dodis.ch/48692 und Dok. 51, dodis.ch/52005.
3
Vgl. dazu den Bericht von C. Sommaruga vom 25. Januar 1977, dodis.ch/48680.
4
Je. S. Jastrebow.
5
Vgl. dazu das Schreiben von E. Thalmann an J. de Stoutz vom 23. März 1972, dodis.ch/35656.
6
Vgl. dazu Doss. CH-BAR#E2001E-01#1991/17#11966* (B.32.14.R.).
7
Vgl. dazu die Notiz von A. Hegner an P. Graber vom 25. August 1976, dodis.ch/49659 sowie Doss. CH-BAR#E2001E-01#1991/17#11962* (B.32.14.R.). Zum weiteren Verlauf dieser Angelegenheit vgl. DDS, Bd. 27, Dok. 132, dodis.ch/49335.
8
Vgl. dazu Doss. CH-BAR#E2001E-01#1988/16#5324* (B.35.51.2). Vgl. ferner die Notiz von A. Maillard an A. Hegner vom 19. Oktober 1977, dodis.ch/49656.
9
Vgl. dazu das Telegramm Nr. 315 von R. Faessler an das Politische Departement vom 29. Oktober 1976; CH-BAR#E2001E-01#1991/17#11962* (B.32.14.R.).
10
Vgl. dazu die Notiz von M. de Schoulepnikoff vom 8. April 1976, dodis.ch/48682 sowie das Schreiben von L. Roches an R. Faessler vom 18. November 1976, dodis.ch/48748.
11
Vgl. dazu die Notiz von S. Pauli vom 21. Februar 1977, dodis.ch/48683 sowie die Notiz von B. Dumont an die Politische Abteilung I des Politischen Departements vom 19. Mai 1978, dodis.ch/48684.