dodis.ch/48366Der Direktor der Direktion für internationale Organisationen, F. de Ziegler, an die Politische Direktion des Politischen Departements1

Gipfeltreffen der blockfreien Staaten (Colombo, August 1976)

Wir beziehen uns auf Ihre Notiz vom 6. Februar 19762 betreffend eine allfällige Teilnahme der Schweiz an der Konferenz der blockfreien Staaten in Colombo und können Ihnen dazu folgendes mitteilen:

1. Das Problem ist, wie Sie wissen, nicht neu. Es wurde schon letztes Jahr in aller Breite besprochen; die Diskussion endete mit einem negativen Entscheid des Departementschefs3 in bezug auf die Konferenz von Lima vom August 1975. Die Frage einer allfälligen schweizerischen Beteiligung in Colombo wurde jedoch offen gelassen4.

2. An der Konferenz von Lima nahmen 80 Staaten und die OLP als Mitglieder teil. Bolivien, Brasilien, Ecuador, Mexiko, San Salvador, Uruguay, Venezuela, einige Befreiungsbewegungen, die sozialistische Partei von Puerto Rico, die UNO, die OUA, die Arabische Liga und die Organisation de solidarité des peuples d'Afrique, d'Asie et d'Amérique latine (OSPAAA) hatten ein Beobachterstatut, das die Teilnahmeberechtigung an allen Sitzungen und ein Mitspracherecht in sich schliesst. Australien, Finnland, Guatemala, Honduras, Österreich, die Philippinen, Portugal, Rumänien und Schweden nahmen in der Eigenschaft von «eingeladenen Staaten» an der Konferenz teil; dieser Status erlaubt nur die Anwesenheit (nicht aber das Mitspracherecht) an der Generaldebatte und die Überlassung der – in der Regel allerdings spärlichen – Dokumente. In die Arbeit der Kommissionen erhalten die Eingeladenen keinen Einblick.

3. Aufrund dieses Szenarios, das in Colombo wahrscheinlich ähnlich sein wird, stellt sich für uns wiederum die Frage, ob die Schweiz sich von der Konferenz einladen lassen solle oder nicht. Obschon der Status der «Eingeladenen» nicht sehr befriedigend ist, sind wir der Ansicht, dass wir eine solche Einladung provozieren sollten, und zwar aus folgenden Gründen:

  • a) Neutralitätspolitische Erwägungen würden uns sicher von einer Teilnahme als Vollmitglied der Konferenz, so gut wie sicher aber auch von einer solchen als Beobachter abhalten. Einer Teilnahme als eingeladener Staat würde unseres Erachtens jedoch nichts entgegenstehen. Der Unterschied zwischen Neutralitätspolitik und Neutralismus wäre damit schon rein optisch hervorgehoben; sicher ergäbe sich auch die Gelegenheit, dem einen oder andern Teilnehmer diesen Unterschied – den immer noch allzu viele Leute nicht kennen – zu erklären. Eine völlige Abwesenheit von der Konferenz genügt jedoch als Erklärung nicht; es gibt ohnehin bereits Anzeichen, die darauf hindeuten, dass unsere bisherige Abwesenheit an diesen Konferenzen nicht verstanden wird (s. Aktennotiz von Herrn Luciri vom 19. August 19755, Seite 2; ad p.B.73.8.21.).

    Die Aufnahme eines Punktes in die Traktandenliste von Colombo, der ungefähr wie folgt lauten wird: «Étude des mesures de solidarité sur le plan militaire que pourraient prendre les pays non-alignés lorsqu'un des leurs est la victime d'une intervention armée étrangère» bestärkt uns in der Feststellung, dass wir über den «Eingeladenen-» Status nicht hinausgehen sollten6.

  • b) Die Konferenz befasst sich, wie aus der provisorischen Traktandenliste hervorgeht, mit allen wichtigen weltpolitischen Fragen der Gegenwert. Die blockfreien Staaten bilden eine Mehrheit nicht nur in der UNO, sondern auch in den meisten Spezialorganisationen, denen wir ebenfalls angehören. Ihre Haltung kann uns deshalb schon aus diesem Grunde nicht gleichgültig sein, ganz abgesehen davon, dass gewisse Tendenzen, die sich innerhalb dieser Gruppe abzeichnen für uns ein ganz generelles Interesse haben. Wir haben mit andern Worten ein Bedürfnis, über die Arbeiten der Konferenz so gut als möglich informiert zu sein. Der Status eines eingeladenen Staates würde uns auf diesem Gebiet die Arbeit erleichtern.

4. Die Konferenzen der blockfreien Staaten haben ihre Auswirkungen vor allem7 auf multilateralem Gebiet. Sie haben ihren festen Platz im internationalen Konferenzkalender, wobei die Teilnehmer der Konferenzen (zu denen dieses Jahr neben den Routinekonferenzen im UNO-System auch die UNCTAD IV8 und HABITAT9 gehören) oft die gleichen sind. Eine Teilnahme würde es deshalb ermöglichen, nützliche Kontakte zu knüpfen und um die Unterstützung der blockfreien Staaten in Fragen zu werben, die uns direkt interessieren. Als Beispiel sei hier an die eventuelle Verlegung von UNO-Einheiten von Genf nach Wien10. erinnert, die an der 31. Generalversammlung der Vereinten Nationen wieder zur Sprache kommen wird.

5. Es kann nicht in unserem Interesse liegen, die Gegensätze zwischen den blockfreien Staaten und uns hochzuspielen. Wir müssen vielmehr darauf bedacht sein, die Tendenz zu solchen Auseinandersetzungen zu bekämpfen. Unsere Anwesenheit in Colombo würde unseren Wunsch nach Kontakt mit den Blockfreien manifestieren11.

6. Die Entwicklungen auf multilateralem Gebiet, von denen die Konferenzen der Blockfreien, wie gesagt, ein wesentlicher Bestandteil sind, müssen von uns umso mehr verfolgt werden, als wir dieses Jahr unsere Beziehungen zum System der Vereinten Nationen im Rahmen des dritten Berichts12 des Bundesrates neu überdenken müssen. Es geht vor allem darum, ein Dossier zusammenstellen, das möglichst vollständig und in jeder Hinsicht vertretbar ist.

1
Notiz: CH-BAR#E2001E-01#1988/16#936* (B.73.8.21). Verfasst von A. Kamer. Kopie an die ständige Mission der Schweiz bei den internationalen Organisationen in Genf und an das Bureau des schweizerischen Beobachters bei den Vereinten Nationen in New York. Visiert von J. Iselin, H. Kaufmann und P. Luciri.
2
Notiz von J. Iselin vom 6. Februar 1976, dodis.ch/48367. Zu den Rückmeldungen der anderen um Stellungnahme gebetenen Dienststellen vgl. Doss. wie Anm. 1.
3
P. Graber. Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 165, dodis.ch/38984.
4
Vgl. dazu auch die Notiz von H. Kaufmann vom 24. September 1975, dodis.ch/48365.
5
Notiz von P. Luciri vom 19.August 1975, dodis.ch/38987.
6
Zu den politischen Tendenzen innerhalb der Bewegung blockfreier Staaten vgl. das Schreiben von S. Marcuard an A. Weitnauer vom 18. März 1976, dodis.ch/48370.
7
Handschriftliche Marginalie von P. Luciri: L'intérêt des OI est légitime sans qu'il soit nécessairement prépondérant!
8
Vgl. dazu die Erklärung von P. R. Jolles vom 7. Mai 1976, dodis.ch/40899; den Bericht der Abteilung für Entwicklungspolitik der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements vom 15. Juni 1976, dodis.ch/40900 sowie die Aufzeichnung des Volkswirtschaftsdepartements vom 10. August 1976, dodis.ch/51582.
9
Zur Teilnahme der Schweiz an der HABITAT-Konferenz in Vancouver vgl. das BR-Prot. Nr. 484 vom 15. März 1976, dodis.ch/51882.
10
Vgl. dazu DDS, Bd. 27, Dok. 25, dodis.ch/48714 sowie das Schreiben von R. Keller an A. Weitnauer vom 14. Juli 1976, dodis.ch/48371.
11
Zur Teilnahme einer schweizerischen Delegation an der Gipfelkonferenz von Colombo vgl. DDS, Bd. 27, Dok. 153, dodis.ch/48358.
12
Bericht über das Verhältnis der Schweiz zu den Vereinten Nationen und Spezialorganisationen für die Jahre 1972–1976 des Bundesrats vom 26. Juni 1977, dodis.ch/51532. Vgl. dazu DDS, Bd. 27, Dok. 2, dodis.ch/51501.