dodis.ch/48358Antrag des Politischen Departements an den Bundesrat1

Aussenministerkonferenz der Blockfreien Staaten in Belgrad vom 25. bis 29. Juli 1978

Am 12. Mai 19762 ermächtigte der Bundesrat das Politische Departement auf Grund verschiedener Erläuterungen, eine allenfalls von der Bewegung der Blockfreien Staaten ausgehende Einladung anzunehmen. Demnach konnte die Schweiz als «Gast» («invité») an der 5. Gipfelkonferenz dieser Staaten in Colombo im August 1976 teilnehmen.

Die Blockfreien unterscheiden zwischen Vollmitgliedern – zurzeit sind es 87 Staaten – mit Interventions- und Stimmrecht; «Beobachtern», die sich an den Diskussionen beteiligen können; und eben «Gästen». Der Status dieser letzteren erlaubt es ihnen, alle Beratungen der Blockfreien zu verfolgen, über die Konferenzdokumente zu verfügen, vor allem aber ihr Interesse für die Anliegen der Dritten Welt zu bezeugen.

Andere neutrale Staaten wie Österreich, Schweden und Finnland hatten von diesen Möglichkeiten schon seit 1973 Gebrauch gemacht. Das frühere Abseitsstehen unseres Landes, das wegen seiner Nichtmitgliedschaft bei den Vereinten Nationen zuweilen ohnehin als Aussenseiter angesehen wird, hatte bei manchen Ländern der Dritten Welt den Eindruck bestärkt, der «Reiche» halte den Problemen der «Habenichtse» gegenüber vornehme Distanz3. Solchen Vorurteilen, die unsere Stellung in der Völkergemeinschaft nachteilig beeinflussen konnten, galt es entgegenzuwirken.

Diese Überlegungen veranlassten das Politische Departement seinerzeit, gestützt auf den Bundesratsbeschluss vom 12. Mai 1976, ein Einladungsschreiben4 der Regierung von Sri Lanka zur Beschickung der Gipfelkonferenz von Colombo in zustimmendem Sinne zu beantworten5. Eine aus Vertretern des Politischen und des Volkswirtschaftsdepartements zusammengesetzte Delegation6 folgte den Beratungen der Blockfreien Staaten in Colombo vom 9.–19. August 1976 und erstattete Ihnen über ihre Eindrücke am 24. August 1976 Bericht7.

Als Fazit konnte die Delegation damals festhalten, dass unsere Anwesenheit in Colombo sich durchaus rechtfertigte. Sie wurde von den Mitgliedern der Blockfreien Staaten wohlwollend vermerkt, war somit geeignet, bei den Ländern der Dritten Welt, die den Hauptharst der Bewegungen stellen, vermehrt Sympathien für die Schweiz zu wecken. Der Teilnahme-Modus als «Gast» der Blockfreien bewährte sich als – neutralitätspolitisch unbedenkliche – Möglichkeit, Interesse für die Sorgen dieser Staatengruppen zu zeigen, ohne selbst dazu Stellung nehmen zu müssen.

Vor allem aber erlaubte die schweizerische Präsenz in Colombo eine gründlichere, differenziertere Beurteilung der Blockfreien Bewegung. Gewiss war beim einen oder anderen Mitglied ideologische Voreingenommenheit festzustellen. Dies traf jedoch nicht für die Blockfreien als Gesamtheit zu. Viele Konferenzteilnehmer liessen Unbehagen wegen der Propagierung radikaler Thesen durch andere erkennen. In Colombo zeigten sich Anzeichen dafür, dass die Blockfreien Staaten, über den Umweg grösserer eigener Anstrengungen, ein wachsendes, entkrampftes Selbstvertrauen entwickeln würden.

Gemäss den Beschlüssen des letzten Gipfeltreffens findet vom 25. bis 29. Juli 1978 eine Konferenz der Aussenminister aller Blockfreien Staaten statt, mit deren Durchführung Jugoslawien beauftragt ist. Als in Colombo vertretenes Land wurde auch die Schweiz vom jugoslawischen Aussenministerium kürzlich über die Vorbereitungen für die Tagung in Belgrad orientiert und um Bekanntgabe ihrer Teilnahmeabsichten gebeten8.

Unter den Institutionen der Blockfreien, die in letzter Zeit ständig ausgebaut wurden, gelten traditionsgemäss als höchste Organe: einerseits die in mehrjährigen Abständen durchgeführten Gipfelkonferenzen (1961 Belgrad9, 1964 Kairo10, 1970 Lusaka11, 1973 Algier12, 1976 Colombo13) und anderseits dazwischen jeweils Aussenministertreffen. Nur zu diesen zwei Arten von Anlässen laden die Blockfreien regelmässig «Gäste» ein.

Wir halten dafür, dass die Erwägungen, die Ihrem Beschluss vom 12. Mai 1976 zugrunde lagen, im Lichte der neuesten weltpolitischen Entwicklung heute ebenso zutreffen wie damals. Nach den vorliegenden Informationen werden in Belgrad als Gesprächsthemen einen prominenten Platz einnehmen u. a.: Entwicklung in politischen Konfliktherden wie Australafrika, Naher Osten, Westsahara, Indochina, Korea, Lateinamerika, Zypern; wirtschaftlicher Nord-Süd Dialog, usw. Sicher ist es für uns nützlich, diese Diskussionen, die auch eigene wichtige Interessen berühren, aus der Nähe verfolgen zu können.

Ihr Einverständnis vorausgesetzt, beabsichtigt das Politische Departement demgemäss, die Einladung zur Entsendung einer «Gast»-Delegation an die Aussenminister-Konferenz der Blockfreien im kommenden Juli anzunehmen. Wir sehen eine kleine Delegation vor, die sich wie folgt zusammensetzen würde:

  • – Botschafter Jürg Iselin, Chef der (für alle Entwicklungsländer zuständigen) Politischen Abteilung II unseres Departements.
  • – Botschafter14 Edouard Brunner, diplomatischer Berater für Sonderaufgaben, zu dessen Obliegenheiten spezifische Fragen im Zusammenhang mit der Bewegung der Blockfreien gehören.
  • – Selbstverständlich würde auch unser Botschafter in Belgrad, Dr. Hansjörg Hess, der Delegation angehören.
  • – Der Handelsabteilung des EVD steht es frei, ein weiteres Delegationsmitglied zu bezeichnen, sofern sie dies als angezeigt erachtet.15
1
Antrag: CH-BAR#E1004.1#1000/9#857*. Verfasst von J. Iselin und unterzeichnet von P. Aubert.
2
BR-Prot. Nr. 816 vom 12. Mai 1976, dodis.ch/48368.
3
Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 165, dodis.ch/38984 sowie DDS, Bd. 27, Dok. 7, dodis.ch/48366.
4
Schreiben von S. R. D. Bandaranaike an P. Graber vom 24. Juni 1976, dodis.ch/48359. Zu den Reaktionen auf die schweizerische Initiative vgl. das Rundschreiben von J. Iselin an die schweizerischen Vertretungen vom 22. Juni 1976, dodis.ch/48369.
5
Schreiben von R. Gnägi an S. R. D. Bandaranaike vom 14. Juli 1976, dodis.ch/48584.
6
Zur Zusammensetzung der Delegation vgl. die Notiz von F. de Ziegler an die Politische Abteilung II des Politischen Departements vom 15. Juli 1976, dodis.ch/48586; die Notiz von J. Iselin an P. Graber vom 15. Juli 1976, dodis.ch/48360 sowie das Telegramm Nr. 30 von J. Iselin an die schweizerische Botschaft in Colombo vom 23. Juli 1976, CH-BAR#E2001E-01#1988/16#937* (B.73.8.21).
7
Notiz von P. Graber an den Bundesrat vom 24. August 1976, dodis.ch/48362. Vgl. ferner den Bericht von H. Kaufmann und F. Rothenbühler vom 23. August 1976, dodis.ch/48361.
8
Schreiben von J. Vrhovec an P. Aubert vom 9. Juni 1978, dodis.ch/48372.
9
Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 3, dodis.ch/30896, Anm. 6.
10
Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 40, dodis.ch/31553, Punkt 2.
11
Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 153, dodis.ch/32372.
12
Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 165, dodis.ch/38984.
13
Vgl. dazu DDS, Bd. 27, Dok. 7, dodis.ch/48366.
14
Zur Verleihung des Botschaftertitels an E. Brunner vgl. DDS, Bd. 27, Dok. 133, dodis.ch/51430.
15
Der Antrag wurde vom Bundesrat ohne Änderungen angenommen. Als Vertreter der Handelsabteilung wurde P. Niederberger an die Konferenz delegiert. Vgl. das BR-Prot. Nr. 1107 vom 5. Juli 1978, dodis.ch/48358. Zum Verlauf der Konferenz vgl. den Bericht von J. Iselin, E. Brunner, H. Hess und P. Niederberger vom 10. August 1978, dodis.ch/48363 sowie das BR-Prot. Nr. 1341 vom 23. August 1978, dodis.ch/48364. Vgl. auch das Exposé von P. Aubert vom 1. September 1978, dodis.ch/48269, Punkt II.