dodis.ch/46752 Le Chef de la Division de Police du Département de Justice et Police, H. Rothmund, au Cortsul général de Suisse en Bolivie, O.E. Obrist1

Die Schweiz ist durch die Emigration aus Deutschland in eine ausserordentlich heikle Lage gekommen. Obwohl wir wegen der grossen Überfremdung unseres Landes und der Arbeitslosigkeit nur ein Fransitland sein können für die Emigranten, konnten wir angesichts der Verfolgung der Juden in Deutschland unsere Grenze nicht verschliessen und mussten, um unserer Tradition getreu zu bleiben, einer grossen Zahl solcher Emigranten das Überschreiten der Grenze ermöglichen, trotzdem ihre Weiterreise nicht gesichert war. Wohl haben sich der Schweizerische Israelitische Gemeindebund und der Verband Schweizerischer Israelitischer Armenpflegen von allem Anfang an bereit erklärt, für die Kosten für Unterkunft und Verpflegung der mittellosen Emigranten während ihres Aufenthaltes in der Schweiz aufzukommen. Diese belaufen sich aber heute auf ungefähr 250000 Franken pro Monat. Dazu kommt, dass die grosse Zahl der Flüchtlinge die öffentliche Meinung in der Schweiz zu beunruhigen beginnt. Wir haben deshalb ein grosses Interesse daran, für diese Leute in allerkürzester Frist definitive Auswanderungsgelegenheiten zu finden. Leider ist das heute ausserordentlich schwer. Der Erfolg der Bestrebungen des Hochkommissärs in London wird vermutlich noch geraume Zeit auf sich warten lassen. Wir müssen deshalb alle Möglichkeiten der Weiterwanderung von Einzelpersonen oder von Gruppen von Emigranten ergreifen und ausschöpfen.

Die Israelitische Fürsorgestelle in Zürich hat sich mit dem dortigen Generalkonsul von Bolivien ins Einvernehmen gesetzt, um zu erreichen, dass etwa 250 Emigranten nach Bolivien übersiedeln können. Dieser hat sich bereit erklärt, das Gesuch bei seiner Regierung zu unterstützen. Die Gruppe würde bestehen zur Hauptsache aus gelernten Ingenieuren, Mechanikern, Metallarbeitern, Elektrotechnikern, Schlossern, Schreinern, Spenglern, Textilarbeitern und Landwirten, die sorgfältig ausgesucht würden. Das bolivianische Generalkonsulat würde alles gesammelte Material zur Überprüfung erhalten.

Wir wurden ersucht, Sie zu bitten, diese Auswanderungsaktion durch Intervention bei der bolivianischen Regierung zu unterstützen. Da dabei ein schweizerisches Interesse besteht und wir nach langjähriger Zusammenarbeit mit den schweizerischen jüdischen Hilfsstellen für die Emigranten von deren Loyalität und Zuverlässigkeit überzeugt sind, ersuchen wir Sie, im Einverständnis mit der Abteilung für Auswärtiges des Politischen Departements, die Ihnen geeignet erscheinenden Schritte bei der bolivianischen Regierung unternehmen zu wollen. Wir hoffen dabei, es möchte möglich sein, nach Durchführung dieser ersten Auswanderungsaktion noch weitere folgen lassen zu können. Schon aus diesem Grunde wird die Auswahl der Auszuwandernden ganz besonders sorgfältig getroffen werden. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie die Sache im Auge behalten und den Ihnen später günstig erscheinenden Zeitpunkt ergreifen würden, um das Terrain auch für weitere Gruppen von Emigranten abzutasten und vorzubereiten.

Durchschlag dieses Schreibens geht Ihnen per Luftpost zu. Wir legen dem Original den Wortlaut der Antwort des Herrn Bundespräsidenten auf die Interpellationen Trümpy und Müller im Nationalrat2 zur Flüchtlingsfrage bei, dem Sie unsere Situation entnehmen wollen.

1
Lettre (Copie): E 2001 (D) 3/271.
2
Cf. No 471, note 1.