dodis.ch/46292 Le Chef du Département politique, G. Motta, au Rédacteur en chef du « Vaterland» et Conseiller national, K. Wick1

Empfangen Sie meinen besten Dank für Ihre liebenswürdigen Zeilen vom 15. d.M.2. Es ist mir eine grosse Genugtuung, neuerdings durch Sie die Versicherung zu erhalten, dass Sie Ihren Einfluss dafür einsetzen, um in der Öffentlichkeit den Leistungen des Politischen Departements zu einer objektiven Würdigung zu verhelfen.

Was die Besprechungen vom kommenden Sonntag im Zentralvorstand der schweizerischen Völkerbundsvereinigung betreffend die Anerkennung der gegenwärtigen Verhältnisse in Äthiopien durch die Schweiz anbelangt, so bin ich selbstverständlich gerne bereit, Ihrem Wunsche zu entsprechen. Sie finden beiliegend einen Auszug aus dem Protokoll der einschlägigen Sitzung des Bundesrates vom 23. Dezember 1936, anlässlich welcher beschlossen wurde, den Zuständigkeitsbereich der Schweizerischen Gesandtschaft in Rom, unter Anerkennung der italienischen Souveränitätsrechte in Äthiopien, auf das Äthiopische Kaiserreich auszudehnen.

Ich darf Sie bitten, die Tatsache, dass Ihnen dieses Dokument zur Verfügung gestellt wurde, als streng vertraulich zu betrachten. Es steht Ihnen jedoch frei, von der darin entwickelten Argumentation den Ihnen gutscheinenden Gebrauch zu machen. Die Überlegungen, von denen sich der Bundesrat leiten liess, sind ja schliesslich nicht andere als die des gesunden Menschenverstandes und stellen daher kein Geheimnis dar3.

Ich möchte nicht unterlassen zu erwähnen, dass, wie auch in dem in der Presse viel diskutierten Protest des Negus4 hervorgehoben wurde, in der Tat eine Völkerbundsresolution vom 11. März 1932 vorliegt, laut welcher nie eine Lage anerkannt werden dürfte, die durch Mittel geschaffen wird, welche dem Völkerbundspakt entgegenstehen. Laut sinngemässer Interpretation ist diese Resolution wohl so zu verstehen, dass eine derartige, tatsächliche Lage nicht anerkannt werden darf, solange eine gewisse Aussicht zur Wiederherstellung der frühem Verhältnisse besteht. Wenn aber die normative Macht der Tatsachen sich, wie im vorliegenden Fall, so stark durchsetzt, dass sogar Grossmächte wie Grossbritannien und Frankreich die bestehende Lage durch Umwandlung ihrer Gesandtschaften in Konsulate anerkennen, so liegt für die Schweiz wahrlich kein Grund vor, durch starres Festhalten am Buchstaben einer Resolution der Vorteile verlustig zu gehen, die mit einer entgegenkommenden Geste einem mächtigen Nachbarn gegenüber verbunden sind. Der blossen de facto-Anerkennung durch Frankreich und Grossbritannien gegenüber hat unsere Anerkennung, die als de jure-Anerkennung gewertet werden kann, obschon sie eine solche Distinktion nicht macht, den Vorteil der Klarheit und Geradheit. Nach Erachten des Bundesrates bestand nämlich kein Interesse daran, nach Aufhebung der Sanktionen Italien durch Nichtanerkennung einer Lage, die endgültig sein dürfte und die niemand zu ändern gesonnen ist, der internationalen Zusammenarbeit und dem Völkerbund nutzlos ferne zu halten.

Ich habe mich Ihnen gegenüber über dieses heikle und wichtige Problem in voller Offenheit ausgesprochen in der Hoffnung, dass Sie meinen Gedankengängen Ihr Verständnis nicht versagen werden.

1
Lettre (Copie): E 2001 (D) 1/32. Paraphe: NB.
2
Dans cette lettre K. Wick écrivait: Nächsten Sonntag tritt in Bern der Zentralvorstand der schweizerischen Völkerbundsvereinigung zu einer Sitzung zusammen zur Besprechung der de jure Anerkennung der Annexion Äthiopiens durch Italien. Ich werde an dieser Sitzung als Vorstandsmitglied ebenfalls teilnehmen. Ich besitze nun zu wenig Unterlagen, um mich fruchtbar an der Aussprache beteiligen zu können. Dürfte ich Sie bitten, mir durch Ihr Departement einige solche Unterlagen zur Verfügung stellen zu lassen, soweit ich von ihnen in der Sitzung Gebrauch machen kann.
3
Concernant l’argumentation utilisée dans cette affaire, une lettre de Bonna du 8 février 1937 à la Légation de Suisse à Téhéran précise: Die in dem Ihnen zugehenden Dokument [cf. DDS 11, No 337]entwickelte Argumentation wäre etwas anders ausgefallen, wenn uns bei Ausarbeitung des Antrages an den Bundesrat die Völkerbundsresolution vom 11. März 1932 Vorgelegen hätte. In dieser Resolution, die der Negus in seinem hier ebenfalls in Kopie angehefteten, durch den Bundesrat unbeantwortet gelassenen Protest anruft, sieht nämlich vor, dass nie eine Lage anerkannt werden dürfe, die durch Mittel geschaffen sei, welche dem Völkerbundspakt entgegenstünden. Indessen hätte auch die Berücksichtigung dieser Resolution die schweizerische Haltung nicht ändern können. Dans une lettre personnelle du 11 février 1937 à Mme Olga Haffter, de Frauenfeld, Motta donne des informations complémentaires sur l’attitude du Gouvernement: Je viens de recevoir votre lettre d’hier. Il m’est naturellement impossible de répondre en personne à chaque lettre que je reçois. Je fais une exception pour vous, car je sais que votre bonne foi est entière et que vous obéissez aux sentiments les plus respectables. Je dois cependant vous rendre attentive au fait qu’une reconnaissance comme celle dont il s’agit n’implique d’aucune façon un jugement moral sur le passé. Il n’est pas douteux que la conquête italienne est définitive et que rien - à vues humaines - ne peut la modifier. Le Conseil fédéral a rendu, je crois, un véritable service à la Société des Nations elle-même en l’aidant à sortir d’une position sans autre issue possible. (J.1.1.1/28).
4
Cf. No 15, annexe.