dodis.ch/45168 Der schweizerische Generalkonsul in Prag, G. F. Déteindre, an den Direktor der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartementes, W. Stucki1

Ich bekenne mich zum Empfange Ihres gesch. Schreibens vom 22. v. Mts.2 betr. die Handelsvertragsverhandlungen mit der Tschechoslowakei und beehre mich, Ihnen mitzuteilen, dass ich in letzter Zeit Gelegenheit hatte, verschiedenen prominenten Persönlichkeiten gegenüber auf das mangelnde Entgegenkommen der tschechoslow. Unterhändler hinzuweisen.

Infolge meiner nun bereits 15 jährigen Tätigkeit am Konsulat sowie meines dreissigjährigen Aufenthaltes im Lande glaube ich in der Lage zu sein, meine objektive Auffassung bekanntzugeben.

Aufgrund der Ein- und Ausfuhrzahlen pro 1924 besteht sicherlich ein gewaltiges Passivum in der Handelsbilanz der Schweiz mit der Tschechoslowakei und ist die genaue Prüfung der Ansätze des csl. Zolltarifes berechtigt. Immerhin glaube ich aufmerksam machen zu müssen, dass die tschechoslowakischen Unterhändler eine sehr schwierige Position haben und die Bedürfnisse der hiesigen Industrie berücksichtigen müssen. Das eigentliche Passivum basiert hauptsächlich auf dem sehr starken Import tschechoslowakischen Zuckers, der 42,3 Millionen Franken ausmacht, somit fast die Hälfte des Importes repräsentiert. Nachdem nun aber die Schweiz immer in der Lage sein wird, dieses Quantum Zucker aus dem Auslande zu beschaffen, so würde, wenn die schweizerischen Zuckerzölle gegenüber der Tschechoslowakei eine Einfuhr csl. Zuckers verunmöglichen würden, dieses Passivum in der Handelsbilanz eines anderen Staates zum Ausdruck kommen. Das gleiche käme bei höheren Zollsätzen für Malz, Gerste & Hopfen zum Ausdruck, sowie bei landwirtschaftlichen Produkten, die die Schweiz immer gezwungen sein wird, im Auslande zu beziehen.

Was nun das Zuchtvieh anbetrifft, sind die hiesigen Zwischenhändler in einer sehr schwierigen Lage, nachdem bekanntlich die Agrarier hierzulande die mächtigste Partei sind und die Interessen der tschechoslowakischen Viehzuchtverbände in Mähren zu vertreten wissen. Ich hatte Gelegenheit, mit verschiedenen agrarischen Abgeordneten, worunter auch mit dem ehem. Minister Sonntag, zu sprechen und konnte aus deren Äusserungen entnehmen, dass denselben sehr an der Prosperierung der mährischen Rotfleckviehzuchtverbände gelegen ist. Mit dem Moment, in welchem die hiesige Regierung den Zoll für Zuchtvieh namhaft herabsetzen würde, glaube ich, dass auch die Schweiz. Viehzüchter kaum die grosse Konkurrenz der holländischen und deutschen Zuchtviehverbände aushalten könnten, aus welchen Ländern derzeit immer noch namhafte Mengen Zucht- und Milchvieh eingeführt werden. Die Schwierigkeiten, denen die Schweiz. Zuchtviehverbände hier begegnen, liegen nicht in den Zollsätzen für Zuchtvieh, sondern in den bekannt hohen Viehpreisen in der Schweiz.

Dieser Tage erschien auch eine Pressenotiz seitens der Sektion der mährischschlesischen und slowakischen Schokoladefabrikanten, welche anlässlich einer in Olmütz abgehaltenen Sitzung gegen die Schweiz. Forderungen nach Ermässigung des csl. Zolles der Pos. 126 und 127 Protest erhoben. Bekanntlich existierte vor dem Kriege hier noch keine namhafte Schokoladenindustrie, wogegen heute in 27 Unternehmen 25,000 Arbeiter beschäftigt werden, somit ca. fünfmal soviel Arbeiter wie in der schweizerischen Schokoladenindustrie und verlangt natürlich dieser heute bedeutende Industriezweig den Schutz seitens der Regierung.

Der Stickereiindustrie geht es heute auch sehr schlecht und werden speziell in den mit dieser Industrie belebten Gebieten namhafte Arbeitslosenunterstützungen ausbezahlt.

Dasselbe kann von der Bugholzmöbelindustrie gesagt werden, seitens welcher Industrie dieser Tage Protest beim hiesigen Aussenhandelsamt erhoben wurde gegen eine event. Ermässigung des derzeit bestehenden Zolles. Die Industriellen verlangen von der Regierung die Abberufung der derzeitigen Unterhändler unter gleichzeitiger Beiziehung der Interessenten zu den Tarifverhandlungen.

Der Protest sämtlicher Industrien gegenüber der Ermässigung der Einfuhrzölle ist begreiflich und entschuldbar in Anbetracht der heute direkt unmöglichen Steuervorschreibungen, welche der tschechoslowakischen Landwirtschaft und Industrie jede nutzbringende Arbeit direkt verunmöglichen. Wenn berücksichtigt wird, dass die gesamten inneren Schulden und bisher bekannten Auslandsverpflichtungen der Tschechoslowakei heute über 30 Milliarden ausmachen, dann sind die grossen Steuervorschreibungen begreiflich, trotzdem dieselben den sicheren Ruin der csl. Industrie und Landwirtschaft nachsichziehen.

Beizufügen wäre noch, dass lt. meiner Erfahrung und Beobachtung namhafte Quantitäten von Schweizerwaren, namentlich Uhren und Käse aus Österreich und Deutschland nach der Tschechoslowakei kommen, Quantitäten und Werte, die somit unserer Exportziffer gutzuschreiben sind und die derzeitig ungünstige Bilanz zugunsten der Schweiz beeinflussen müssten.

Ich habe letzthin gelegentlich einer Rücksprache mit Herrn Min. Rat Friedmann3 auf die grosse Enttäuschung hingewiesen, die die schleppenden & bisher leider resultatlosen Verhandlungen in Bern hervorgebracht haben, und versicherte mich derselbe, dass derzeit mit sämtlichen Industrien Unterhandlungen gepflogen werden, nachdem es sehr im Interesse des Staates liege, mit der Schweiz zu einem beiderseits zufriedenstellenden Handelsverträge zu kommen. Soviel mir bekannt, sollen am 15. Februar die Verhandlungen wieder aufgenommen werden u. rechnet man hier bestimmt, dass dieselben zu einem günstigen Resultate führen werden.

Ich beabsichtige, in der ersten Februarwoche meinen diesjährigen Urlaub anzutreten und stehe Ihnen, sehr geehrter Herr Direktor, ev. auch an Ort & Stelle zur Verfügung.

1
Schreiben: E 7110 1/118.
2
Nr. 135.
3
Leiter der tschechoslowakischen Verhandlungsdelegation.