Das Politische Departement erhielt von der britischen Gesandtschaft die beigelegte Note2, in der sie auf Geheiss der britischen Regierung vorschlägt, das internationale Sanitätsamt in Übereinstimmung mit Art. 23 f und Art. 24 des Völkerbunds‑vertrages inskünftig der Leitung des Völkerbundes zu unterstellen. Die britische Gesandtschaft frägt an, ob die Schweiz, als Mitunterzeichner der Sanitätskonvention vom 9. Dezember 1907, bereit wäre, dem Vorschlage zuzustimmen und ihrem Delegierten beim Sanitätsamt entsprechende Instruktionen zu geben. Schweizerischer Delegierter ist zur Zeit der Direktor des Schweizerischen Gesundheitsamtes Dr. Carrière. Der Sitz des Internationalen Sanitätsamtes befindet sich in Paris.
Das Politische Departement glaubt darauf aufmerksam machen zu müssen, dass die Unterstellung der internationalen Ämter unter die Leitung des Völkerbundes im gegenwärtigen Moment nach drei Seiten hin für uns Bedenken hätte:
1. Der Völkerbund ist zur Zeit noch gar nicht konstituiert. Die Schweiz hat noch keine Beitrittserklärung abgegeben und ist deshalb vorläufig nicht in der Lage, sich auszusprechen.
2. Wenn die Schweiz ihre Zustimmung gäbe, würde damit indirekt auch die Rechtsstellung der internationalen Ämter, die ihren Sitz in der Schweiz haben, präjudiziert. Was für die einen der Ämter beschlossen, wird voraussichtlich auch für die andern gelten; es ist daher unbedingt notwendig, dass man sich in der Schweiz klar werde darüber, wie man sich zu der Übertragung der internationalen Ämter unter die Leitung des Völkerbundes stellen wolle.
Art. 24 sieht allerdings die Unterstellung der internationalen Ämter unter den Völkerbund vor, verlangt aber zugleich die Zustimmung der einzelnen Vertragskontrahenten zu diesem Vorgehen.
In den Friedensverträgen mit Deutschland und Österreich ist nirgends davon die Rede, dass diese Staaten einer organisatorischen Änderung von internationalen Ämtern, bei denen sie Mitkontrahenten sind, zum vornherein zustimmen würden. Die Verpflichtungen der Türkei und Bulgariens sind zur Zeit noch ungewiss.
3. Der Bundesrat hat sich in seiner Botschaft vom 4. August3 auf den Standpunkt gestellt, dass die Ordnung der Verhältnisse des Völkerbundes zu den ihm nicht angehörenden Staaten, wenigstens soweit sie gegen ihren Willen ausgeschlossen sind, nicht in befriedigender Weise geregelt worden sei. Wir haben kein Interesse daran, die Situation dadurch zu verschärfen, indem wir dazu Hand bieten, vom Völkerbund zur Zeit ausgeschlossene Staaten in ein Verhältnis zu demselben zu bringen, nach welchem sie gegenüber den Völkerbundsmitgliedern eine rechtlich inferiore Stellung einnehmen würden. Dies würde aber wohl der Fall sein, wenn ein Amt dem Sekretariat des Völkerbundes unterstellt würde, zu dessen Organisation einem Vertragskontrahenten jedes Mitspracherecht fehlt.
Was den konkreten Fall des Hygiene-Institutes anbetrifft, sind zwar Deutschland und Österreich keine Kontrahenten der Konvention, wohl aber andere vom Völkerbunde vorläufig ausgeschlossene Staaten wie Russland, Bulgarien, die Türkei.
Fragen könnte es sich, ob nicht vorgängig der Beantwortung der britischen Note ein Gedankenaustausch mit den anderen neutralen Staaten erfolgen sollte. Wir glauben aber, darauf verzichten zu sollen, weil ein grosser Zeitverlust mit einem solchen Vorgehen verbunden wäre und es zudem unsicher ist, ob sich alle Staaten, zum Beispiel Spanien, auf unseren Standpunkt stellen würden.
Wohl aber dürfte es sich empfehlen, diesen neutralen Staaten den Beschluss des Bundesrates vertraulich4 mitzuteilen, um denselben Anlass zu geben, in der Angelegenheit im gleichen Sinne vorzugehen.
Das politische Departement ist sich der Tragweite seines Standpunktes vollständig bewusst. Unser Vorgehen kann unter Umständen von den alliierten Mächten als Stellungnahme zu Gunsten der zur Zeit vom Völkerbunde ausgeschlossenen Staaten aufgefasst werden. Früher oder später wäre aber die Schweiz doch gezwungen, zu dieser heiklen Frage Stellung zu nehmen, und wir glauben, dass es leichter ist, von Anfang an diesen Standpunkt einzunehmen, als später, wenn es sich eventuell um eine Konvention handelt, bei der sich das internationale Amt in der Schweiz befindet. Die vorstehend geltend gemachten Gründe scheinen uns daher trotz aller Bedenken folgenden Antrag zu rechtfertigen:
Es sei auf Grund beiliegender Note der britischen Gesandtschaft zu antworten, dass wir den Standpunkt vertreten, bereits vor dem Kriege errichtete internationale Ämter sollen in bisheriger Weise weitergeführt werden, bis durch den Beitritt aller oder wenigstens aller wichtigen Staaten zum Völkerbund im Wesentlichen eine Übereinstimmung im Kreise des Völkerbundes zwischen den Mitgliedern desselben und den Kontrahenten der internationalen Konventionen erfolgt sein werde5.
Es sei ferner der Beschluss des Bundesrates den übrigen zum Beitritt zum Völkerbund eingeladenen neutralen Staaten vertraulich6 mitzuteilen, um denselben Anlass zu geben, in der Angelegenheit im gleichen Sinne vorzugehen7.