dodis.ch/43916 Le Chef du Département de l’Economie publique, E. Schulthess, au Professeur W. E. Rappard1

Unter Bezugnahme auf unser gestriges telephonisches Gespräch beehren wir uns, Ihnen in der Angelegenheit «internationaler Arbeiter schütz» die folgenden Mitteilungen zu machen:

Aus dem beiliegenden Briefwechsel zwischen Herrn Millerand und dem Unterzeichneten2 ersehen Sie, dass wir Schritte getan haben, um festzustellen, ob der französischen Regierung irgend ein Schritt der schweizerischen Regierung angenehm wäre, und Sie werden mit uns aus den Briefen Millerands den Eindruck erhalten, dass die französische Regierung auf Grund der Anträge der französischen Gesellschaften für Arbeiterschutz von sich aus vorzugehen wünscht. Sie ersehen auch, dass man, wenigstens damals, als Herr Millerand uns schrieb, sich mit dem Gedanken trug, den zehnstündigen Arbeitstag international zu fixieren. Es würde dies also ungefähr die internationale Festlegung des Rechtszustandes bedeuten, der nun bei uns zufolge des neuen Fabrikgesetzes besteht. Eine Lösung der Schwierigkeiten, die der Industrie dadurch entstehen, dass die Arbeiter eine weitere Reduktion der Arbeitszeit wünschen, die die Industrie nur mit Bedenken ohne internationale Regelung zugesteht, wäre also durch diese, nach den Briefen Millerands in Aussicht stehende Lösung nicht erzielt.

Inzwischen wurde nun hier bekannt - wir wissen indessen nicht, ob die Nachricht absolut zuverlässig ist -, dass seitens der englischen und französischen Regierung gewissen Personen, die am hiesigen internationalen Sozialisten-Kongress3 eine ausschlaggebende Rolle spielen - beispielsweise Henderson -, zugesagt worden sei, dass die Friedenskonferenz in weitgehendem Masse auf die Beschlüsse und Wünsche des Sozialisten-Kongresses, soweit Arbeiterschutz-Fragen in Betracht kommen, Rücksicht nehmen wolle; ja, es fiel sogar das Wort, dass man in Paris Henderson versprochen habe, die Beschlüsse der Konferenz in das Friedensinstrument aufzunehmen. Sie werden verstehen, dass wir diese etwas optimistische Auffassung nicht vorbehaltlos teilen können.

Damit Sie auf dem Laufenden sind, lasse ich Ihnen durch die Abteilung für Industrie und Gewerbe die Drucksachen zugehen, die sich auf die internationale Konferenz von 1913 beziehen. Sie sehen, dass eigentlich dort für eine ganze Gruppe wichtiger Fragen die Vorbereitungen getroffen worden sind. Und Sie wissen ja selbst, dass die Schweiz eine führende Rolle gespielt hat, und dass die Anregungen jeweils auf Grund der Anträge der Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz in Basel (Generalsekretär Prof. Dr. Bauer) ausgegangen sind. Wie Sie aus dem ersten Brief Millerands4 ersehen und noch schärfer aus einem Proteste, den dieser an Herrn Ständerat Heinrich Scherrer geschickt hat, hervorgeht, wünscht nun Herr Millerand und offenbar Frankreich nicht, dass diese Internationale Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz, bei der natürlich auch deutsche Kreise beteiligt sind, irgend noch eine Anregung mache, und es wurde hinter dieser Eingabe, die diese Vereinigung dieses Jahr beim Bunde einreichte - wenn auch vollständig mit Unrecht -, deutscher Einfluss gesucht. Ich lege auch die Korrespondenz mit Herrn Ständerat H. Scherrer bei, aus der Sie alles diesbezügliche ersehen.

Sie werden begreifen, dass einerseits die Schweiz einen grossen moralischen Wert darauf legt, dass ihr die Führung auf dem Gebiete des internationalen Arbeiterschutzes nicht entrissen wird, dass aber auch ein grosses praktisches Interesse daran besteht, einen wirklich erheblichen Fortschritt möglichst rasch realisiert zu sehen, damit unsere Industrie im Interesse des sozialen Friedens ihrer Arbeiterschaft gewisse Zugeständnisse machen kann. Wir wären Ihnen nun sehr verbunden, wenn Sie die Freundlichkeit haben wollten, bei den massgebenden Personen des Friedenskongresses und zwar nach Ihrem Gutfinden, bei den Personen, die Sie für Ihre Aktion als geeignet erachten, Schritte zu tun, um feststellen zu können, was eigentlich in materieller Beziehung die Absichten der alliierten Regierungen sind. Will man beim 10 Stunden-Tag stehen bleiben und sich hiermit, sowie mit der Realisierung des im Jahre 1913 in der Schweiz präparierten Abkommens begnügen? Will man darüber hinausgehen? Welche Stellung wird eingenommen gegenüber den Forderungen des hiesigen sozialistischen und Gewerkschaftskongresses?

In Beziehung auf das Vorgehen würde uns interessieren, ob die Schweiz besser tut, zu warten und zu schweigen, oder ob sie irgend eine Anregung machen soll. In dieser Beziehung möchten wir bemerken, dass es unseres Erachtens vermieden werden muss, von hier aus einen Vorschlag zu machen, der so weit geht, dass die französische Regierung ihn ablehnen muss, denn wir würden sie dadurch in eine unangenehme Lage versetzen gegenüber ihrer Arbeiterpartei, und man würde uns ein solches Vorgehen nachtragen. Anderseits denken vielleicht England und Amerika weniger ausschliesslich und wären geneigt, der Schweiz ein grösseres Mitspracherecht und namentlich ein gewisses Anrecht auf die Einreichung von Anregungen einzuräumen.

Fallen Ihre Demarchen bei den englischen und amerikanischen Delegierten auf günstigen Boden, so müsste man dann allerdings vielleicht auch Millerand verständigen, da er offenbar für Frankreich die massgebende Rolle spielt.

Wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie vielleicht mit Oberst House selbst reden könnten, um uns in der ganzen Angelegenheit möglichst zuverlässigen und authentischen Bericht zu verschaffen, denn Sie verstehen, dass die Sache für uns von grösster Wichtigkeit ist. Wir haben gestern die Sache auch in der Delegation für auswärtige Angelegenheiten zur Sprache gebracht, und wir haben von unserer Absicht, uns mit Ihnen in Beziehung zu setzen, Kenntnis gegeben und dafür Zustimmung gefunden.

1
Lettre (Copie): E 2200 Paris 1/1561.
2
Cf. nos32, 43, 84 et sa note 3.
3
Cf. nos 182,185.
4
Cf. no 43.