dodis.ch/43771 La Légation de Suisse à Petrograd à la Division des Affaires étrangères du Département politique1

Wie wir Ihnen gestern durch Vermittlung der Norwegischen Gesandtschaft berichteten, traf unsere Gesandtschaft am 19. November ein grosses Unglück: der grösste Teil unserer Wertdépôts wurde gestohlen.

Ich beehre mich Ihnen folgende Mitteilungen darüber zu machen:

Ihr Telegramm 89, das am 11. November hier anlangte veranlasste uns, sofort zu beratschlagen, welche Massnahmen zur Sicherung der Dépôts nötig seien. Sämtliche Teilnehmer an der Beratung (ausser den Ministern Junod und Odier die Angestellten der Finanzabteilung, die Herren Konsul Mantel, Labhardt, Humbert-Droz, Gerson) fanden es wünschenswert, die Dépôts aus unserem Gebäude wegzubringen. Die Einwendung sie seien in unseren Safes vorläufig sicher, wurde durch den Hinweis auf das Schicksal der englischen Gesandtschaft und des deutschen Generalkonsulates entkräftet. Nachdem sich dann die norwegische Gesandtschaft bereit erklärt hatte, unsere Interessenvertretung gegebenenfalls zu übernehmen ' und uns ein Zimmer zur Verfügung zu stellen, wurden unsere Dépôts in 26 Koffern (Suit cases) dorthin verbracht, - soviel die schwedische Gesandtschaft zur Spedition übernehmen wollte (150 kg) waren ihr übergeben worden.

In unserem Zimmer der Norwegischen Gesandtschaft, welches sich im 1. Stockwerk Moika 42 befindet, waren tagsdurch Angestellte unserer Finanzabteilung mit Sichtung und Verpackung der Werte beschäftigt. Nachts wurde eine Wache von 2 Mann in das Zimmer gestellt.

Am 19. November, abends 8 Uhr, - auf der Wache befanden sich dort die Schweizer Chanson und Manien, beide mit Revolvern versehen, - drangen bewaffnete Männer in die Etage und verlangten, mit der Behauptung dass sie das Schweizer Zimmer zu durchsuchen hätten, Einlass.

Chanson öffnete die Türe - es wurde ihm ein Papier entgegengehalten, welches er für eine Order hielt, - worauf er die Leute ein- und sich und die anderen Wächter an die Wand stellen liess, wo sie zusahen wie die Räuber, - im Zimmer scheinen 5, im Corridor 3-4 gewesen zu sein, - 21 von 26 Koffern, alle im Gewicht 30-40 kg, wegtrugen. Schliesslich wurden unseren Wächtern die Hände auf den Rücken gebunden, worauf die Räuber verschwanden, unter der Behauptung in kurzer Zeit wieder zu kommen, um den Rest der Koffer zu holen.

Die Wachtmannschaft wagte erst nach ca. 1 Stunde nach Abgang der Diebe mit dem Concierge und der Magd, welche den Eindringlingen die Etagentür geöffnet hatten und von ihnen in ein Zimmer eingeschlossen worden waren, zu reden und Lärm zu machen.

Es wurde die Polizei benachrichtigt, welche ich, als ich mich ca. 11 Uhr nach der Norwegischen Gesandtschaft begab, mit der Aufnahme der Protokolle beschäftigt traf. Gestern wurde eifrig nach den Tätern gesucht, doch bisher ohne Resultat.

Sehr wahrscheinlich hätte ein auch nur bescheidener Alarmversuch vor dem Öffnen der Türe den Anschlag vereitelt.

Der Untersuchungsbeamte wollte Chanson gestern, nach einem Verhöre in unserer Gesandtschaft, verhaften; ich glaubte dies unter den jetzigen Verhältnissen nicht zulassen zu sollen und übernahm die Garantie, dass Chanson in der Gesandtschaft wenigstens bis zur Rückkunft von Herrn Minister Junod aus Moskau, die morgen erfolgen wird, ohne Kommunikationsmöglichkeit eingeschlossen bleibe. Chanson war einverstanden sich in ein sicheres Zimmer sperren zu lassen.

Die Kolonie ist wegen des Vorfalls in grosser Bestürzung. Die Betroffenen hoffen allgemein, dass trotz der Ablehnung der Verantwortlichkeit für die Dépôts, unser Staat Schadenersatz leiste.

Der Verlust an Bargeld beträgt ca. 4 Millionen, über den Wert der ohne Wertangabe deponierten Papiere fehlen Anhaltspunkte. Vermutlich ist er ebenso hoch.

Vorwürfe über die Massnahmen der Gesandtschaft sind mir noch nicht zu Ohren gekommen. Dass letztere in der Versorgung der Dépôts nach allgemeiner Auffassung als bonus paterfamilias gehandelt hatte, dürfte durch den Umstand bewiesen sein, dass Herren welche uns ihre Dépôts anvertraut hatten, selber die Unterbringung bei den Norwegern und die Wache organisierten und kontrollierten.

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Lettre: E 2001 (B) 1/26. Ce rapport est signé: für den Schweizerischen Gesandten, Bruggmann