dodis.ch/43412 Le Général U. Wille au Chef du Département politique, A. Hoffmann1

Der Armeekriegskommissär, Oberst Obrecht, hat mir pflichtschuldigst Rapport gemacht über die Konferenz vom 16. Juli2, an der er auf Ihre Einladung hin teilgenommen hat.

Darin, dass Sie den Armeekriegskommissär zu diesen Besprechungen über den Einfuhrtrust eingeladen haben, glaube ich erkennen zu können, dass Sie der Ansicht sind, die Armee habe Interesse an diesen Verhandlungen.

Gestatten Sie mir, Ihnen meine Ansicht über den im Wurfe liegenden Einfuhrtrust darzulegen.

Sofern die mir von Nationalrat Dr. Alfred Frey schon im August vorigen Jahres, d.h. sofort nach Kriegsbeginn ausgesprochene Überzeugung, dass Deutschland aus diesem Kriege wirtschaftlich vollkommen zu Grunde gerichtet hervorgehen werde, zutreffend ist, erblicke ich in dem Abschluss des Vertrages mit den Gegnern Deutschlands keinen Nachteil. Sollte aber die Voraussage des Nationalrat Frey nicht zutreffen - und das scheint der Fall zu sein -, dann erblicke ich in dem Abschluss dieses Vertrages eine schwere Gefährdung des Gedeihens unseres Landes.

Wenn England mit nervöser Hast auf den Abschluss dieses Vertrages dringt und doch dabei an ganz bestimmten Bedingungen festhält, so ist der Grund dafür durchaus nicht der Glaube, dass nur auf diese Art sichergestellt werden könnte, dass die der Schweiz gestattete Wareneinfuhr nicht auf die eine oder andere Art Deutschland zugute komme. Dies ist hinlänglich sichergestellt durch die mit den schweizerischen Privatkäufern abgeschlossenen Verträge und durch die Kontrolle, der diese sich unterziehen.

Der Zweck, warum England so grosses Gewicht auf den Abschluss dieses Einfuhrvertrages legt, ist, dass die Schweiz als Staat mitmacht bei der von England als Kriegswerk proklamierten Aushungerung Deutschlands, der wirtschaftlichen Zugrunderichtung Deutschlands.

Diese Isolierung Deutschlands dadurch, dass die neutralen kleinen Mittelstaaten die Neutralität in Tat und Wahrheit aufgeben und das ihnen Mögliche resp. das von ihnen Verlangte tun, um die Zufuhr von Waren nach Deutschland zu verhindern, ist für England viel wichtiger als die Verhinderung der Möglichkeit, dass von dem einen oder ändern wortbrüchigen Schweizer Fabrikanten verarbeitete Waren an Deutschland verkauft werden.

Und gerade weil dies der Zweck der englischen Bemühungen ist, habe ich schwere Sorgen, wenn der Vertrag abgeschlossen wird. Diese Sorgen beruhen nicht so sehr in der Befürchtung, Deutschland könne gleich Repressalien ergreifen und uns die Zufuhr von Kohle und Eisen verweigern, sondern vielmehr noch in der Furcht vor den Folgen, wenn nach Abschluss des Friedens die europäischen Beziehungen neugeordnet werden.

Wenn auch zur Stunde Deutschland, rings von Feinden umgeben, nichts dagegen unternimmt, so beweist das Viele, das Italien angeboten wurde für den Fall, dass es neutral bliebe, und beweist die Art und Weise, wie Deutschland beständig mit uns verkehrt, dass ihm viel daran gelegen ist, wenn die Zahl seiner Gegner sich nicht noch weiter vermehrt, und es ist mir zweifellos, dass, wenn Deutschland es sich auch gar nicht merken lässt, es doch jeden Akt von Feindseligkeit sehr lebhaft empfindet, und nicht vergessen haben wird, wenn nach Friedensschluss die Neuregelung der Verhältnisse eintritt.

Nach dem bisherigen Verlauf des Krieges, auch auf wirtschaftlichem Gebiete, darf man annehmen, dass Deutschland aus diesem Kriege siegreich hervorgehen werde, und absolut sicher ist es, dass das, was Herr Nationalrat Frey voraussagte, nie eintreffen wird und dass Deutschland nach wie vor unser auf wirtschaftlichem Gebiete mächtigster Nachbar bleiben wird.

Ich glaube auch, dass keine zwingende Notwendigkeit zum Abschliessen eines solchen Vertrages mit England, Frankreich, Italien vorliegt.

Die Rohstoffe, die wir jetzt für unsere Industrie geliefert bekommen, werden wir nach wie vor erhalten, auch wenn wir den Trustvertrag nicht annehmen; denn die Lieferung dieser Rohstoffe an unsere Industrie liegt im eigenen Interesse dieser Staaten. Was unsere Industrie mit diesen Rohstoffen produziert, geht sozusagen alles wieder nach Frankreich und England zurück. Was wir an Kriegsmaterial für Frankreich und auch England arbeiten, ist sehr beträchtlich, und ich glaube, Frankreich wie England werden es sich sehr überlegen, bevor sie sich diese Quelle für Befriedigung ihrer Bedürfnisse abschneiden.

Aber auch wenn die gänzliche Zufuhr von Waren aus England, Frankreich und Italien aufhört, so glaube ich, dass wir das nicht zu fürchten brauchen. Momentan wird vielleicht unsere Industrie sehr darunter leiden; aber der Krieg dauert nicht ewig, und ich bin ganz überzeugt, sowohl die Grossindustriellen selbst wie ihre Arbeiter werden diese Zeit überdauern können, ganz besonders wenn der Staat den Arbeitern hilft.

Ich glaube, es liegt auch noch anderweitig im eigenen Interesse der Staaten der Triple-Entente, uns nicht zum äussersten zu treiben und uns die für das Leben unseres Volkes notwendigen Waren auch dann durchzulassen, wenn wir auf den verlangten Vertrag nicht eingehen.

Ich glaube, wenn wir im jetzigen Moment sehr verständlich andeuten, dass wir, zum äussersten getrieben, davor nicht zurückschrecken, für unsere Unabhängigkeit und für die Zufuhr der Bedürfnissen unseres Volkes zu den Waffen zu greifen, dies ganz wirkungsvoll sein könnte.

Auf dem Schlachtfelde steht es mit der Triple-Entente jetzt sehr schlimm. Russland liegt jetzt am Boden. Alles, was Frankreich und England an Truppen aufbringen kann, ist auf der grossen Linie Deutschland gegenüber und an den Dardanellen festgelegt und weder an der einen noch ändern Stelle ist ein Erfolg vorauszusehen. Und der Neualliierte, Italien, steht nach seinen vergeblichen Offensivversuchen vor der österreichischen Front und wartet angsterfüllt auf den Moment, dass Österreich die Offensive ergreifen werde. Darauf müssen sich Frankreich und England an ihrer grossen Front jetzt auch gefasst halten, denn sehr viel deutsche und österreichische Truppen können jetzt aus dem Osten abtransportiert werden.

Bei dieser Lage der Dinge wäre es Frankreich, England, wie Italien sehr unangenehm, wenn wir uns nicht anders helfen könnten, als ebenfalls zu den Waffen zu greifen.

Im übrigen darf nicht unbeachtet bleiben, wie energisch die nordischen Staaten anfangen, sich gegen die brutale Vergewaltigung durch England aufzulehnen. Und ich glaube, dass der Schluss der Bewegung in Nordamerika kein engerer Anschluss an die englische Aushungerungspolitik Deutschlands sein wird.

Soweit ich die Stimmung unserer öffentlichen Meinung beurteilen kann, scheint es mir, dass das Misstrauen gegen England mit seinem Vertrag sehr gross ist und dass das Volk daher sehr wohl verstehen und billigen wird, wenn auf die Zumutung Englands nicht eingegangen wird.

Ich habe eben vorher darauf aufmerksam gemacht, dass etwas mit dem Säbel rasseln im gegenwärtigen Moment uns vorteilhaft sein könnte. Ich möchte beifügen, dass ich nach wie vor die Erhaltung des Friedens für eine unserer obersten Aufgaben erachte, aber dass ich, wenn die Erhaltung unserer Selbständigkeit und Unabhängigkeit dies erfordert, den gegenwärtigen Moment für das Eintreten in den Krieg als vorteilhaft erachte.

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Lettre (Copie): E 27, Archiv-Nr. 13458/2.
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Non retrouvé.