dodis.ch/43258 Der Bundespräsident und Vorsteher des Politischen Departementes, A. Hoffmann, an den schweizerischen Gesandten in Berlin, A. de Claparède1

dringlich und vertraulich!

Unter Verdankung Ihres Berichtes vom 25. Februar letzthin betreffend den Verzicht auf Konsulargerichtsbarkeit im französischen Protektorat in Marokko, beehren wir uns, Ihnen mitzuteilen, dass der Bundesrat sich veranlasst sehen könnte, auf diese Gerichtsbarkeit und auf die ändern aus den Kapitulationen hergeleiteten Privilegien zu verzichten sowie die Ausdehnung der mit Frankreich bestehenden Verträge auf diese Gegend anzunehmen, insofern ihm von Seiten Frankreichs genügende Garantien gegeben würden, dass der Schweiz in ökonomischer Beziehung die gleiche Behandlung wie den Signatarmächten von Algesiras zu Teil werden solle. Zu diesem Eingehen auf die französischen Vorschläge neigen wir nicht der französischen Regierung zu Gefallen, sondern aus dem Grunde, weil die Schweiz nicht zu den Mitunterzeichnern der Generalakte von Algesiras gehört und ihr daher, namentlich in ökonomischer Rücksicht, keinerlei Gewähr für die Zukunft geboten ist; auch können wir uns ja nur indirekt auf die Kapitulationen berufen, so dass unser ganzes Verhältnis zu Marokko mehr oder weniger in der Luft steht.

Andrerseits wäre uns sehr daran gelegen, Deutschland durch unser Vorgehen nicht zu froissieren, zumal mit Rücksicht auf den Schutz, den es manchen unserer Landesangehörigen in den sogen. Kapitulationsstaaten und so auch in Marokko in so tatkräftiger Weise angedeihen lässt. Zunächst wäre zwar für uns von Interesse zu erfahren, wie viele Schweizer in der französischen Protektorats zone von Marokko unter deutschem Schutze stehen. Mit Ihrem Berichte vom 2. Juli 1913 hatten Sie uns u. a. eine Liste der unter deutschem Schutze in ganz Marokko stehenden Schweizer zukommen lassen; wir legen diese im Originale hier bei. Da aber diese Aufstellung der kaiserlichen Gesandtschaft in Tanger den Aufenthaltsort der Schutzbefohlenen nicht näher angab, glaubten wir annehmen zu dürfen, dass es sich um Bewohner von Tanger handle; nun hat sich dagegen herausgestellt, dass dem nicht also ist und wir ersuchen Sie, das Auswärtige Amt zu bitten, es möchte feststellen lassen, unter welchem Kaiserl. Konsulat die verschiedenen schweizerischen Schutzbefohlenen, die in der Liste aufgeführt sind, stunden. Da die Angelegenheit für uns eine sehr dringliche ist, wäre uns übrigens hauptsächlich darum zu tun, ganz allgemein zu erfahren, wie viele von den 22 in der Aufstellung erwähnten Personen in der französischen Zone niedergelassen sind. Wir wissen nicht, ob Sie das Auswärtige Amt um eine telegraphische Anfrage in Tanger ersuchen können; jedenfalls wollen Sie uns, sobald Ihnen die diesbezügliche Information zukommt, einfach drahten: Zone: so und so viel.

Ferners, und hierin können Sie vielleicht den Anknüpfungspunkt mit dem Auswärtigen Amte finden, wollen Sie bei demselben anfragen, ob die deutschen Konsulate in der Zone beauftragt werden könnten, hängende Geschäfte bisheriger schweizerischer Schutzbefohlener noch zu erledigen. Es soll z.B., wie wir (durch Hrn. Lardy, welcher die Information durch Hrn. v. Schön erhielt) erfahren haben, eine Reklamation des in der beiliegenden Liste erwähnten Schweizerbürgers Schiller durch das deutsche Konsulat angebracht worden sein; wir hoffen, der Konsul werde sich derselben, auch nach einem allfälligen Verzicht unsrerseits auf die Konsulargerichtsbarkeit und andere Privilegien, annehmen können.

Wir nehmen an, Sie werden diese etwas delikate Angelegenheit am liebsten mündlich behandeln, überlassen es aber gerne Ihrer Erfahrung und Ihrem bewährten Takte, den besten Weg zu finden, um etwaige Empfindlichkeiten zu schonen. Über die allfälligen Absichten des Bundesrates den französischen Eröffnungen gegenüber und über die Begründung dieser Absichten bitten wir Sie aber, keine schriftlichen Mitteilungen zu machen.

Im Übrigen geben wir uns der Hoffnung hin, die kaiserliche Regierung werde, angesichts der speziellen Lage der Schweiz gegenüber Marokko, wo unsere Landesangehörigen unter dem Schutze der Konsulate verschiedener Staaten stehen und wo unsere ökonomische Stellung in keiner Beziehung eine gesicherte ist, die Gründe und Umstände zu würdigen wissen, welche uns zu einer prinzipiellen Regelung dieser Verhältnisse veranlassen könnten. Es darf bei diesem Anlasse darauf hingewiesen werden, dass von den ca. 75 Schweizern, welche in Marokko im Jahre 1913 niedergelassen waren, 63 (ohne, wie bei den 22 der deutschen Liste, die Frauen und Kinder mitzurechnen) französische Schutzbefohlene waren. Diese letzteren unterstehen sowieso der französischen Gerichtsbarkeit; ebenfalls diejenigen, welche sich bei keinem fremden Konsulate immatrikulieren Hessen. Kommen dagegen für uns keine Kapitulationen mehr in Betracht, so ist für die Schweiz die Möglichkeit geschaffen, ihre eigenen Konsulate zu errichten und diesen sämtliche in französisch-Marokko lebenden, auch die bisher unter französischem Schutz stehenden Schweizer zu unterstellen.

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Schreiben (Kopie): E 2001 (A), Archiv-Nr. 162.