dodis.ch/43208 Der Bundespräsident und Vorsteher des Politischen Departementes, E. Müller, an den Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartementes, C. Decoppet1

Die Schlussakte der 2ten Haager Friedenskonferenz vom Jahre 1907 regt in ihren beiden letzten Abschnitten die Zusammenberufung einer dritten Friedenskonferenz an, «deren Zusammentritt nach Ablauf eines Zeitraums, etwa so wie er seit der vorigen Konferenz verstrichen ist, zu einer zwischen den Mächten zu vereinbarenden Zeit stattzufinden hätte». Zwischen den beiden letzten Konferenzen lag ein Zeitraum voji 8 Jahren, so dass der in Aussicht genommene Zeitpunkt für die nächste Konferenz um das Jahr 1915 hegen würde. Zur rechtzeitigen Vorbereitung der Arbeiten dieser neuen Konferenz wird vorgesehen, dass etwa zwei Jahre vor dem voraussichtlichen Zusammentritte der Konferenz ein Vorbereitungsausschuss von den Regierungen damit beauftragt werde, die verschiedenen der Konferenz zu unterbreitenden Vorschläge zu sammeln, die für eine demnächstige internationale Regelung geeigneten Gegenstände auszusuchen und ein Programm vorzubereiten, das die Regierungen zeitig genug festzustellen hätten, um eine eingehende Prüfung in jedem Lande zu ermöglichen. Wenn nun das Jahr 1915 für den Zusammentritt der nächsten Konferenz wirklich in Aussicht genommen werden sollte, so wäre jetzt der Moment gekommen, wo der vorgesehene Vorbereitungsausschuss zu bilden wäre. Zwar sind dem Bundesrate noch keine Eröffnungen in Betreff der Einberufung einer 3ten Konferenz und der Bestellung eines Vorbereitungsausschusses gemacht worden, aber aus verschiedenen Mitteilungen und Anfragen ist ersichtlich, dass sich auch fremde Regierungen, namentlich solche von mittleren und kleinen Staaten, mit der Vorbereitung einer allfälligen 3ten Konferenz befassen. In ihrem Schlussbericht über die 2te Konferenz (vom Jahre 1907) schreiben die Schweizer-Delegierten: «Zu bedauern ist jedoch, dass die ‹Recommandation› (in der Schlussakte) in keiner Weise bestimmt, wer die Initiative zur Einsetzung des Vorbereitungsausschusses und zur Einberufung der Konferenz ergreifen soll. Von unserer Seite war auf den im Haag bestehenden Conseil administratif hingewiesen worden, welcher den Vorteil gehabt hätte, als eine ein für alle Mal organisierte Körperschaft von sich aus die Initiative ergreifen zu können und dessen Organisation der Gleichheit der Staaten unbedingt Rechnung trägt. Leider beliebte dieser Vorschlag nicht, so dass nun die Initiative tatsächlich allein den Grossmächten zukommt. Wenn von diesen die Bildung des Vorbereitungsausschusses ausgehen muss, in dem kaum alle Staaten vertreten sein werden und wenn dieser Ausschuss es ist, der das Programm und die Geschäftsordnung entwirft und sonst die Arbeiten der Konferenz vorbereitet, so wird die schon jetzt überaus stark h'ervorgetretene Präponderanz der Grossmächte sich noch mehr geltend machen. Der Mangel einer vorgängigen Verständigung der Grossmächte unter sich über das Programm dieser Konferenz und die Planlosigkeit, mit der von einigen unter ihnen vorgegangen wurde, erlaubten diesmal den Mittel- und Kleinstaaten sehr oft den Ausschlag zu geben. Unter ändern Verhältnissen können aber diese nur dann auf einen gewissen Einfluss auf die Besetzung des Vorbereitungsausschusses und auf die Beschlüsse der Konferenz rechnen, wenn sie sich selbst unter sich über ihre Haltung in den Hauptfragen verständigen; die ersten Schritte zu einem solchen Vorgehen könnten wohl nicht früh genug getan werden... In diesem Zusammenhang dürfte auch noch darauf hingewiesen werden, dass eine Delegation, die mit positiven, wohl vorbereiteten Vorschlägen hervortreten kann, nicht nur in der Konferenz, namentlich in den Kommissionen, vor allem bei Besetzung der engern Comités, eine besonders günstige Stellung hat, sondern auch am ehesten Aussicht hat, ihre Anschauungen zur Geltung zu bringen.»2

Im Sinne dieser Erörterungen unserer Delegierten zur letzten Friedenskonferenz glauben auch wir, dass die Schweiz gut tun wird, sich rechtzeitig auf eine neue Konferenz vorzubereiten, und wir halten dafür, dass die Zeit jetzt gekommen sei, wo die nötigen Vorkehrungen hiefür zu treffen wären.

Als erste Vorbereitungsmassregel wäre, unseres Erachtens, die Bestellung einer Kommission ins Auge zu fassen, welche die von der Schweiz anzustrebenden Programmpunkte festzustellen, zu untersuchen und zu diskutieren hätte, so dass auch wir in der Lage wären, längere Zeit vor Abhaltung der Konferenz unsere Position zu schildern und unsere Anträge zu begründen. Wir lehnen uns hiebei, auch wörtlich, an ein Gutachten an, welches Herr Prof. Meili in Zürich im Juni 1909 Ihrem Departemente über «die Stellung der Schweiz zu der Haager Konvention über die Vormundschaft betr. Minorenne» erstattet hat und wovon Ihr Departement uns einen Auszug zu überlassen die Güte hatte.3 Auch Herr Minister Carlin hat übrigens schon im Juni 1911 beim Politischen Departement die Bestellung einer Kommission angeregt und dabei namentlich den Gedanken ausgesprochen, der Herrn Meili ebenfalls vorschwebt, die Schweiz möchte sich mit ändern europäischen Mittel- und Kleinstaaten über die Programmpunkte der nächsten Friedenskonferenz ins Einvernehmen setzen. Wir fragen uns nun, ob es angezeigt sei, zur Vorbereitung der Friedenskonferenz eine spezielle Kommission einzusetzen, oder ob nicht vielmehr eine grössere Kommission zu bilden wäre, welche sowohl internationale Konferenzen zur Regelung von Verhältnissen des Völkerrechtes (z.B. Friedenskonferenz) als solche zur Schaffung von internationalem Privatrecht (z.B. Vormundschaftskonvention) vorzubereiten hätte und die sich dann in Subkommissionen nach Spezialitäten gliedern könnte.

Wir wären Ihnen für eine Ansichtsäusserung besonders dankbar.

1
Schreiben (Kopie): E 2001 (A), Archiv-Nr. 482.
2
E 2001 (A), Archiv-Nr. 480, S. 151 ff.
3
Nicht abgedruckt.