dodis.ch/41365 Le Conseil fédéral à l’Envoyé extraordinaire de Suisse à Turin, A. Tourte1

Instruktion für Herrn Staatsrath A. Tourte, ausserordentlichen Gesandten des schweizerischen Bundesrathes an den Turiner Hof.

1. Der Herr Abgeordnete wird sich beförderlich nach Turin begeben und nach erfolgter Legitimation bei der K. Sardinischen Regierung derselben die besondere Theilnahme aussprechen, welche die gesammte Schweiz an der Gestaltung und Entwikelung der italienischen Verhältnisse nimmt. Diese Verhältnisse werden auch die Beziehungen der Schweiz zu Sardinien wesentlich erweitern und es walte in der Schweiz der lebhafteste Wunsch, dass diese Beziehungen stets die innigsten und die freundschaftlichsten seien. Die Schweiz habe dieses durch Absendung eines ausserordentlichen Abgeordneten bethätigen wollen.

2. Der Herr Abgeordnete wird sodann als eine ganz nahe liegende Frage entwikeln, wie die seit einiger Zeit mit immer grösserer Bestimmtheit zu Tage tretenden Behauptungen über eine bevorstehende Abtretung Savoyens an Frankreich in der Schweiz die lebhaftesten Besorgnisse erwekt haben. Er wird die hohe Bedeutung eines neutralen Savoyens für die Schweiz in das richtige Licht sezen und zeigen, dass die Handhabung der Neutralität der Schweiz in gewissen Fällen fast zur Unmöglichkeit würde, wenn Savoyen zu Frankreich gehörte. Er wird darstellen, wie es im Interesse von ganz Europa liege, dass die Schweiz in allen Kriegsfällen ihre neutrale Stellung behaupten könne und wie im Hinblik auf dieses europäische Interesse die immerwährende Neutralität der Schweiz und des zu deren Verteidigung erforderlichen Theiles von Savoyen durch feierliche Verträge von den europäischen Mächten garantirt worden sei.

Er wird aber auch zeigen, wie das Königreich Sardinien selbst durch eine Abtretung Savoyens an Frankreich in eine gefährlich Lage käme, indem im Kriegsfall, ohne Rüksicht auf die schweizerische Neutralität von Seite des Angreifers, dessen Operationszwek Italien wäre, eine Besezung des Kantons Wallis, respektive eine Besiznahme des Simplon-Passes in Folge Einbrechens aus Savoyen, von der Schweiz kaum verhindert werden könnte, was zur Folge hätte, dass dannzumal Frankreich, einerseits auf dem Mont-Cenis, will sagen vor den Thoren von Turin, andererseits auf dem Simplon, will sagen vor den Thoren von Mailand stünde. Zu einer solchen Stellung dürfe, nach hierseitigen Ansichten, Sardinien unmöglich selbst Hand bieten. Selbst wenn bei einer Abtretung an Frankreich der Fortbestand der Neutralisirung des nördlichen Savoyens bedungen würde, könnte die Schweiz sich nicht für beruhigt erklären, indem die Frage des augenbliklichen Interesses leicht eine grössere oder kleinere Beeinträchtigung solcher Neutralitätshandhabung herbeiführen dürfte, um so eher, da das Verhältnis und die militärische und territoriale Stellung eines französischen neutralisirten Savoyens zu Sardinien und zu der Schweiz ganz ein anderes wäre als das eines sardinischen neutralisirten Savoyens zu Frankreich und zur Schweiz.

Der Abgeordnete wird daher darauf hinweisen, dass das Festhalten am gegenwärtigen Besizstand und den gegenwärtigen Verhältnissen Savoyens für die Schweiz das Erwünschteste wäre.

3. Sollte er sich aber überzeugen, dass allerdings Abtretungsentwürfe bei Piemont vorhanden sind, so wird er darauf hinweisen, dass nach Massgabe der alten schon aus dem sechszehnten Jahrhundert her datirenden Verträge, welche in neueren Verträgen stets wieder angerufen wurden, eine Abtretung der nördlichen Arrondissemente von Savoyen rechtlich nur mit Zustimmung der Schweiz stattfinden könne, und dass, gleich wie Sardinien in ändern Punkten die Verträge festhalte, so auch an dieser Bestimmung festgehalten werden müsse. Jedenfalls müsse die Schweiz verlangen, dass an den unter europäischer Garantie stehenden und sie zunächst berührenden Bestimmungen und Verträgen nichts geändert werde, ohne dass sie, die Schweiz, vorher angehört und in den Stand gesezt worden sei, ihre Interessen zu vertheidigen.

4. Der Herr Abgeordnete wird sich mit den Vertretern der übrigen europäischen Staaten am Turinerhof in Verbindung sezen, ihnen den Standpunkt der Schweiz, sowie das hohe Interesse von ganz Europa an dieser Frage klar machen, und gegründet auf dieses leztere sich ihrer Mitwirkung im gleichen Sinne und zur Abwendung eines Keimes zu Zerwürfnissen im Mittelpunkt von Europa versichern.

5. Ohne jezt schon in detaillirte Vorschläge einzutreten, wird der Herr Abgeordnete der Schweiz das Recht vindiziren, bei Territorialveränderungen neue Garantien für ihre ungefährdete Stellung in politischer und militärischer Beziehung zu verlangen.

6. Über seine Schritte, sowie über die erhaltenen Aufklärungen und Ansichten wird der Herr Abgeordnete dem Bundesrath fleissig Bericht erstatten und in besonders wichtigen und dringlichen Fällen selbst Extrakuriere oder seinen Sekretär an den Bundesrath abordnen.

7. In allen einer weitern Weisung bedürftigen Fälle wird er um Instruktionen einkommen.

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E 2200 Turin 1.