dodis.ch/41191
Proposition du Chef du Département militaire, U. Ochsenbein, au Conseil fédéral1

Dem Unterzeichneten Departement ist das Begehren des Kantons Tessin um Sanktionirung seiner Concession der Lukmanierbahn übermittelt worden2, um darüber, soweit es die militärischen Interessen betrifft, seinen Bericht abzugeben.

Der hohen Wichtigkeit der Sache wegen hätte das Militairdepartement noch gerne den Bericht von Sachverständigen ausserhalb seiner Büreaus eingeholt, wenn die Zeit solches gestattet hätte. Allein da dieses nicht der Fall ist, so musste es darauf verzichten und sich auf folgenden Bericht beschränken.

Die Vorsehung hat die Schweiz auf ihrer südöstlichen Grenze mit einem beinahe unüberwindlichen Bollwerk, hohen und steilen Gebirgen, ausgestattet. Während dieselben vor kaum 50 Jahren nur durch Fussgänger und Saumthiere bestiegen werden konnten, sind nun in neuerster Zeit viele Übergänge hergestellt worden, die für jede Waffengattung practicabel sind. Wenn auf der einen Seite nicht bestritten werden kann, dass dadurch die schweizerische Industrie und der Handel grosse Vortheile errangen, so ist auf der ändern Seite ebenso wahr, dass die Schweiz einem auswärtigen Feinde mehr und mehr zugänglich gemacht wurde, und dass ihre Vertheidigung stets schwieriger wird. Die Hindernisse, die das Gebirg einer feindlichen Armee entgegensetzt, sind nicht mehr in dem Masse vorhanden, dass sie unter gewissen Umständen für sich genügen dürften, den Untergang einer Armee herbeizuführen, wie dieses im Jahre 1799 grossentheils bei der Armee des aus Italien hereinbrechenden Suvorov der Fall war. Zudem sind leider die Übergänge nicht überall so angelegt, dass dabei die Vertheidigung mit in Betracht gezogen wurde. Dieses gilt vorzüglich von einem der wichtigsten Übergänge, dem Splügen, dessen Strasse auf der nördlichen Abdachung ohne alle Rücksicht auf die Begünstigung einer Vertheidigung, sondern vielmehr auf die Begünstigung eines Angriffs eingerichtet wurde. Auch hat man bis auf den heutigen Tag unterlassen, die durch Übergänge der höchsten Alpen geschwächte Vertheidigung durch künstliche Werke wieder zu stärken, ja es ist sogar wenig Hoffnung vorhanden, von den hohen Räthen die Summen zu erhalten, die erforderlichen Werke zu einem gehörigen Vertheidigungssystem der Eidgenossenschaft herzustellen.

Damit will das Unterzeichnete Departement keineswegs behaupten, dass jede Eisenbahn über die Alpen, abgesehen von der Linie, die eingeschlagen wird, und welche Landestheile sie verbindet, die militairischen Interessen der Eidgenossenschaft gefährde. Im Gegentheil gibt es zu, dass unter gewissen Voraussetzungen eine Eisenbahn über die Alpen umgekehrt im grossen militairischen Interesse der Eidgenossenschaft liegen kann. Es ist dieses überall der Fall bei Eisenbahnen, deren Linie die auf dem südlichen Abhang der Alpen liegenden Theile mit dem Centrum der Schweiz in directe Verbindung bringt. Dadurch wird es nämlich möglich, auch jenen Theilen personelle und materielle Hilfe zu leisten, die unter ändern Umständen nicht möglich wäre, und die Armee durch die Schnelligkeit, mit der sie verwendet werden kann, gleichsam zu vervielfältigen. Dagegen ist jede Eisenbahn den militairischen Interessen der Eidgenossenschaft zuwider, die diese Vortheile nicht gewährt, weil eine solche dem Feinde neue Übergänge bereitet, die Vertheidigung umso schwieriger macht und auf der ändern Seite keinen militairischen Nutzen darbietet.

Von den über die Alpen projectirten Eisenbahnen, nemlich über den Gotthard und den Lukmanier, ist die letztere, um die es sich zunächst handelt, den militairischen Interessen der Eidgenossenschaft offenbar entgegen.

Darüber nun Folgendes:

1. Durch die Herstellung der Lukmanierbahn wird ein neuer Übergang über die Alpen für alle Waffengattungen eröffnet. Dadurch gewinnt der Feind eine neue Parallelstrasse, die über die Oberalp nach Urseren und über den Kreuzlipass nach Amsteg auf die innern Vertheidigungslinien der Schweiz führt. Vermittelst dieser Strasse werden die äussern Vertheidigungslinien der Südostgränze umgangen und es würde dieselbe im gegebenen Fall den Rückzug der eidgenössischen Armee aus diesen äussern Linien nothwendig nach sich ziehen. Zu diesem Nachtheil gesellt sich der weitere, dass die Eidgenossenschaft auf die Vertheidigung eines neuen Gebirgspasses Bedacht zu nehmen hat, und zu diesem Zweck Truppen verwenden muss, die wohl besser anderswo benutzt werden könnten. Es müssten wahrscheinlich auch zum Schutze dieses Passes künstliche Vertheidigungsmittel errichtet werden, die grosse Auslagen zum Nachtheil des eidgenössischen Aerars nach sich ziehen dürften.

2. Die Eisenbahn über den Lukmanier wäre offenbar für die Integrität der Schweiz gefährlich. Die Eisenbahnen bilden in der neuesten Kriegsführung strategische Punkte, auf die der Feind es zunächst absieht, um seinem Gegner dieses schnelle Communikationsmittel zu entziehen. Ist die Linie so angelegt, dass sie gleichsam wie ein Radius vom Centrum aus nach der Peripherie führt, oder mit ändern Worten: von der Grenze eines Landes direct nach dessen Centrum, so ist die Zerstörung der Eisenbahn schwierig, und es dürfte dieses kaum anders als im Gefolge der allgemeinen Kriegsoperationen gelingen. Ganz anders verhält es sich aber, wenn eine Eisenbahnlinie mit der Grenze parallel läuft, gleichsam auf der Peripherie des Kreises. In diesem Fall ist es für den Feind ein Leichtes, eine solche Eisenbahn unbrauchbar zu machen oder zu zerstören. Es wird dieses auch jedesmal als Vorbereitung des Kriegs und als dessen Einleitung geschehen. Es ist dieses übrigens in Hinsicht der Eisenbahn über den Lukmanier für den Feind umso leichter, als dieselbe sich während einer Strecke von 12 Stunden unter seinen Kanonen vorbeizieht, so dass es ihm möglich wird, dieselbe von seinem Gebiete aus unbrauchbar zu machen oder gänzlich zu zerstören. Eben in dieser Leichtigkeit wird für ihn bei politischen Constellationen ein Reizmittel liegen, die Zerstörung zu einer Zeit vorzunehmen, zu welcher die Möglichkeit der Erhaltung des Friedens noch nicht ausgeschlossen ist und die Integrität ihres Gebietes noch keineswegs würde verletzt werden. Es dürfte dieses namentlich schon zu der Zeit geschehen, wo vermittelst der Eisenbahn Truppen an die bedrohte südliche Grenze gesendet werden sollten, um solches zu verhindern.

3. Die Lukmanierbahn gewährt aus eben diesem letztem Grunde der Eidgenossenschaft keinen militairischen Nutzen. Sie wird, wie wir schon bemerkt haben, zu eben der Zeit zerstört werden, zu welcher sie für Truppentransporte die grössten Dienste leisten sollte. Die Linie nämlich, die auf dem rechten Ufer des Rheines von Reichenau abwärts bis zur Tardisbrücke zu liegen käme, wäre stets bedroht, und diejenige auf dem linken Ufer von Sargans bis Rorschach wäre, wie schon bemerkt, unter den Kanonen Ostreichs.

4. Die Lukmanierbahn ist aus diesem Grunde auch höchst unpolitisch. Vermittelst der Eisenbahnen wird der Verkehr thatsächlich monopolisirt. Dieses Monopol wird auf den Eisenbahnlinien bethätigt. Auf eine solche Linie concentrirt sich ein grosser Theil des Verkehrs eines Landes und insofern die Industrie von der Existenz einer solchen abhängt, ein grosser Theil des Nationalreichthums. Ja es können die materiellen Interessen verschiedener Länder auf eine solche Bahn sich grösseren Theils gleichsam concentriren.

Gerade dieses ist bei der Lukmanierbahn der Fall. Durch dieselbe würden wesentlich die Interessen der industriellen Schweiz und des Handels von einem grossen Theil von Sardinien gefördert. Es gewänne dieselbe für diese Theile beider Länder nicht nur eine grosse Bedeutung durch das Anlage-Capital, sondern eine noch viel grössere durch den Verkehr, in dem gleichsam das Herzblut beider Länder pulsirt.

Wenn nun, wie oben gezeigt wurde, alle diese Interessen beider Länder gleichsam unter die Kanonen Österreichs gestellt würden, so würde es von seinem guten oder bösen Willen abhangen, die Bethätigung derselben zu ermöglichen oder zu verhindern. Es wäre dieses in der Hand des absoluten Ostreichs eine furchtbare Waffe, von der es, wie die Erfahrung lehrt, nicht zurückschrecken würde, Gebrauch zu machen, wenn es sich darum handelt, die Schweiz unter seinen Willen zu beugen und ihr die Unabhängigkeit und Selbständigkeit ohne blutigen Kampf zu entwinden. Es liegt im grossen Interesse der Schweiz sowohl als Sardiniens, Ostreich ein solch gefährliches Mittel nicht in die Hände zu geben.

5. Gegen die Eisenbahn über den Lukmanier spricht auch der Umstand, dass höchst wahrscheinlich die Geldmittel nur zu einer Eisenbahn über die Alpen erhältlich sind, und folglich, wenn diese Eisenbahn zu Stande kömmt, keine andere errichtet werden wird, wenn sie auch noch so sehr im militairischen Interesse der Eidgenossenschaft läge.

Mit einer Eisenbahn über den Gotthard wären die oben sub 1. 2. 3. 4. 5. berührten Nachtheile nicht verbunden. Es würde durch dieselbe kein neuer Gebirgspass eröffnet, die Linie ginge nicht gleichsam unter den Kanonen Ostreichs vorbei, der Handel und der Verkehr der Schweiz und Sardiniens würden nicht in die Hand Ostreichs gelegt, die Linie würde von der Grenze direct nach dem Innern der Schweiz führen, so dass sie für sich allein kein Reizmittel seyn könnte, die Integrität des schweizerischen Gebiets zu verletzen. Dagegen würde dieselbe grosse militairische Vortheile darbieten.

1. Diese Linie würde mit den mehrsten und grössten Cantonen in directe Verbindung gebracht. Dadurch würde es möglich, sowohl dem Canton Tessin, als einem Theil der südöstlichen Vertheidigungslinie möglichst schnell alle und jede personelle und materielle Hülfe angedeihen zu lassen. Es könnte durch diese Bahn, die gleichsam die militairische Hauptpulsader des Landes wäre, die Armee vermittelst des schnellen Transports auf den jeweiligen bedrohten Punkt unendlich vervielfältigt werden. So könnte z. B. ein Corps, das an einem Tage im Süden geschlagen hätte, am folgenden Tage im Osten oder Norden der Schweiz aufs neue verwendet werden – ein Vortheil, der unberechenbar ist.

2. Selbst auf den Fall, dass die Lukmanierbahn nicht unter den Kanonen Ostreichs vorbeiginge, und auch im Fall eines Krieges benutzt werden könnte, wäre die Gotthardbahn jedenfalls vorzuziehen, denn,

a. ist die Fahrzeit, wie die derartige Eingabe der Regierung hohen Standes Luzern es ausweist3, für die grössere Zahl der Cantone weit kürzer, und

b. ist die Truppenzahl der Cantone, die durch sie in directe Verbindung mit der südlichen Grenze gebracht werden, viel grösser, als diejenige Truppenzahl der Cantone, welche vermittelst der Lukmanierbahn mit der nämlichen Gränze in Verbindung kommt.

Der Einwurf, dass die Gotthardbahn niemals werde erstellt werden, und dass das daherige Project seine Existenz nur der Absicht danke, dadurch die Ausführung der Lukmanierbahn zu verhindern, findet seine Widerlegung in der gegenteiligen Erklärung der Regierung hohen Standes Luzern für sich und namens der hohen Stände Bern, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Solothurn, Baselstadt, Baselland und Aargau4 – eine Erklärung, die, von so hoher Stelle gegeben, nicht mehr in Zweifel gezogen werden darf.

[...]5Aus allem diesem folgt, dass die projectirte Lukmanierbahn gegen das militairische Interesse der Eidgenossenschaft ist, und dass dieselbe folglich nicht ausgeführt werden sollte.

Diesem nach beantragt das Unterzeichnete Departement:

Der Bundesrath wolle beschliessen:

Es sei die vom Grossen Rath hohen Standes Tessin für die Errichtung der Lukmanierbahn ertheilte Concession vom 12. September 1853 nicht zu sanctionniren.6

1
E 53/129(1).
2
Lettre du Conseil d’Etatdu Tessin au Conseil fédéral du 18 septembre 1853 (non reproduite), à laquelle était jointe la concession pour la construction d’une ligne de chemin de fer par le Lukmanier accordée par le Grand Conseil tessinois le 12 septembre 1853 (non reproduite).
3
Cf. le mémoire du Conseil d’Etat de Lucerne au Conseil fédéral du 3 septembre 1853 (E 53/ 136).
4
Lettre du 21 septembre 1853, non reproduite.
5
Passage relatif aux concessions précédemment ratifiées par l’Assemblée fédérale (Grisons, Zurich, Saint-Gall, Glaris) qui, contrairement à celle du Tessin, n’avaient qu’une portée locale.
6
Le Conseil fédéral ratifie la concession le 7 octobre 1853, contre l'avis d’OchsenbeinÇE 1004 1/15, no 4223); publié dans RO III, p. 623-626.