dodis.ch/39938 Der schweizerische Botschafter in Buenos Aires, M. Grossenbacher, an den Direktor der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements, P. R. Jolles1

ARGENTINIEN: AUSLÄNDISCHE INVESTITIONEN

Unter Hinweis auf eine Anfrage des Vorortes2 geben Sie mir mit Schreiben vom 17. d. M.3 Kenntnis von der Beunruhigung gewisser Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Branche in Basel über das vom argentinischen Kongress gegenwärtig diskutierte Projekt eines Gesetzes über ausländische Investitionen4.

Angesichts der seit der Machtübernahme durch die Peronisten besonders im wirtschaftspolitischen Bereich täglich zunehmenden Gesetzesflut habe ich mich bis anhin darauf beschränkt, Ihnen – neben der laufenden Berichterstattung über die klar erkennbaren Grundtendenzen – nur jene Fakten zu melden, die ihren Niederschlag in rechtskräftigen Erlassen gefunden hatten5. Ich hielt dieses Vorgehen auch deshalb für angebracht, weil das hier gegenwärtig herrschende politische Klima zu Erscheinungen und Auseinandersetzungen geführt hat, über die im Detail zu berichten es sich nicht lohnte. Ein überbordender Nationalismus ist in Argentinien in den letzten Monaten nicht nur zum Hauptthema der Folklore sondern zur Richtschnur sämtlicher parlamentarischer Vorstösse und Eskapaden geworden.

Die Anfrage der Hoffmann-La Roche6 nach den Möglichkeiten unserer Einflussnahme auf das vom Senat noch zu beratende Gesetz über ausländische Investitionen bietet mir jedoch Gelegenheit, Ihnen über die Vorgeschichte dieser Vorlage und unsere bisherigen Vorkehren näher zu berichten. Die nachfolgenden Ausführungen vermitteln zudem ein Bild über die sich abzeichnende wirtschaftspolitische Orientierung des Peronismus.

Wie Ihnen bekannt ist, wurde der Entwurf zum Investitionsgesetz Ende Juli aus innenpolitischen Gründen mit besonderer Eile der Deputiertenkammer zur Genehmigung vorgelegt. Eine geschickte Regie hatte dafür gesorgt, dass einige Tage zuvor eine Intervention des amerikanischen Geschäftsträgers Krebs in allen Massenmedien hochgespielt wurde. Bekanntlich hatte es sich die amerikanische Botschaft erlaubt, in einem an Minister Gelbard gerichteten Memorandum in recht ungeschickter Weise am Gesetzesprojekt Kritik zu üben. Heute steht fest, dass die Amerikaner in eine ihnen gestellte Falle geraten sind, indem Geschäftsträger Krebs vom vormaligen Kammerpräsidenten, dem heutigen interimistischen Staatspräsidenten Lastiri, aufgefordert worden war, die ihm mündlich vorgetragene Kritik schriftlich zu formulieren. Unter dem Eindruck dieser «für den Yankee-Imperialismus typischen Einmischung in nationale Angelegenheiten» wurde in der Folge das Projekt von der Deputiertenkammer praktisch oppositionslos angenommen. Die Vorlage bedarf jedoch noch der Zustimmung des Senats, wo mit einigen Abänderungen zu rechnen ist.

Im Verlaufe eines Gesprächs mit Herrn Leopoldo Tettamanti, Unterstaatssekretär für wirtschaftliche Angelegenheiten im Aussenministerium, habe ich meinerseits nicht verfehlt, die schweizerischen Bedenken über das Gesetz bekanntzugeben. Tettamanti machte mich darauf aufmerksam, dass die im Entwurf enthaltenen Bestimmungen nicht diskriminierend seien und insbesondere nicht über die in ähnlichen Gesetzen anderer südamerikanischer Staaten festgelegten Kriterien hinausgingen. Im übrigen, so liess er klar durchblicken, verfolge die Vorlage ein Anliegen, das heute in erster Linie aus innenpolitischer Rücksichtnahme dem Parlament unterbreitet werde. Für weitere Einzelheiten meines Gesprächs mit Unterstaatssekretär Tettamanti verweise ich auf meinen separaten heutigen Bericht7.

Auch die hiesige schweizerisch-argentinische Handelskammer ist nicht untätig geblieben. Dank der Initiative ihres Präsidenten8 konnte dem Verfasser des Gesetzesentwurfes (dessen Name wurde geheimgehalten) unmittelbar vor der Behandlung des Geschäftes in der Deputiertenkammer ein schriftliches Memorandum mit konkreten Abänderungsvorschlägen zugestellt werden. Ich hatte Gelegenheit, mit Herrn Wermuth der Vorstandssitzung der Handelskammer, in deren Verlauf dieser Schritt genehmigt wurde, beizuwohnen. Angesichts der bei derartigen Kontakten wenig transparenten Hintergründe – die Verabredung mit dem peronistischen Abgeordneten fand in einem Vorstadtrestaurant statt – erhielten wir den Eindruck, dass sich wohl kaum alle Vorstandsmitglieder über die Tragweite der geplanten Intervention im Klaren waren. Wie nicht anders zu erwarten war, lag die Frage in der Luft, was denn eigentlich die Botschaft in dieser Sache zur Wahrung der schweizerischen Interessen unternehme. Von mir aus machte ich die Anwesenden darauf aufmerksam, dass in einem Lande mit normalen Verhältnissen ein Botschafter, selbst während eines hängigen Gesetzgebungsverfahrens, sich mit dem einen oder andern ihm bekannten Parlamentarier über eine Vorlage unterhalten könne. Hier in Argentinien lägen jedoch die Dinge gegenwärtig etwas anders (der Kongress besteht zu 70% aus Peronisten aller Schattierungen, deren einzige Gemeinsamkeit ein übertriebener Nationalismus ist). Wenn wir nicht riskieren wollten, wegen Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten kritisiert zu werden, müsse ich meine Schritte dort unternehmen, wo es mir zustehe, nämlich bei den zuständigen Ministerien. Nicht erwähnen wollte ich, dass es sich ein schweizerischer Botschafter nicht leisten kann, einen Abgeordneten in aller Heimlichkeit in einem Vorstadtcafé zu treffen, zumal derartige Kontakte hierzulande erfahrungsgemäss mehr als nur den Preis der Konsumation kosten. Nach der Sitzung wurde mir bewusst, dass meine Ausführungen nicht alle Anwesenden – insbesondere nicht den Vertreter der Firma Roche – zu befriedigen vermochten. Tags darauf platzte dann die Affaire Krebs. Beide Kammern forderten in Resolutionen die unverzügliche Abberufung des Diplomaten. Mit einer Entschuldigung des amerikanischen Geschäftsträgers, der den belehrenden und kritischen Ton seines Memorandums mit Übersetzungsschwierigkeiten begründete, fand die Episode ihren vorläufigen Abschluss.

Auch innerhalb der schweizerisch-argentinischen Handelskammer führte die eigene Intervention nachträglich noch zu einer Kontroverse. So beurteilte der Direktor der hiesigen Nestlé-Niederlassung9 den unternommenen Schritt als gefährlich und bezeichnete es als einen Glücksfall, dass die amerikanische Intervention sozusagen als Blitzableiter für alle andern Lobbyisten gedient hatte. Wenn die Schweiz auch nicht in nämlichem Masse exponiert ist wie die USA, so wäre doch darauf hinzuweisen, dass nach der Machtübernahme durch die Peronisten Dr. Roberto Alemann als «Vertreter des schweizerischen Monopolkapitalismus» gezwungen wurde, seinen Lehrstuhl für Nationalökonomie an der Universität Buenos Aires aufzugeben10. In einer eigentlichen Pressepolemik wurden ihm sämtliche Ämter vorgerechnet, die er im Interesse schweizerischer Unternehmen wahrnimmt: Vertreter SBG, Verwaltungsratspräsident Ciba-Geigy und Kuoni Travel Ltd.

Es lag mir daran, Ihnen unter Hinweis auf diese Vorgänge ein Bild über die Schwierigkeiten zu vermitteln, die sich uns gegenwärtig bei der Wahrung der schweizerischen Interessen in den Weg stellen. Zu einem Zeitpunkt, da man dem Volke über Rundfunk und Presse täglich die Errungenschaften des «Gobierno del Pueblo» einhämmert und das Schlagwort «Liberación nacional» für die künftige wirtschaftliche Orientierung Argentiniens als Devise gilt, bieten sich uns recht wenig Ansatzpunkte für wirksame Einflussnahmen. Die für den Vollzug der Gesetze dereinst verantwortlichen Behörden werden jedoch, wie Tettamanti offen durchblicken liess, wieder mit sich reden lassen.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie von den vorstehenden Ausführungen, so weit es deren vertraulicher Charakter zulässt, dem Vorort Kenntnis geben wollten. Auf das Gesetz zur Kontrolle der ausländischen Investitionen werde ich zurückkommen, so bald die Vorlage vom Senat durchberaten und verabschiedet worden ist11.

1
Schreiben: CH-BAR#E7110#1984/70#1365* (892.1). Verfasst von H. Weyermann, visiert von F. Rothenbühler, E. H. Léchot, H. Aebli, J. J. Maeder und H.- U. Greiner. Kopie an den Finanz- und Wirtschaftsdienst des Politischen Departements.
2
Schreiben von B. Wehrli und P. Hutzli an die Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements vom 13. August 1973, Doss. wie Anm. 1.
3
Schreiben von H.- U. Greiner an M. Grossenbacher vom 17. August 1973, Doss. wie Anm. 1.
4
Draft Law on Foreign Investments sent by the Executive Power to Congress vom 22. Juni 1973, CH-BAR#E2001E-01#1987/78#1754* (C.41.157.0).
5
Vgl. dazu das Schreiben von M. Grossenbacher an P. R. Jolles vom 29. März 1973, dodis.ch/40413; das Schreiben von M. Grossenbacher an P. R. Jolles vom 12. April 1973, dodis.ch/40414 sowie das Schreiben von M. Grossenbacher an P. R. Jolles vom 16. Oktober 1974, dodis.ch/40415.
6
Für das Memorandum der Firma Hoffmann-La Roche vom 17. Juli 1973 vgl. das Schreiben von F. Ebner und P. J. Pointet an P. R. Jolles vom 19. Juli 1973, Doss. wie Anm. 1.
7
Bericht von M. Grossenbacher an P. R. Jolles vom 27. August 1973, Doss. wie Anm. 1.
8
J. M. Rossel.
9
A. Naef
10
Vgl. dazu das Schreiben von R. Wermuth an E. Thalmann vom 30. Mai 1974, CH-BAR#E7110#1985/97#510* (810).
11
Vgl. dazu die Schreiben von M. Grossenbacher an P. R. Jolles vom 12. Dezember 1973, CH-BAR#E7110#1984/70#1357* (863.4) sowie vom 11. Januar 1974, CH-BAR#E2001E-01#1987/78#1754* (C.41.157.0).